Frau Niebler, es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Kritik an der Kommissionspräsidentin von der Leyen, dass sie zwar ihren Grünen Deal kraftvoll vorantreibe, dabei aber die Interessen der Wirtschaft übersehe. Wie überzeugt sind Sie davon, dass sich das nun in ihrer neuen Amtszeit ändert?
ANGELIKA NIEBLER : Ich freue mich, dass die Kommissionspräsidentin jetzt gegensteuert. Mir liegt eine Kehrtwende gerade in der Wirtschaftspolitik sehr am Herzen. Die neue Kommission wird einen wuchtigen Aufschlag vorlegen, etwa beim Bürokratieabbau, und um die Energiepreise zu senken. Wir können Europas schleichendem Niedergang nicht einfach bloß zusehen. Nur, wenn wir ein attraktiver Wirtschaftsstandort bleiben, können wir unsere Sozialleistungen erwirtschaften.
Die Bewerbungsrede von der Leyens klang, ehrlich gesagt, nicht nach weniger Bürokratie. Im Gegenteil: Aus den Ideen des Grünen Deals werden nun konkrete Gesetze, mit der Folge, dass eine ganze Flut an neuen delegierten Rechtsakten über den Mittelstand hereinzubrechen droht.
NIEBLER : Dazu darf es nicht kommen. Schon bei der Anhörung der Kommissare, die jetzt beginnt, muss es zu ersten wirtschaftspolitischen Festlegungen kommen – und zwar im Sinne des Mittelstandes. Wer diesen Prioritäten nicht folgt, den sehe ich nicht als Mitglied der neuen Kommission.
Die CSU ist bei der Wahl mit der Spitzenkandidatin von der Leyen angetreten, um das sogenannte Verbrenner-Aus zu kippen. Nach der Wahl halten die Kommission und Ihre Spitzenkandidatin nun einfach daran fest. Was gilt denn nun?
NIEBLER : Wir wollen, dass das Verbrenner-Verbot gekippt wird. Das ist ein zentrales Wahlkampfversprechen und das werden wir auch einfordern. Fest steht, dass es im Jahr 2026 eine Überprüfung der gegenwärtigen Regelung geben wird, das ist unser Einfallstor. Frau von der Leyen hat bereits angekündigt, E-Fuels als Ausnahme zuzulassen. Aber das reicht nicht. Technologieoffenheit ist mehr. Wir werden diesen kleinen Spalt nutzen und die Tür kraftvoll eintreten – im Sinne einer großen Lösung für Technologieoffenheit.
Macht die Verbissenheit, mit der die CSU gegen das Verbrenner-Verbot anrennt, überhaupt Sinn? In China etwa müssen die deutschen Autobauer gerade einpacken, weil der Milliardenmarkt auf E-Mobilität setzt, eine Entwicklung, die die Deutschen lange Zeit verschlafen haben. Geht die Welt nicht an unseren Debatten längst vorbei?
NIEBLER : Es ist nicht Aufgabe der Politik, eine Technologie vorzuschreiben. Sicher, die E-Mobilität wird in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen, in China, bei uns, überall. Aber es gibt auch Wasserstoff, E-Fuels, Biokraftstoffe und vieles mehr. Technologieoffenheit bedeutet, in Bezug auf Antrieb und Kraftstoffe, der Innovation Raum zu lassen.
China tritt in Handelsfragen zunehmend selbstbewusst auf, der freie Welthandel, von dem Europa jahrzehntelang profitierte, ist unter Druck. Was tun Sie in Brüssel, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken?
NIEBLER : Dreh- und Angelpunkt ist unser Binnenmarkt, unser Kronjuwel, wenn Sie so wollen. Wir müssen ihn ausbauen und stärken, bei der Energie zum Beispiel und bei Dienstleistungen. Ergänzt werden muss das durch neuen Schwung bei Handelsabkommen. Wir dürfen aber auch nicht naiv sein. Wenn vom chinesischen Staat hochsubventionierte E-Autos die europäische Konkurrenz kaputtmachen, müssen wir uns schützen. Ich begrüße es daher, dass die Kommission Strafzölle auf den Weg bringen will. Das Beispiel der Solarindustrie darf sich nicht wiederholen. Europa erfindet etwas, und dann machen die anderen das Geschäft damit.
Während Europa beim Klima gern neue Regeln setzt, gehen die Amerikaner ganz anders vor und machen mit dem Anreiz von Steuererleichterungen ein Wachstumsprogramm für ihre Wirtschaft daraus. Wäre das nicht der bessere Weg?
NIEBLER : Der amerikanische Weg ist richtig. Aber anders als Washington kann Brüssel nicht einfach Steuererleichterungen für ganz Europa verordnen, um Investitionen in klimafreundliche Technik anzukurbeln. Diesen Weg müssen die Nationalstaaten gehen. Leider sehen wir da gerade bei der Bundesregierung wenig Bereitschaft, insbesondere nicht bei den Grünen. Bei der Ampel kommt Ideologie vor Pragmatismus.
Frau von der Leyen hat sich nun auch den Kampf gegen die Wohnungsnot auf die Fahne geschrieben und will einen Kommissar für Wohnungsbau einführen. Glauben Sie ernsthaft, dass so ein Posten an der angespannten Lage in München und anderen Großstädten irgendwas ändern kann?
NIEBLER : Ich teile Ihre Skepsis. Der Wohnungsbaukommissar wird die Wohnungsnot in München und vielen anderen Städten nicht beheben. So ein Kommissar könnte aber eine Art Wächterfunktion haben. Entbürokratisieren, Vereinfachen, Kohärenz schaffen – darum geht es. Wir können nicht dauernd sagen, wir brauchen Wohnraum, und dann verteuert die Kommission gleichzeitig das Bauen mit immer neuen Auflagen, etwa zur Energieeffizienz.
Ärger droht der Kommission jetzt auch noch von den Waldbesitzern. Wer in Zukunft Bäume fällt, muss den Einschlagsort der Bäume mit Geo-Daten nach Brüssel melden, die Holzart mit lateinischem Namen und sonstige Sorgfaltserklärungen abgeben. Dann gibt’s eine Referenznummer der EU und erst dann darf das Holz verkauft werden. So sieht es die EU-Entwaldungsverordnung vor, die nun in Kraft zu treten droht. Wer, bitte schön, denkt sich sowas aus?
NIEBLER : Ganz ehrlich: Diese Regeln sind ein Wahnsinn. Die EU-Entwaldungsverordnung ist ein übergriffiges Regelwerk, sie darf so nicht in Kraft treten. Die Kommission ist mit ihrer Einschätzung der nationalen Waldschutzgesetze in Verzug, da kann es jetzt nicht sein, dass die geplanten Verschärfungen einfach so kommen. Ich erwarte zeitnah eine klare Ansage der Kommission. Ich habe einen Pinselhersteller in meinem Wahlkreis. Wie soll der denn nachweisen, in welchem Brett welcher Baum verarbeitet ist? Oder denken Sie an einen mittelgroßen Möbelbetrieb. Irre! Ich verstehe, dass man gegen das Abholzen des Amazonas und im Kongobecken vorgehen muss. Aber es ist nicht Aufgabe des bayerischen Mittelstands, dieses Problem zu lösen. Da bin ich sehr emotional.
Sehen Sie da nicht ein Muster, wie in der vergangenen Legislatur. Kaum ist Frau von der Leyen gewählt, schon spielen die Befindlichkeiten von CDU und CSU in Brüssel keine Rolle mehr?
NIEBLER : Nein. Ich gehe mit Zuversicht in die nächsten fünf Jahre. Das Wahlprogramm, neue Prioritäten, eine neue Ausrichtung in Richtung Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit - Frau von der Leyen hat den Kurs doch schon geändert. Sie sendet Signale der Korrektur, des Umdenkens. Und das gehen wir jetzt mit ihr konkret an.
Bei der Europawahl kam es zuletzt zu einem Rechtsruck überall auf dem Kontinent, auch in Deutschland schnitt die AfD gut ab. Bei den Landtagswahlen am Wochenende wird sie diese Ergebnisse nochmal verbessern. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
NIEBLER : Noch ist in Thüringen und Sachsen nichts entschieden. Die Kolleginnen und Kollegen der CDU kämpfen um jede Stimme. Die Leute sind von der Ampel enttäuscht und sie lehnen die Migration im gegenwärtigen Umfang ab. Wir haben im Europäischen Parlament einen Migrationspakt im April verabschiedet…
Gleichzeitig gibt es mehr illegale Migranten als im Vorjahr, meldet das Bundeskriminalamt…
NIEBLER : Leider ja, wir sind nicht da, wo wir hinmüssen, aber eine Basis ist gelegt. Für Drittstaatenabkommen, für eine wirkungsvolle Kontrolle der Außengrenzen, für eine harte Linie bei illegaler Migration. Der Anschlag von Solingen zeigt, wie wichtig das ist. Andernfalls wächst die Bereitschaft, den einfachen Parolen von AfD und BSW zu folgen, also den Populisten von Rechts und Links.
Zur Wahrheit gehört aber doch auch, dass CDU und CSU in Ihrer Regierungszeit viel liegen haben lassen. Atomausstieg ohne ein Konzept für bezahlbare Ökoenergie, die Politik der offenen Grenzen in der Flüchtlingskrise, die Abhängigkeit vom russischen Gas … sollte die Union die Ära Merkel aufarbeiten?
NIEBLER : In 16 Jahren Regierung macht man automatisch nicht immer alles richtig. Da sind sicher manche Entwicklungen falsch bewertet worden. Erinnern Sie sich – in der Asylpolitik hätte es CDU und CSU fast zerrissen. Dennoch waren die letzten Jahre unter der Ampel eine Katastrophe. Deutschland muss sich besser aufstellen.
Wer steht mehr für einen neuen Anfang nach den Merkel-Jahren und dem Ampel-Chaos - Friedrich Merz oder Markus Söder?
NIEBLER : Auf diese Frage habe ich gewartet.
Und da ist sie – zum krönenden Abschluss.
NIEBLER : Beide können Kanzler. Der Fahrplan ist klar: Beide setzen sich nach den Landtagswahlen zusammen und machen diese Sache aus. Und ich denke, da wird ein gutes Ergebnis herauskommen.
Sollte Söder erneut nach der Kanzlerkandidatur greifen?
NIEBLER : Das weiß unser Ministerpräsident selbst am besten. Da braucht er keine Ratschläge von mir.
Zur Person
Angelika Niebler, 61, ist stellvertretende Parteivorsitzende der CSU. Die gebürtige Münchnerin ist seit 1999 Mitglied des Europäischen Parlamentes und seit 2018 Präsidentin des Wirtschaftsbeirates der Union.
Vor ein paar Tagen Holetschek, jetzt Frau Niebler! Wieviel CSU wollen Sie uns denn noch bieten? Und über welchen (Um)weg wollen Sie denn Herrn Söder in seinem Ehrgeiz nach der Kanzlerschaft noch promoten? Denn genau das ist doch der Kern dieses Interviews.
Sehr richtig. Das erinnert mich an den Bayern Kurier.
Warum wird in einer serioesen Zeitung auch nur vom "Verbrennerverbot" geschrieben ? Ein solches gibt es nicht (www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/europa/verbrennermotoren-2058450). Die neu zuzulassenden Verbrenner muessen ab 2035 lediglich CO2-neutral sein, d.h. mit geeignetem Sprit fahren.
CO2- Neutralität ist eine der schlimmsten Irreführungen überhaupt. Aus einem Quadratmeter Rapsfeld kann man pro Jahr 0,15 Liter Rapsdiesel gewinnen was ungefähr 0,4 kg CO2 entspricht. Wald bindet die dreifache Menge des Treibhausgases als Holz und kühlt im Gegensatz zu einer Ackerfrucht- Monokultur das Mikroklima ab.
DIe Fragestellung ist dermaßen tendenziös dass man den Summs genauso gut (oder noch besser) in einer CSU-Werbepostille hätte abdrucken können. Dass es der Chefredakteur war der das fabriziert hat ist in meinen Agen um so beschämender.
Richtig, Frau Niebler, es ist nicht Aufgabe der Politik, eine Technologie vorzuschreiben. Aber es ist auch nicht Aufgabe der Politik, die Schlafmützigkeit der Automobilindustrie zu unterstützen. Der Binnenmarkt reicht längst nicht mehr, damit ein Unternehmen wirtschaftlich betrieben werden kann. Und Sie sollten lieber den Dreck vor der Haustüre von CDU/CSU selbst verantworten, statt in bewährter Manier andere dafür verantwortlich zu machen!
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