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Interview: DGB-Chefin Yasmin Fahimi: "Es gibt viel zu tun für uns Frauen"

Interview

DGB-Chefin Yasmin Fahimi: "Es gibt viel zu tun für uns Frauen"

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    Yasmin Fahimi ist seit Mai Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
    Yasmin Fahimi ist seit Mai Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Frau Fahimi, wie sparen Sie Energie ein?

    Yasmin Fahimi: Wie inzwischen vermutlich die meisten: Ich achte genau darauf, wann ich welches Licht anschalte – nämlich nur in dem Raum, in dem ich mich auch tatsächlich aufhalte. Außerdem steuere ich meine Heizungen mit einer App.

    Heizen Sie schon?

    Fahimi: Ja, aber nur im Bad.

    Arbeitgeber-Vertreter Stefan Wolf, der Präsident von Gesamtmetall ist, appellierte ja an Beschäftigte, lieber bei 18 Grad zu Hause zu sitzen und zwei Pullover anzuziehen, aber seinen Arbeitsplatz zu behalten, weil die Industrie vorrangig mit Gas bedacht wird.

    Fahimi: Solche Ratschläge überraschen mich immer wieder! Aber, was soll das? Vor allem überrascht es mich, wenn es dem Unternehmen von Herrn Wolf wirklich so schlecht ginge, dass die Beschäftigten mit dem Tragen eines zweiten Pullis das Unternehmen retten könnten. Wer so redet, will doch nur Energiekosten auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abwälzen.

    Worauf kommt es wirklich in der dramatischen Energie-Krise an?

    Fahimi: Vor allem die großen industriellen Gasverbraucher müssen Gas einsparen und gleichzeitig die Beschäftigung und Standorte sichern. Das ist die große Herausforderung und nicht die Frage, ob Beschäftigte ein oder zwei Pullis tragen. Ich bin froh, dass die Gas-Kommission auf diese zentrale Frage eine tragfähige Antwort gefunden hat.

    Bei den staatlichen Milliardenhilfen geht Schnelligkeit allerdings vor Gründlichkeit.

    Fahimi: Ja, weil die Zeit drängt.

    Dann ist Missbrauch von Subventionen Tür und Tor geöffnet.

    Fahimi: Nein. Dass Schnelligkeit vor absoluter Treffsicherheit geht, heißt nicht, dass die Entscheidungen kopflos getroffen werden. Der Vorschlag der Kommission ist trotzdem durchdacht und ausbalanciert: Die Menschen werden noch in diesem Jahr bei der Dezember-Gas- und Fernwärmerechnung vom Staat entlastet. Und nächstes Jahr greift die Gaspreis-Bremse. Beides haben wir als DGB gefordert. Höhere Einkommen ab 75.000 Euro müssen die staatliche Einmalzahlung aber im nächsten Jahr versteuern. Das hat uns Finanzminister Lindner bestätigt. Und das ist auch sozial gerecht.

    Aber verfährt der Staat hier nicht nach dem Gießkannen-Prinzip?

    Fahimi: Nein. Am oberen und unteren Einkommensrand sind Notlösungen vorgeschlagen, die das kompensieren. Aber ja, für mehr Genauigkeit müsste als Erstes die Steueridentifikationsnummer endlich von allen Bürgerinnen und Bürgern mit einer Kontonummer zusammengeführt werden. Aber selbst das wäre nur bedingt nützlich, weil man eine Reihe anderer Daten sammeln müsste.

    Welche Fragen würden sich hier dann stellen?

    Fahimi: Wie viele Menschen leben in einem Haushalt? Wie hoch ist da der Energieverbrauch und das Einkommen? Oder wie ist das jeweilige Wohnhaus gedämmt? Nur mit solchen Informationen wären echte zielgenaue staatliche Hilfen möglich. Das ist völlig unrealistisch, wo der Staat gerade jetzt schnell handeln muss. Die Menschen erwarten zu Recht schnelle Entlastungen und mehr Sicherheit noch in diesem Winter.

    Dann kommt die Gießkanne zum Einsatz – und das schnell.

    Fahimi: Noch einmal: Es ist keine Gießkannenlösung. Die Bürgerinnen und Bürger brauchen schnelle Entlastungen, um sich nicht zu verschulden. Und es droht ein weiterer Effekt: Die Schwächung der Kaufkraft würgt die Konjunktur ab und die drohende Wirtschaftskrise verschärft sich noch. Uns bleibt also keine andere Wahl, als die Menschen schnell zu entlasten.

    Pragmatismus geht also in der Krise vor ideologischer Treue.

    Fahimi: In der Not muss man abwägen und praktische Antworten geben. Das ist gelungen.

    Funktioniert die Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Politik in der von Kanzler Scholz ins Leben gerufenen Konzertierten Aktion?

    Fahimi: Die deutsche Sozialpartnerschaft hat in der Krise funktioniert. Leider kommen nicht alle Beschäftigten in den Genuss dieser Sozialpartnerschaft. Denn immer mehr Arbeitgeber begehen Tarifflucht. Von Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelte Tarifverträge gelten für immer weniger Beschäftigte. Die Sozialpartnerschaft ist in den vergangenen Jahren von diesen Tarif-Flüchtlingen auf Arbeitgeberseite schwer beschädigt worden. Auch was die Tarifbindung betrifft, brauchen wir deshalb eine Zeitenwende. Wir fordern die Bundesregierung hier zu einem nationalen Aktionsplan auf.

    Auch wegen der Tarifflucht ist die Gefahr groß, dass viele Arbeitgeber den Inflationsbonus von 3000 Euro nicht in dem Maße oder gar nicht zahlen werden.

    Fahimi: Die Gefahr besteht. Und das würde die soziale Ungleichheit in Deutschland vertiefen. In Teilen Ostdeutschlands lebt fast jeder zweite Beschäftigte vom Mindestlohn. Das ist das Ergebnis von politischen Fehlentscheidungen im Zuge der Wiedervereinigung. Dem können wir nur – auch mit Hilfe der Bundesregierung – entgegenwirken, indem wieder mehr Unternehmen tarifgebunden werden.

    Wie kann man das erreichen?

    Fahimi: Durch ein wirksames Tariftreuegesetz, das vorschreibt, dass öffentliche Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen gehen dürfen. Und dazu brauchen wir starke Gewerkschaften. Doch Gewerkschaften sind nur stark, wenn sie möglichst viele Mitglieder haben. Wer einer Gewerkschaft beitritt, stärkt sich selbst. Und am Ende entscheidet das zum Beispiel darüber, ob man die 3000 Euro ganz, nur zum Teil oder gar nicht kriegt. Wer also in einem nicht tarifgebundenen Betrieb arbeitet, ist vom Gutdünken seines Arbeitgebers abhängig, ob er die 3000 Euro zahlt oder nicht.

    Das Thema „Tarifbindung“ beschäftigt Sie intensiv.

    Fahimi: Denn es ist schon ein befremdliches Verständnis von Sozialpartnerschaft, wenn Unternehmen in der Krise nach staatlichen Hilfen rufen und ihren Beschäftigten Zugeständnisse abverlangen wollen, aber nicht bereit sind, sich mit Gewerkschaften an einen Tisch zu setzen, um verlässliche Vereinbarungen zu treffen. Fazit: Staatliche Gelder dürfen nicht an Firmen ohne Tarifvertrag und Mitbestimmung fließen.

    Dieses DGB-Verständnis ist jetzt auch in die Ausgestaltung der Gaspreis-Bremse eingeflossen.

    Fahimi: Für die Gas-Subventionierung an die Wirtschaft gilt: Es müssen Beschäftigungs- und Standortvereinbarungen abgeschlossen werden, um die Zuschüsse zu bekommen. Es wäre doch absurd, wenn eine Firma jetzt Subventionen kassiert, damit Profite sichert und anschließend die Produktion ins Ausland verlagert.

    Kanzler Scholz will niemanden allein lassen. Kommen wir alle gut durch den Winter?

    Fahimi: Ich hoffe es. Einzelne Haushalte kann die Lage trotz Energieprämie und Strom- sowie Gaspreis-Bremse sehr hart treffen, etwa wenn Menschen mit Mindestlohn in einer schlecht gedämmten Wohnung leben und den Gasversorger wechseln mussten.

    Werden diese Menschen allein gelassen?

    Fahimi: Nein, das hoffe ich nicht. Denn die Gaspreis-Kommission hat für solche Fälle den Härtefall-Fonds vorgeschlagen. Und auch den muss die Koalition zügig auf den Weg bringen. Wir erleben ja, dass immer mehr Menschen die Dienste von Tafeln in Anspruch nehmen müssen, weil das Geld nicht für das Essen reicht. Insofern kann ich die aus Reihen der Union angezettelte hässliche Diskussion über die Einführung eines Bürgergeldes, das Hartz IV ersetzen soll, nicht verstehen. Es kann nicht sein, dass wir in diesem reichen Land darüber diskutieren müssen, ob es angemessen ist, beim Bürgergeld für einen Inflationsausgleich zu sorgen.

    Dabei mahnt CSU-Chef Markus Söder, dass die Gefahr bestehe, Bürgergeldbezieher hätten am Ende mehr Geld als Erwerbstätige. Es sei ungerecht, dass Kassiererinnen weniger Geld zur Verfügung hätten, wenn sie arbeiten, als wenn sie nicht arbeiten.

    Fahimi: Es ist einfach nur ekelhaft, wenn versucht wird, Bürgergeldbezieher und Menschen mit Niedriglohn gegeneinander auszuspielen. Und es stimmt einfach nicht, dass ein Bürgergeldbezieher am Ende genauso viel hat, wie jemand, der täglich arbeiten geht. Wer solche Lügen verbreitet und versucht, schwache Gruppen in der Bevölkerung aufeinanderzuhetzen, ist mindestens ein Populist. Einem Ministerpräsidenten, der einmal Kanzler werden wollte, steht so etwas allemal nicht gut zu Gesicht. Menschen, die Bürgergeld erhalten werden, sind in Not geraten. Ihnen permanent Missbrauch zu unterstellen ist einfach unredlich. Wem ernsthaft daran gelegen ist, dass Menschen gut von ihrer Arbeit leben können, sollte mit uns um bessere Tarifbindung kämpfen.

    Sie sind die erste Frau an der Spitze des DGB. Ist das noch ein Thema, dass sie das geschafft haben oder längst selbstverständlich?

    Fahimi: Es ist leider noch nicht die neue Normalität, dass Frauen in unserer Gesellschaft Spitzenfunktionen erreichen. Diese Gleichberechtigung ist immer noch auf dünnem Eis gebaut. Doch wir haben jetzt mit mehr Frauen in Führungsfunktionen die Chance, diese Normalität zu schaffen. Für mich heißt das: Ich sehe mich nicht nur als Frau, die es geschafft hat. Ich will auch andere Frauen darin bestärken, Führungsaufgaben zu übernehmen und endlich die gläsernen Decken zu durchbrechen. In vielen Vorstandsetagen von Unternehmen gibt es noch antiquierte Vorstellungen wie aus dem vorletzten Jahrhundert.

    Die Gleichberechtigung ist also noch lange nicht erreicht.

    Fahimi: Sie ist so lange nicht erreicht, wie Frauen für die gleiche Arbeit, die Männer leisten, weniger Geld und weniger Rente bekommen. Sie ist so lange nicht erreicht, wie Frauen geringere Chancen auf Karriere haben und weniger an Weiterbildung im Betrieb teilnehmen. Sie ist so lange nicht erreicht, wie Erwerbsarbeit und unbezahlte Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern nicht gerecht aufgeteilt ist. Gerade in Krisenzeiten liegt die Hauptlast in den Familien wieder auf den Schultern der Frauen. Es gibt viel zu tun für uns Frauen.

    Yasmin Fahimi, 54, stammt aus Hannover. Die DGB-Vorsitzende ist Diplom-Chemikerin. Sie arbeitete als Gewerkschaftssekretärin bei der IG BCE. 2014 wurde Fahimi SPD-Generalsekretärin und später Staatssekretärin im Arbeitsministerium. Seit Mai dieses Jahres ist sie DGB-Vorsitzende.

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