Herr Fischer, Deutschland hat 2023 einen Rekord in der Erzeugung erneuerbarer Energien verbucht. Wie sieht es aus, wenn man nur Bayern betrachtet, wo Ministerpräsident Markus Söder immer wieder sagt, dass man hier ebenfalls vorne liegt?
Detlef Fischer: Reduziert betrachtet auf den Bereich der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Bayern wird das Jahr 2023 wohl ein Rekordjahr sein. Insbesondere der Zubau an Photovoltaikanlagen war in den Jahren 2022 und 2023 mit zusammen über 4000 Megawatt – das entspricht der Nennleistung von vier großen Kohlekraftwerken – enorm und schlägt sich jetzt insbesondere in den Sommermonaten positiv in unserer Energiestatistik nieder. Insgesamt sind jetzt über 20.000 Megawatt installiert. Die Photovoltaik ist damit nach dem Ausstieg aus der Kernenergie, gemessen an der erzeugten Strommenge, der bedeutendste Stromerzeuger in Bayern geworden. Sie deckt im Jahressaldo zwischen 20 und 25 Prozent des Strombedarfs. Leider steht uns die Kraft aus der Sonne im Winter kaum zur Verfügung. Rein rechnerisch werden wir 2023 über 50 Prozent des bayerischen Strombedarfs über heimisch erzeugte erneuerbare Energien gedeckt haben. Bei der Bereitstellung des Energiebedarfs für unsere Wärme- und Mobilitätszwecke über erneuerbare Energien kommen wir hingegen weiterhin nicht so recht voran.
Das heißt, die Energiewende beim Heizen und im Verkehr lässt noch deutlich zu wünschen übrig?
Fischer: In der Wärme und der Mobilität dominieren weiter die fossilen Energieträger Mineralöl und Erdgas. Und der nach Corona wieder boomende Luftverkehr ist aus Sicht des Klimaschutzes ein Totalausfall. Insgesamt werden erst rund 25 Prozent des gesamten Endenergiebedarfes über heimische erneuerbare Energie gedeckt. Es ist also noch ein harter Weg bis Bayern 2040 klimaneutral ist. Epochale Aufgaben sind dafür zu lösen. Auch Veränderungen in den Lebensumständen sind damit verbunden, das ist vielen Leuten in unserem Land gar nicht klar.
Wie hat Bayern eigentlich den Ausstieg aus der Kernkraft verkraftet?
Fischer: Die Kernkraft hat in Bayern in ihren besten Jahren deutlich über 60 Prozent des Strombedarfs gedeckt. Zusammen mit der Wasserkraft war die Stromerzeugung in Bayern also schon mal fast klimaneutral. Als Kunde der Stromversorgung merkt man vom vollzogenen Ausstieg aus der Kernkraft unmittelbar erst mal gar nichts, solange genügend Erzeugungs- und Transportkapazitäten inner- und außerhalb Bayerns vorhanden sind. Aber natürlich muss man sich darüber im Klaren sein, dass sich nicht jede Region so verhalten kann wie wir, denn es muss ja auch Regionen geben, die uns mit Strom quasi mitversorgen. Und natürlich war die Kernkraft auch ein Standortvorteil für Bayern. Die Industrie geht immer dahin, wo der Strom erzeugt wird und nicht erst hintransportiert werden muss.
Sie sehen den Atomausstieg mit Bedauern?
Fischer: Der frühe Ausstieg aus der Kernenergie in Bayern war ein großer Fehler, klimapolitisch, wirtschaftspolitisch. Natürlich hatten die bayerischen Kernkraftwerke auch günstige Stromgestehungskosten, auch wenn gerne mal das Gegenteil behauptet wird. Leider kann man die Anlagen nicht einfach weiterlaufen lassen. Das Thema Kernenergie hat sich für Bayern erledigt.
Ist Bayern nach dem Atomausstieg eigentlich stärker auf Stromimporte angewiesen?
Fischer: Stromimporte nach Bayern können zwei verschiedene Gründe haben. Der europäische Strommarkt bietet günstigere Konditionen als die Stromproduktion in Bayern, oder die eigenen Anlagen können den Strombedarf nicht vollständig decken. Beide Fälle treten in Bayern auf. Insbesondere im Winter sind wir technisch auf den Stromimport aus anderen Regionen Deutschlands und auch aus dem Ausland angewiesen. Nach dem vollständigen Ausstieg aus der Kernkraft ist das in einem größeren Umfang als vorher erforderlich.
Explodierende Energiepreise waren das große Problem im Winter 2022/23. Wie hat sich die Lage entwickelt?
Fischer: Das Jahr 2023 war auf den Energiemärkten ein Jahr der Entspannung. Gott sei Dank! So sind auch die Börsenstrompreise gegenüber dem Jahr 2022 deutlich gesunken. Das Niveau vor dem Krieg in der Ukraine ist aber nicht erreicht worden.
Zur Person: Detlef Fischer, 55, ist Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft VBEW.