Frau Langenmayr, die Konjunkturforscher revidieren ihre Prognosen reihenweise nach unten. Wie schlecht geht es Deutschland?
Dominika Langenmayr: Kurzfristig hatten wir einige Probleme mehr als andere Länder. Wir waren besonders abhängig von billigem Gas aus Russland und wir waren abhängiger von China. Vor allem deshalb stehen wir gerade nicht allzu gut da. Langfristig betrachtet macht uns vor allem der Investitionsstau zu schaffen. Da ist einiges liegen geblieben. Denken Sie nur an die Modernisierung der Bundeswehr, die Digitalisierung oder den Klimaschutz.
Unsere Wirtschaft schrumpft gerade. Kann man das allein mit den Folgen der Pandemie und des Krieges in der Ukraine erklären?
Langenmayr: Der Krieg in der Ukraine macht uns ärmer, keine Frage. Im Moment kommt aber auch viel zusammen, sodass unsere strukturellen Probleme plötzlich viel sichtbarer sind.
Weil Sie den Klimaschutz ansprechen: Schafft er mithilfe neuer, innovativer Technologien tatsächlich Wachstum, wie die Grünen argumentieren, oder kostet er uns am Ende Wohlstand?
Langenmayr: Beides kann passieren. Wenn wir es gut hinbekommen, kann das langfristig ein Standortvorteil sein. Würden wir nichts in den Klimaschutz investieren, wären die Folgekosten viel höher als die Kosten, die wir jetzt tragen. Aber ja: Zunächst kostet der Klimaschutz etwas.
Das Ifo-Institut sagt Deutschland eine Flaute mit Wachstumsraten knapp über der Nulllinie bis ins Jahr 2030 voraus. Ist das gottgegeben oder lässt sich dieser Trend noch drehen?
Langenmayr: Wirtschaftspolitische Maßnahmen haben natürlich eine Wirkung. Trotzdem werden wir uns ganz generell auf niedrigere Wachstumsraten einstellen müssen. Vom nächsten Jahr an beginnt die arbeitende Bevölkerung zu schrumpfen, weil die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Weniger Menschen aber können nur in begrenztem Umfang mehr Waren und Dienstleistungen produzieren.
Die Politik diskutiert gerade eine Reihe von Maßnahmen, um der Wirtschaft auf die Sprünge zu helfen. Lassen Sie uns einige davon kurz unter die Lupe nehmen. Soll der Staat, erstes Beispiel, in energieintensiven Betrieben einen Teil der Stromkosten übernehmen?
Langenmayr: Da bin ich sehr skeptisch. Eine solche Maßnahme macht nur Sinn, wenn sie zeitlich eng begrenzt ist. An die Erzählung, dass wir in einigen Jahren deutlich niedrigere Strompreise bekommen werden, glaube ich nicht. Wir haben weder Sonne noch Wind im Übermaß, und wir haben keine Atomkraftwerke mehr. Ich würde die Milliarden, die eine solche Subvention kosten würde, in den Ausbau unserer Infrastruktur stecken. Was ich mir vorstellen kann, sind Strompreiszonen. An der Küste, wo viel Windenergie produziert wird, wäre der Strom dann billiger als bei uns in Bayern. Das setzt Anreize zum Ausbau von Energieproduktion und Stromtrassen und senkt im Durchschnitt die Strompreise.
Zweiter Vorschlag: Aus dem niedrigeren Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für die Gastronomie, befristet eingeführt in der Pandemie, wird ein dauerhafter Steuerrabatt.
Langenmayr: Auch da bin ich sehr skeptisch. Wenn mehr Menschen essen gehen, bringt das kein Wachstum, sondern heizt die Inflation an. Dazu kommt das Glaubwürdigkeitsargument: Eine Maßnahme, die in einer schwierigen Situation befristet eingeführt wird, muss auch eine befristete Maßnahme bleiben. Und ganz abgesehen davon, dass die Mehrwertsteuer das falsche Instrument ist, um einzelne Industriezweige zu fördern: Komme ich jetzt der Gastronomie entgegen, wird irgendwann die nächste Branche für sich das gleiche Privileg fordern. Ich würde die vielen Ausnahmeregelungen bei der Mehrwertsteuer streichen und die Menschen dafür bei der Einkommenssteuer etwas entlasten.
Drittes Beispiel: der Deutschlandplan von Olaf Scholz. Schnellere Genehmigungsverfahren, weniger Bürokratie, mehr Tempo bei der Digitalisierung …
Langenmayr: Weniger Bürokratie wünschen wir uns doch alle. Das ist wahnsinnig schwer umzusetzen, aber wenn es gelänge – umso besser.
Müssen wir bei einer schrumpfenden Zahl an Erwerbstätigen nicht mehr arbeiten? Stattdessen will die IG Metall in der Stahlindustrie jetzt die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich einführen.
Langenmayr: Um unseren materiellen Wohlstand zu erhalten, brauchen wir mehr Arbeit. Das heißt allerdings nicht, dass jeder 60 Stunden die Woche arbeiten soll. Wir haben noch ein Potenzial an Arbeitskräften, das wir heben können – zum Beispiel bei Frauen, die häufig Teilzeit arbeiten. Viele Studien zeigen, dass mit der Qualität der Kinderbetreuung auch die Erwerbsquote der Frauen steigt. Es kann sogar sein, dass es hier hilft, wenn Männer im Gegenzug etwas weniger arbeiten. Wenn beide Partner 75 Prozent arbeiten, ist das besser, als wenn einer Vollzeit arbeitet und der andere einen Minijob hat. Genau solche Lebensmodelle aber fördern wir mit dem Ehegattensplitting auch noch.
Heißt mehr arbeiten auch länger arbeiten? Also über das 67. Lebensjahr hinaus, selbst wenn der berühmte Dachdecker das gar nicht kann?
Langenmayr: Er kann nicht mehr auf dem Dach stehen, aber er kann Rechnungen schreiben, Kunden beraten oder den Bau einer Solaranlage planen. Wollen wir unser Rentenniveau halten, muss das Renteneintrittsalter weiter steigen. Und falls jemand freiwillig noch länger arbeiten möchte: Warum nicht?
Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Steuerpolitik. Was würde eine Finanzministerin Langenmayr denn als Erstes ändern?
Langenmayr: Bleiben wir realistisch. Wir sollen die Schuldenbremse einhalten, haben zugleich aber einen riesigen Investitionsbedarf – da ist nicht viel Spielraum für Steuersenkungen. Also müssen wir innerhalb des vorgegebenen Rahmens umstrukturieren, das heißt: weniger konsumieren, mehr investieren. So bekommen wir mehr Wachstum und die Inflation in den Griff. Für eine clevere Idee halte ich den verbesserten Verlustrücktrag für Unternehmen, wie er auch im neuen Gesetz von Herrn Lindner vorgesehen ist, auch wenn er etwas großzügiger hätte ausfallen dürfen. Betriebe, die jetzt Verluste machen, bekommen sofort Geld vom Staat zurück, das gibt ihnen Liquidität und nimmt ihnen auch etwas an Risiko. Für den Fiskus ist das ein Nullsummenspiel: Früher haben Unternehmen solche Verluste in den Folgejahren mit ihren Gewinnen verrechnet und später entsprechend weniger Steuern gezahlt.
Viele Unternehmen klagen über die Gewerbesteuer, die jede Kommune selbst festlegt. Ein unterschätzter Kostenfaktor?
Langenmayr: Diese Steuer ist völlig aus der Zeit gefallen. Was war Unternehmen früher wichtig? Ein gut angeschlossenes Industriegebiet, und das war Sache der Kommune, die das über die Gewerbesteuer honoriert bekam. Was wollen Unternehmen heute? Gut ausgebildete Fachkräfte, vielleicht einen Flughafen in der Nähe und einen hohen Freizeitwert, um auch gute Leute zu bekommen. Das haben die Kommunen nicht mehr selbst in der Hand. Ihre Gewerbesteuern aber machen trotzdem mehr als die Hälfte der Steuerbelastung der Unternehmen aus. Warum also nicht auf die Gewerbesteuer verzichten und den Gemeinden dafür einen kommunalen Zuschlag auf Einkommens- und Körperschaftssteuer erlauben? Auch das wäre ein Beitrag zum Bürokratieabbau, da die aufwendige Berechnung der Gewerbesteuer wegfallen würde.
Zur Person: Dominika Langenmayr ist Professorin für Volkswirtschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seit zwei Jahren gehört die 37-Jährige auch dem wissenschaftlichen Beirat an, der das Bundesfinanzministerium berät.