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Interview: Ex-AGCO-Chef Martin Richenhagen: „Ich sage, was ich denke“

Interview

Ex-AGCO-Chef Martin Richenhagen: „Ich sage, was ich denke“

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    Ein Foto wie ein Gemälde: Ex-Manager Martin Richenhagen unterwegs im Central Park in New York.
    Ein Foto wie ein Gemälde: Ex-Manager Martin Richenhagen unterwegs im Central Park in New York. Foto: Stephan Pick

    Herr Richenhagen, Sie kennen die US-Präsidenten Obama, Clinton, George W. Bush und Trump. Nun stellt sich heraus: Man muss diese Liste um John F. Kennedy erweitern. Wie kam es zu der Begegnung?

    Martin Richenhagen: Als Kennedy im Juni 1963 Deutschland besuchte, landete er in Köln-Wahn. Auf dem Flughafen war mein Onkel Militärseelsorger. Dank dieser Verbindung stand ich als Zehnjähriger mit meinem Vater am Rollfeld in der ersten Reihe, als der Präsident kam. Weil Kennedy ein guter PR-Mensch war, hat er sich den erstbesten Jungen geschnappt, um für ein paar schöne Fotos zu sorgen. Das war eben ich. Und so hat er mir drei Tage vor seiner berühmten Berlin-Rede über den Kopf gestreichelt.

    Sie sind jetzt „Der Amerika-Flüsterer“ – so lautet zumindest der Titel Ihrer Lebenserinnerungen. Wem flüstern Sie denn was zu?

    Richenhagen: Wissen Sie, ich bezeichne mich ja selbst gern als ,Pendler zwischen den Welten‘. Ich lebe und fühle mich unheimlich wohl in Atlanta, bin aber genauso gern in Köln oder Berlin. Für mich ist es ein großes Privileg, seit Jahren in den USA, aber auch in Deutschland und Europa präsent sein zu dürfen. Als Deutsch-Amerikaner kenne ich die Mentalität beider Länder natürlich sehr gut. Ich bin ein Fan beider Nationen. Und so versuche ich, in Deutschland die USA zu erklären und umgekehrt.

    Martin Richenhagen stand lange an der Spitze des US-Landtechnikkonzerns AGCO, zu dem der Marktoberdorfer Traktorenhersteller Fendt gehört.
    Martin Richenhagen stand lange an der Spitze des US-Landtechnikkonzerns AGCO, zu dem der Marktoberdorfer Traktorenhersteller Fendt gehört. Foto: Mathias Wild

    Ohne Ihre Liebe zu Pferden wäre es aber gar nichts geworden mit der Karriere?

    Richenhagen: Für den Start waren die Pferde wichtig, das stimmt. Als Gymnasiallehrer betrieb ich nebenher einen Reitstall, wo ich auf Leute stieß, die aus einer ganz anderen Welt kamen. Ein Stahlunternehmer machte mir ein Angebot für ein Traineeprogramm mit BWL-Studium. Das fand ich spannend. Und so wechselte ich von der Schule in die Wirtschaft. Was daraus werden würde, war natürlich nicht abzusehen. Aber ich war schnell erfolgreich.

    Deutliche Worte haben Sie nie gescheut. Das behalten Sie auch im Buch bei: Ex-Präsident Trump ist der „Kotzbrocken" und sein Vize Mike Pence „ein totaler Dorftrottel“...

    Richenhagen: Das ist eben meine Meinung. Eine Grundhaltung von mir heißt: Ich sage, was ich denke. Und ich mache, was ich sage. Wenn jemand wie Donald Trump so extrem unhöflich andere Menschen runtermacht, dann muss der ein bisschen Echo vertragen. Trump bezeichnet zum Beispiel den jetzigen Präsidenten noch immer als „Sleepy Joe“. Obwohl Joe Biden in den ersten 100 Tagen seiner Präsidentschaft viel mehr erreicht hat, als Trump in vier Jahren. Insofern muss man da eine klare Ansage machen. Zu Trump habe ich mich frühzeitig positioniert – und ich sehe keinen Grund, das zu relativieren.

    Joe Biden haben Sie kennengelernt, als er Obamas Vize-Präsident war. Welchen Eindruck haben Sie von ihm?

    Richenhagen: Biden ist ein sehr erfahrener, intelligenter, älterer Herr mit guten Manieren. Er überzeugt auf der menschlichen Ebene. Gefühlsmäßig ist es nach vier Jahren Trump ja fast erlösend, nun so jemanden an der Spitze zu haben. Präsident Biden hat das Zeug zu einem Integrator.

    Unter Trump waren die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf einem Tiefpunkt. Wird jetzt mit Biden alles wieder gut?

    Richenhagen: Es wird vieles besser werden. Ich erwarte eine deutlich beständigere Politik, eine Kommunikation, die höflicher und stilvoller abläuft. Es gibt ja schon viele positive Signale. Allerdings wird auch die Biden-Regierung bei einigen Dingen nicht lockerlassen: Da ist zum einen das Handelsdefizit und zum anderen der deutsche Nato-Beitrag. Nach meiner Einschätzung hat Deutschland aber ein gutes Argument für einen Discount auf die zwei Prozent Rüstungsausgaben: die enormen Aufwendungen, die Deutschland im Bereich der Entwicklungshilfe leistet. Das ist eine Verteidigungspolitik im Vorfeld. Deutschland löst Probleme, bevor sie entstehen. Das darf man ruhig einmal erwähnen.

    US-Präsident Joe Biden.
    US-Präsident Joe Biden. Foto: Andrew Harnik/AP, dpa

    Nach Ihrer Einschätzung wird Biden die America-First-Politik nicht begraben. Muss Deutschland in Europa konsequenter eine Führungsrolle übernehmen?

    Richenhagen: Auf jeden Fall. Das wäre eine große Chance. Denn es gibt ja im Wettbewerb mit den USA ein Gegenmittel: Europa muss seinen Zusammenhalt stärken. Der französische Präsident Macron ist da schon auf einem richtigen Weg, doch ihm fehlt der starke Partner. Wenn Deutschland nicht so zaudern würde, könnte man schon noch etwas mehr aus Europa machen. Was mir gut gefallen würde, wäre so etwas wie die United States of Europe. Mit einer gemeinsamen Steuer-, Verteidigungs- und Außenpolitik. Für Europa ließe sich viel mehr vorstellen, als heute gemacht wird.

    Im Jahr 2004 gingen Sie nach Amerika und wurden Chef des US-Landmaschinenkonzerns AGCO, heute einer der 500 größten US-Konzerne. Wie groß war das Risiko zu scheitern?

    Richenhagen: Die Gefahr gab es. Dass ich mir anfangs nicht sicher war, erkennt man daran, dass meine Familie zuerst in Deutschland blieb. Warum hatte ich Erfolg? Eine große Rolle spielte, dass ich richtige Ideen hatte, eine gute Strategie und ein super Team. In Amerika interessiert es keinen, ob du als Chef jede Menge heiße Luft erzeugst. Das einzige Bewertungskriterium sind messbare Ergebnisse: Unter meiner Leitung hat sich der Börsenwert von AGCO mehr als verzehnfacht, der Umsatz verdreifacht, und wir haben mehr als 10.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Das war schon ganz ordentlich.

    AGCO ist der Mutterkonzern des Traktorenherstellers Fendt. Es heißt, Sie wären ein Glücksfall für Fendt gewesen. Warum?

    Richenhagen: Vielleicht sagen das die Fendt-Mitarbeiter. Man kann es ja schwer beurteilen, ob Fendt ohne mich nicht genauso erfolgreich gewesen wäre. Für Fendt war es aber sicher von Vorteil, einen deutschen CEO zu haben. Ich kannte und verstand jedenfalls den deutschen Markt. Und ich habe entschieden, dass AGCO zwischen 2009 und 2012 rund 500 Millionen Euro in die Ausweitung der Produktion investierte – statt mit Fendt nach Tschechien oder Polen auszuwandern, was damals zur Debatte stand. Der Aufsichtsrat fand meinen Plan gar nicht toll. Da bin ich extrem großes Risiko gegangen. Hätte das mit Fendt nicht funktioniert, wäre ich rausgeflogen.

    Für Ihre Karriere haben Sie viel und hart gearbeitet. Es gab eine Zeit, in der Sie so wenig zu Hause waren, dass Ihr damals kleiner Sohn ein Foto von Ihnen aufstellte, damit er Sie mal sehen kann. Bereuen Sie das im Rückblick?

    Richenhagen: Es gab sicher Phasen, da hätte ich mich bestimmt mehr um meine Kinder kümmern müssen. Das habe ich aber erkannt und Dinge anders gemacht. Wenn ich am Wochenende zu Hause war, habe ich mich zu hundert Prozent um die Familie gekümmert. Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht, weil ich heute ein supergutes Verhältnis zu meinen Kindern habe. Wir fahren sogar gemeinsam in den Urlaub. Gott sei Dank ist da nichts Schlimmes hängen geblieben.

    Fendt hat einen Teil seiner Traktor-Modelle überarbeitet.
    Fendt hat einen Teil seiner Traktor-Modelle überarbeitet. Foto: Mathias Wild

    Als Manager haben Sie die Mächtigen der Welt getroffen: Merkel, Gorbatschow, Obama, Putin, Macron. Aber den Kontakt zu Politikern gab es schon viel früher: Als Student spielten Sie mit Strauß und Wehner Skat. Und Genscher verkauften Sie ein Pferd...

    Richenhagen: Das waren eigentlich immer Zufälle. Ich habe mir nie besondere Mühe gegeben, Politiker zu treffen. Wissen Sie, ich habe in Bonn studiert. Dort gab es Studenten und Politiker. Da begegnete man sich schon mal in einer Kneipe. Das ergab sich eben so. Und der Kontakt zu Hans-Dietrich Genscher ergab sich über den Reitstall, den ich später leitete.

    Der Weg in die Politik wäre auch für Sie möglich gewesen. Fast wären Sie Oberbürgermeister von Köln geworden. Wie kam das?

    Richenhagen: Na ja, ob ich das geworden wäre, weiß ich nicht. Ich bin jedenfalls gefragt worden, ob ich in dieser Richtung Ambitionen hätte. Ein Kölner, der aus der Wirtschaft kommt, das könnte doch passen, war wohl die Meinung. Das Interesse gab es immer mal wieder. Und so bin ich auch mal angesprochen worden auf das Amt des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Ich denke aber nicht, dass ich ein besonders guter Politiker geworden wäre. Dafür bin ich zu geradlinig und in der Ansage zu deutlich.

    Mal angenommen, Sie wären mit 33 Jahren nicht in die Wirtschaft gewechselt, sondern Religionslehrer geblieben. Wie würde der pensionierte Lehrer Richenhagen heute auf sein Leben zurückblicken. Wäre der glücklich?

    Richenhagen: Ich bin dankbar für mein Leben, wie ich es führen durfte; es war extrem spannend, und ich habe mich nicht einen Tag gelangweilt. Lehrer war ich auch gern. Insofern wäre der Religionslehrer Richenhagen bestimmt nicht unglücklich. Es könnte aber durchaus sein, dass der sich an Perioden in seinem Leben erinnern würde, die nicht so aufregend waren.

    Martin Richenhagen, 68, leitete 16 Jahre den US-Konzern AGCO, zu dem auch Fendt Marktoberdorf gehört. Nun ist seine Biografie erschienen: Der Amerika-Flüsterer, Edel Books, 320 Seiten, 24,95 Euro.

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