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Interview: Fuest zur Strompreisbremse: „Umverteilung von der rechten in die linke Tasche“

Interview

Fuest zur Strompreisbremse: „Umverteilung von der rechten in die linke Tasche“

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    Der Topökonom Clemens Fuest warnt vor einer Rezession und weiter steigenden Preisen: „Deutschland ist durch die Energieverknappung spürbar ärmer geworden.“
    Der Topökonom Clemens Fuest warnt vor einer Rezession und weiter steigenden Preisen: „Deutschland ist durch die Energieverknappung spürbar ärmer geworden.“ Foto: Sebastian Kahnert, dpa

    Bundeswirtschaftsminister Habeck hat einer Verlängerung der Atomkraftwerkslaufzeiten eine Absage erteilt. Nur zwei Reaktoren sollen bis April als Notreserve betriebsfähig gehalten werden. Wie bewerten Sie die Entscheidung angesichts der drohenden Energiekrise im Winter?

    Clemens Fuest: Ich halte das für einen Fehler und für ein problematisches Signal auch gegenüber unseren europäischen Partnern. Wir haben einen gemeinsamen Strommarkt, und es gibt nicht nur ein nationales, sondern auch ein dringendes gesamteuropäisches Interesse daran, alle verfügbaren Kapazitäten zu nutzen.

    Der Wirtschaftsminister erklärt, dass längere Laufzeiten für Atomkraftwerke den Strom nicht billiger machen würden, weil die Strompreise auch trotz der letzten drei laufenden Akw extrem gestiegen seien. Hat er mit dieser Logik Recht?

    Fuest: Die Akw könnten die Zeit etwas verkürzen, in der die Gaskraftwerke laufen müssen. Außerdem würde durchgehend weniger Gas gebraucht, und das senkt den Gaspreis. Beide Effekte würden den Strompreis senken. Wegen der großen Strommengen, die verbraucht werden, ist auch eine kleine Preissenkung wichtig. Es geht aber nicht nur um den Preiseffekt. Da die Grenzkosten der Kernkraftwerke sehr gering sind, würden durch deren Nutzung große Werte geschaffen. Das führt unter anderem zu steigenden Steuereinnahmen. Außerdem würde der geringere Gasverbrauch das Risiko senken, dass Industrieunternehmen überhaupt kein Gas mehr bekommen.

    Wie sehr ist Deutschland als Standort vieler energieintensiver Industriebereiche auf günstige Strompreise angewiesen? Kann die Energiewende dabei ohne billiges Gas als Brückentechnologie ohne wirtschaftliche Verwerfungen gelingen?

    Fuest: Der Strompreis ist für viele Industrieunternehmen ein sehr wichtiger Standortfaktor. Deutschland hatte schon vor dieser Krise im internationalen Vergleich eher hohe Strompreise. Bei der Energiewende wird man neu darüber nachdenken müssen, welche Rolle Gas noch spielen kann. Ich gehe allerdings davon aus, dass mittelfristig genug Gas aus anderen Quellen als Russland verfügbar ist.

    Für die Privathaushalte verspricht die Regierung eine „Strompreisbremse“ und will dafür „Zufallsgewinne“ von Stromerzeugern abschöpfen. Halten Sie das Vorhaben für praxistauglich?

    Fuest: Die Strompreisbremse ist unerprobt, insofern muss sich erst zeigen, ob und wie sie funktioniert. Sehr zielgenau ist sie allerdings insofern nicht, als sie vielen Stromkunden zugute kommt, die sich die höheren Stromkosten durchaus leisten können. Das ist Umverteilung von der rechten in die linke Tasche. Bei der Abschöpfung von Gewinnen muss man abwarten, wie das Instrument gestaltet wird. Es ist ja nicht an eine direkte Gewinnbesteuerung gedacht, sondern eher an eine Abgabe, die von der verwendeten Energieerzeugungstechnik abhängt und anfällt, wenn der Strompreis ein gewisses Niveau übersteigt. Da sind viele Fragen offen.

    Wie stabil und teuer wird Deutschlands Stromversorgung?
    Wie stabil und teuer wird Deutschlands Stromversorgung? Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Wie beunruhigend ist die stark schwankende Strombörsensituation mit ihren explodierenden Preisen? Sollte die Politik Maßnahmen ergreifen, um den Strommarkt zu beruhigen?

    Fuest: Die starken Preisschwankungen sind auch Ausdruck der hohen Unsicherheit über die Stromversorgung. Die Schwankungen sind aber nicht das Hauptproblem, sondern die Angebotsverknappung und die hohen Preise. Markteingriffe können umverteilen, aber sie können die Knappheit nicht aus der Welt schaffen. Wenn sie schlecht gemacht sind, verschärfen sie die Knappheit noch. Energiesparen ist wichtig, aber das Angebot auszuweiten ebenfalls. Darauf sollte die Politik sich konzentrieren.

    Welche Folgen drohen für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt?

    Fuest: Durch den Lieferstopp für russisches Gas ist eine Rezession sehr wahrscheinlich geworden. Wie tief die ausfallen wird ist schwer prognostizierbar, unter anderem deshalb, weil wir mit einer derartigen Gasrationierung keine Erfahrungen haben. Die herrschende Arbeitskräfteknappheit wird aber voraussichtlich verhindern, dass die Arbeitslosigkeit stark steigt.

    Es gibt einerseits die Forderung, Hilfen aus Steuergeldern nur denjenigen zukommen zu lassen, die sie am nötigsten haben. Auf der anderen Seite droht der Unmut aus der Mitte, die sich in die Rolle des „Zahlmeisters“ gedrängt fühlt. Wie kommt die Politik aus diesem Dilemma?

    Fuest: Deutschland ist durch die Energieverknappung spürbar ärmer geworden. Diesen Wohlstandsverlust kann die Politik nicht aus der Welt schaffen. Sie kann den Verlust nur umverteilen. Wenn der eine Teil der Bevölkerung Hilfen erhält, bedeutet das, dass der andere Teil nicht nur die eigenen erhöhten Energiekosten tragen muss, sondern zusätzlich die Hilfen für die anderen. Die Politiker sollten den Bürgern offen sagen, dass das so ist. Ich denke, dass die Mehrheit der Bürger die Hilfen trotzdem unterstützt.

    Die Bundesregierung hat angekündigt, wie beim Corona-Bonus Sonderzahlungen bis zur Höhe von 3000 Euro steuer- und abgabenfrei stellen zu wollen. Könnte diese Maßnahme zu einer breiten Entlastung der Arbeitnehmer führen?

    Fuest: Ursprünglich war das vorgeschlagen worden, um Anreize für Einmalzahlungen statt dauerhafter Lohnerhöhungen zu setzen, damit keine Lohn-Preis-Spirale entsteht. Dabei wird übersehen, dass die Steuerentlastung selbst die Inflation anheizt. Von einer Lohn-Preis-Spirale ist derzeit wenig zu sehen. Einmalzahlungen sind eher wegen der hohen Unsicherheit über die weitere Wirtschaftsentwicklung sinnvoll. Aber der Staat sollte sie nicht von Steuern und Abgaben befreien. Dafür gibt es keine überzeugende Begründung. Man sollte die Lohnsetzung den Tarifparteien überlassen.

    Wie groß ist Ihre Sorge, wenn Sie auf den Winter und das kommende Jahr blicken?

    Fuest: Dass die Lage schwierig ist, liegt auf der Hand. Wichtig ist, dass die Politik jetzt alle Möglichkeiten nutzt, um das Energieangebot zu verbessern und nicht den Fehler macht, die Energienachfrage mit Steuersenkungen oder Subventionen noch zu steigern. Die Steuersenkung für Gas hat leider diese Wirkung. Direkte und gezielte Einkommenshilfen für Gruppen, die die Lasten nicht tragen können, sind der bessere Weg.

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