Herr Özdemir, die verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung, zunächst nur für Schweinefleisch, ist auf den Weg gebracht. Bei den Bauern gibt es Sorge, dass sie zu neuen Auflagen und letzten Endes zur Abwanderung der Tierhaltung ins Ausland führt. Wie wollen Sie das verhindern?
Cem Özdemir: Unser Ziel ist, dass Verbraucherinnen und Verbraucher eine echte Wahl für mehr Tierschutz bekommen. Das geht nur, wenn alle Fleischprodukte – egal ob im Kühlregal, an der Theke oder auf der Speisekarte – gekennzeichnet sind. Wir geben damit den Betrieben eine Sichtbarkeit, die ihre Tiere besser halten. Das ist im Wettbewerb ein Vorteil, weil sich die Leute ja eine bessere Tierhaltung ganz klar wünschen. Das zeigen alle Verbraucherbefragungen. Ich will, dass auch in Zukunft gutes Fleisch aus Deutschland kommt. Dafür müssen wir aber die Tierhaltung zukunftsfähig aufstellen. Bei dem jetzigen System profitieren vor allem die großen Betriebe. Gerade die kleineren und familiengeführten Höfe haben dagegen keine Chance. Wir wollen, dass weniger Tiere, dafür aber besser gehalten werden – dabei wollen wir die Landwirtinnen und Landwirte unterstützen. Am Ende profitieren Tiere, Halter, Klima und Umwelt. Übrigens ist kein einziger Betrieb verpflichtet, seine Ställe umzubauen, den Tierbestand zu reduzieren oder Schweine tiergerechter zu halten. Wer aber auf eine bessere und zukunftsfähige Tierhaltung setzt und damit einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leistet, dem geben wir Planungs- und Investitionssicherheit.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen angeblich bessere Haltungsbedingungen. Doch beim Einkaufen am Regal spielt offenbar dennoch der Preis die wichtigste Rolle – erst Recht in Zeiten hoher Inflation. Wie kann der Umbau der Tierhaltung langfristig funktionieren, wenn der Markt nicht mitspielt?
Özdemir: Das wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Wir drehen da an einem großen Rad. Meine politische Verantwortung besteht darin, die Wahl für gesundes und nachhaltiges Essen und Fleisch aus tiergerechter Haltung zur einfachen Wahl zu machen. Die persönliche Verantwortung, einen Beitrag zur eigenen Gesundheit, zum Umwelt- und Klimaschutz zu leisten, die kann ich letztlich niemandem abnehmen. Jede Bürgerin, jeder Bürger sollte sich darüber bewusst sein, dass es einen Unterschied macht, wie wir essen. Jeder Bissen zählt, wenn es um Tierwohl oder Klima geht.
Der Verkauf von Bio-Lebensmitteln ist massiv eingebrochen, offenbar auch eine Folge der Energiepreis- und Inflationskrise. Was wollen Sie tun, damit das ehrgeizige Ziel von 30 Prozent Bio in der Landwirtschaft noch erreicht werden kann?
Özdemir: Die Bionachfrage geht ja nicht wirklich zurück, die Leute kaufen nur woanders Bio. Einige Konsumenten wechseln zu den Eigenmarken bei den Discountern und gehen weg vom klassischen Bioladen. Für diese Pioniere des Biomarkts ist das eine bittere Nachricht – zumal die Preise teils nicht höher waren als beim Discounter. Wer übrigens meint, dass Bio teurer ist, der wird gerade eines Besseren belehrt: Manche Bio-Produkte sind nun sogar günstiger als konventionelle. Das liegt auch daran, dass der Ökolandbau nicht auf teuren Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel angewiesen ist. Um das 30-Prozent-Ziel zu erreichen, müssen wir Angebot und Nachfrage im Einklang entwickeln. Ein wichtiger Hebel dafür ist die Gemeinschaftsverpflegung – etwa in Kitas, Schulen, Krankenhäusern, Kantinen oder Mensen. Täglich essen sechs Millionen Menschen in Deutschland auswärts. Wir wollen deswegen die Nachfrage ankurbeln, auch indem wir die Marktmacht des Bundes nutzen. In den Bundeskantinen wollen wir einen Bio-Anteil von mindestens 30 Prozent verankern. Gleichzeitig fördern wir auch andere Kantinen, die mehr Bio etablieren wollen.