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Interview : Endlagersuche: „Wir dürfen das Problem nicht auf unsere Kinder verschieben“

Interview

Endlagersuche: „Wir dürfen das Problem nicht auf unsere Kinder verschieben“

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    Die Suche nach einem Endlagerstandort darf nicht bis 2074 dauern, sagt Christian Kühn, der Chef der Aufsichtsbehörde.
    Die Suche nach einem Endlagerstandort darf nicht bis 2074 dauern, sagt Christian Kühn, der Chef der Aufsichtsbehörde. Foto: BASE, bundesfoto

    Herr Kühn, die deutschen Atomkraftwerke sind abgeschaltet, ein Endlager für den Müll gibt es aber nicht. Wo stehen wir bei der Suche?

    Christian Kühn: Gestartet waren wir mit einer weißen Landkarte. Jede Region in Deutschland ist für ein Endlager in Betracht gekommen. Inzwischen ist die Landkarte ganz schön bunt geworden. Es sind 90 Teilgebiete in ganz Deutschland in allen Bundesländern identifiziert. Dort finden vorläufige Sicherheitsuntersuchungen und Bewertungen statt. Wir sind mitten in der ersten Phase der Suche. In diesem Suchprozess bilden wir die Aufsicht.

    Noch immer kommt grob geschätzt die Hälfte der Landesfläche für das Endlager in Betracht. Wann findet die nächste Eingrenzung statt?

    Kühn: Die Bundesgesellschaft für Endlagerung, welche das Endlager sucht und später betreibt, stellt im Herbst dieses Jahres Zwischenstände vor. Bis 2027 wird die Eingrenzung immer konkreter werden. Das Jahr 2027 ist dann ein entscheidendes Datum. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung, kurz BGE, stellt dann die Gebiete vor, in denen es zu einer überirdischen Erkundung kommen soll. Von den 54 Prozent des Landes werden dann wenige Regionen übrigbleiben, die für die Endlagerung in Betracht kommen. 

    Wie groß wird die Zahl der Regionen sein, die 2027 für das weitere Verfahren ausgewählt werden?

    Kühn: Die BGE spricht von einer bis zwei Händen voll Regionen, mit denen in die zweite Phase des Auswahlprozesses gegangen werden soll. Es ist wie beim Sieben von Sand: Am Ende bleibt das eine Sandkorn übrig, welches den am besten geeigneten Standort für ein Endlager darstellt, um mit den Abfällen des Atomzeitalters verantwortlich umzugehen.

    Welche Prüfungen finden nach 2027 in den ausgewählten Regionen statt?

    Kühn: Die zweite Phase stellt eine obertägige Erkundung dar. Nach geologischen Kriterien wie Vulkanismus oder Bergbautätigkeit werden hier seismographische und geografische Kriterien einbezogen. Fachleute werden die Oberfläche auch mit Geräten erkunden. Dies ermöglicht, die potentiellen Standorte weiter einzugrenzen. In einer dritten Phase ist schließlich eine untertägige Erkundung vorgesehen, zum Beispiel mit Bohrungen. Am Ende gilt es, den in Deutschland am besten geeigneten Standort für ein atomares Endlager zu finden, der Sicherheit für eine Million Jahre gibt.

    Das Endlager soll eine Million Jahre sicher sein. Das klingt nach einem kaum zu fassenden Zeitraum. Ist das realistisch?

    Kühn: Eine Million Jahren mögen für den Menschen fast nicht greifbar sein, wenn man daran denkt, dass die ersten Kulturfunde der Menschheit rund 40.000 Jahre alt sind, Schnitzereien aus Elfenbein zum Beispiel. Die Langlebigkeit der im Atomzeitalter erzeugten radioaktiven Stoffe erfordert es allerdings, dass wir sie in eine tiefengeologische Schicht bringen müssen, in der sie aus der Biosphäre abschließend entfernt sind. Nur so haben Mensch und Natur dauerhaft Sicherheit. Trotz des Abschaltens der letzten Atomkraftwerke in Deutschland ist die nukleare Sicherheit nicht garantiert. Jetzt geht es darum, die Hinterlassenschaften des Betriebs der Atomkraftwerke aufzuräumen.

    Von welchen Mengen Atommüll reden wir?

    Kühn: Es werden am Ende rund 1750 Castor-Behälter sein, deren Inhalte werden je nach ausgewähltem Wirtsgestein umverpackt. Wir sagen hier neu konditioniert. Dann kommen sie in das Endlager. Derzeit befinden sich die Behälter in Deutschland verteilt in 16 Zwischenlagern. In Bayern lagern 257 Behälter an den Standorten Gundremmingen, Isar 2 und Grafenrheinfeld.

    Castorbehälter mit verbrauchten Brennelementen. In Bayern gibt es davon 257.
    Castorbehälter mit verbrauchten Brennelementen. In Bayern gibt es davon 257. Foto: Bernhard Weizenegger

    Kommen für das Endlager auch Standorte in Bayern in Frage?

    Kühn: Unter den 90 derzeit in Frage kommenden Teilgebieten befinden sich auch Regionen in Bayern.

    Im Koalitionsvertrag haben CSU und Freie Wähler ausgeschlossen, dass Bayern für ein Endlager in Betracht kommt.

    Kühn: Was zählt in diesem wissenschaftlichen Verfahren, ist nicht politischer Wille, sondern Geologie und Eignung. Ich kann nur allen raten, Vertrauen in das Verfahren zu setzen. Ob der beste Standort für ein Endlager in Bayern, in Niedersachsen, Baden-Württemberg oder ein anderes Bundesland ist, muss nach wissenschaftlichen Kriterien entschieden werden, nicht nach Koalitionsverträgen.

    Wie kann sich die Bevölkerung am Endlager-Auswahlverfahren beteiligen?

    Kühn: Sobald die infrage kommenden Teilgebiet feststehen, werden wir Regionalkonferenzen einrichten. Dort können die Bürgerinnen und Bürger diskutieren und die Ergebnisse der BGE beraten. Es sind alle eingeladen zu kommen, schließlich bedeutet ein Endlager eine Belastung. Jede Regionalkonferenz gibt sich eine eigene Satzung. Die Teilnehmer können Einblick in Unterlagen nehmen und selbst Wissenschaftler mit Gutachten beauftragen. Es ist das größte Beteiligungsprojekt in Deutschland. 

    Was passiert, wenn sich die Bürger am Ort nicht von dem Endlager überzeugen lassen?

    Kühn: Es kann sein, dass wir in einer bestimmten Region keine Akzeptanz für das Endlager finden. Am Ende ist es eine nationale Aufgabe, einen Standort zu finden, der Sicherheit für eine Million Jahre bietet. Am Ende entscheidet der Bundestag, wo das Endlager sein wird. 

    Es gibt Vorschläge, den radioaktiven Abfall durch physikalische Prozesse umzuwandeln, dass seine Schädlichkeit sinkt. Transmutation ist das Fachwort. Brauchen wir ein Endlager?

    Kühn: Wir haben uns das Thema Transmutation genau angesehen. Diese Technologie steht nach heutigem Stand in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung. Selbst wenn sie marktreif wäre, entstehen bei der Transmutation Spaltprodukte, die einer Tiefenlagerung bedürfen. Die Transmutation würde den Wiedereinstieg in die Nuklearwirtschaft bedeuten. Wir sehen keine Alternative zu einem Endlager. Andere Länder wie Frankreich, die skandinavischen Länder oder die Schweiz setzen ebenfalls auf Tiefenlager.

    Sind Sie nicht manchmal neidisch, dass Länder wie Finnland oder Frankreich bei der Endlagersuche weiter sind?

    Kühn: Dafür, dass wir erst ein Jahrzehnt am Thema arbeiten, sind wir ganz gut unterwegs. Die Basis hat 2011 der Beschluss in der Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel gelegt, aus der Nutzung der Atomenergie auszusteigen und gleichzeitig ein Endlager für nunmehr berechenbare Abfallmengen zu suchen. Das ist Konsens.

    Ein Endlager für den hochradioaktiven Müll soll Sicherheit für eine Million Jahre bieten.
    Ein Endlager für den hochradioaktiven Müll soll Sicherheit für eine Million Jahre bieten. Foto: Bernhard Weizenegger

    Wie sieht Ihr Zeitplan aus? Wann wird der Endlager-Standort feststehen?

    Kühn: Als Bundesamt legen wir großen Wert darauf, dass wir bis Mitte des Jahrhunderts einen Standort haben. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung hat die Mitte der 2040er Jahre als besten Fall genannt. Diese Benchmark sollten wir erreichen. Das Endlager muss dann geplant, genehmigt, gebaut werden. Wir sollten die Aufgabe bis Ende des Jahrhunderts abschließen, die gefährlichsten Stoffe sicher zu verwahren, die die Menschheit je produziert hat. 

    Das Freiburger Öko-Institut hat kürzlich gemeldet, dass die Suche nach einem Endlager bis mindestens 2074 dauern könnte. Wird das Vorhaben hier einfach auf die lange Bank geschoben? 

    Kühn: Die Ergebnisse der Studie ändern nichts an meiner Einschätzung, dass wir einen Standort Mitte des Jahrhunderts benötigen. Das Gutachten des Öko-Instituts liefert einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag zur Umsetzung der Endlagersuche. Denn der genannte Zeitraum bis 2074 bestätigt im Wesentlichen den BGE-Zeitindex, der im längsten Fall vom Jahr 2068 ausgeht, wenn wir nichts an der Suche ändern. Bei der Endlagersuche ist Zeit aber auch ein Sicherheitsfaktor und deshalb sollten und dürfen wir uns mit einer solchen zeitlichen Perspektive nicht zufriedengeben. Daher plädieren wir für eine grundsätzliche Evaluierung des Verfahrens am Ende der ersten Phase. Es gilt zu analysieren, welche Beschleunigungspotenziale bestehen, und ob beziehungsweise wo das Verfahren angepasst werden sollte. Wir sind dazu im Austausch mit den an der Suche beteiligten Institutionen und haben auch schon Anpassungen vorgenommen. Wir dürfen das Problem nicht immer weiter nach hinten auf unsere Kinder und Kindeskinder verschieben.

    Selbst wenn die Aufgabe bis zum Ende des Jahrhunderts abgeschlossen sein kann, ist dies ein sehr langer Zeitraum.

    Kühn: Es klingt nach einem langen Zeitraum, es handelt sich aber auch um ein wissenschaftsbasiertes Verfahren mit großer Beteiligung. Wir suchen nicht nur in kristallinem Gestein, sondern auch in Ton und Salz. Ein sicheres Endlager für eine Million Jahre zu finden, ist ein Großprojekt, eine Mammutaufgabe, deshalb sollten wir uns die nötige Zeit nehmen.

    Können Sie die Sorgen verstehen, dass die Zwischenlager für den hochradioaktiven Abfall – beispielsweise in Gundremmingen – zur Dauerlösung werden?

    Kühn: Die Zwischenlagerung ist in den nächsten Jahrzehnten nur der Übergang, bis das Endlager in Betrieb genommen wird. Die Genehmigungen der Zwischenlager müssen in den nächsten Jahren verlängert werden. Wir werden als Genehmigungsbehörde sehr genau darauf achten, dass die neuesten Sicherheitsstandards eingehalten werden, also der Stand von Wissenschaft und Technik. Die Bürgerinnen und Bürger können darauf vertrauen, dass Genehmigungen nur dort erteilt werden, wo die Sicherheit gewährleistet wird.

    In Deutschland erlebt die Atomkraft zumindest in der politischen Debatte ein Comeback, CDU/CSU, FDP und AfD würden gerne mit neuen Reaktortypen zurück zur Kernkraft. Wie stehen Sie dazu?

    Kühn: Die alternativen Reaktorkonzepte stehen bis Mitte des Jahrhunderts nicht zur Verfügung. Das haben uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem Gutachten dargelegt, das wir unlängst veröffentlicht haben. Neue Reaktoren helfen uns nicht aus der Klimakrise. Atomausstieg und Endlagersuche hängen zudem zusammen. Ich warne davor, den überparteilichen Konsens des Atomausstiegs gekoppelt mit der Endlagersuche aufzuschnüren. Ich befürchte, dass dies das Endlager-Verfahren massiv beschädigen würde.

    Auf der letzten Klimakonferenz in Dubai haben sich aber immerhin 20 Staaten für einen Ausbau der Atomkraft stark gemacht.

    Kühn: International wird zwar viel über die Atomkraft gesprochen, die stärkere Dynamik sehe ich aber bei den erneuerbaren Energien. Erneuerbarer Strom lässt sich kostengünstiger erzeugen als Strom aus neuen Reaktoren. Deshalb kann ich nur raten, es bei der Gesetzeslage zu belassen, die wir in Deutschland haben und auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zu setzen, die keine Hinterlassenschaften produzieren, die noch viele Generationen belasten.

    Zur Person: Christian Kühn, 45, ist seit 15. Februar 2024 Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Zuvor war der Grünen-Politiker Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Kühn stammt aus Tübingen.

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    2 Kommentare
    Marianne Böhm

    Wie haben es sich denn die Verantwortlichen damals vorgestellt, wie es mit diesem Atommüll weitergeht.. Es sitzen alle Weltbürger auf einer, mehrerer (Fracking usw..) Zeitbomben die jederzeit explodieren, ausbrechen können.. das alles auslöscht, tötet.. weil die Gier der Wirtschaft, Politik, Menschen immer größer geworden ist.. Wir haben in unserer oberflächlichen Art den Sinn des Lebens völlig falsch verstanden, nie begriffen... zig Generationen sind, ohne ihr zutun, davon betroffen.. Wir haben alles was wir brauchen, die Natur gibt uns vieles.. auch Energie.. wir sind leider zu viele Menschen. Wir nehmen nur und geben nichts zurück und wenn es nur der Respekt unserer Natur gegenüber ist...

    Martin Goller

    Keine Angst, die Betreiber haben sich ja zum Glück von der Verantwortung freigekauft und der Preis für die Endlagerung taucht (noch?) nicht auf der Stromrechnung auf - also ist doch alles in Ordnung.

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