Herr Horn, Airbus scheint sich nicht davon abbringen zu lassen, die Augsburger Tochter-Firma Premium Aerotec zu zerschlagen. Viele Beschäftigte haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Sie sagen, wer sich auf Unternehmensentscheidungen verlässt, ist verlassen.
Johann Horn: Das ist ein Paradebeispiel für meine These. Hier fällt mit Airbus im französischen Toulouse ein großer Konzern einen Beschluss, der über die berufliche Existenz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entscheidet. Solche Entscheidungen werden danach ausgerichtet, möglichst viel Gewinn zu erzielen. Selbst wenn es harte Kritik an solchen Entscheidungen gibt und Arbeitnehmervertreter schlüssige und wirtschaftlich tragfähige Zukunftskonzepte vorlegen, was bei Premium Aerotec der Fall ist, werden am Ende trotzdem die Entscheidungen gegen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefällt.
Warum eigentlich?
Horn: Weil Konzerne so möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen wollen. Dennoch ist die Haltung von Airbus unverständlich, bekommen doch die Betriebsräte von Premium Aerotec für ihr Konzept zur Abwehr der Zerschlagung des Unternehmens Rückendeckung von der Bayerischen Staatsregierung und von der Regierung in Niedersachsen. Doch die Manager lassen sich davon nicht beeindrucken. Sie wollen das Unternehmen zerschlagen und gefährden damit Arbeitsplätze. Am Ende wird Produktion nach Osteuropa verlagert. Es ist nicht auszuschließen, dass dies langfristig das Aus für das Premium-Aerotec-Werk in Augsburg sein könnte.
Das klingt fatalistisch.
Horn: Leider erleben wir solche Fälle als Gewerkschafter sehr häufig. Und deswegen sage ich: Wer sich als Arbeitnehmer auf Unternehmens-Entscheidungen verlässt, ist verlassen. Das trifft jedenfalls auf große Konzerne zu. Bei vielen mittelständischen Unternehmen ist das zum Glück anders. Hier übernehmen Inhaber Verantwortung und gehen auch durchaus auf Ideen aus dem Beschäftigtenlager ein. Doch bei Konzernen empfinden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufig nur Ohnmacht, wie das jetzt in Augsburg zu beobachten ist.
Wie kann die Ohnmacht überwunden werden?
Horn: Wir müssen den Menschen die Ohnmacht nehmen. Das darf nicht so bleiben. Denn das ist sozialer Sprengstoff.
Und wie gelingt das konkret?
Horn: Indem wir die Menschen auch in den Betrieben demokratisch beteiligen. Das heißt: Mitbestimmung ausbauen. Mitbestimmte Unternehmen stehen in der Regel auch besser da als Unternehmen, in denen es keine Mitbestimmung gibt.
Doch Airbus ist ein mitbestimmtes Unternehmen mit der Arbeitnehmerseite in den Aufsichtsräten.
Horn: Es gibt aber auch bei Airbus keine echte Mitbestimmung. Am Ende setzt sich bei Konzernen wie Airbus immer das Management durch, weil der von der Arbeitgeberseite stammende Aufsichtsratsvorsitzende ein Doppelstimmrecht hat und damit die Vertreter der Beschäftigten überstimmen kann. Und auf der Arbeitnehmerbank sitzt immer ein leitender Angestellter, der aber so gut wie nie gegen die Arbeitgeberseite stimmt. Tun sie das doch einmal, kommt eben stets das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Zuge.
Ist das ein Fall für den Gesetzgeber?
Horn: Das muss dringend gesetzlich anders geregelt werden, um ein wirkliches Gleichgewicht von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern in Aufsichtsräten zu schaffen. Ich plädiere also für die Abschaffung des Doppelstimmrechts und für die durchgängige Besetzung der Arbeitnehmerbank mit Beschäftigten-Vertretern, die eben keine leitende Funktion im Unternehmen haben. Wenn das Vertrauen der Menschen in die soziale Marktwirtschaft Bestand haben soll, müssen wir die Reform angehen und auch die Aufsichtsräte kleinerer Aktiengesellschaften ausgewogen besetzen und nicht zu zwei Dritteln mit Arbeitgeber-Leuten. Mir geht es dabei nicht um Enteignung oder so einen Quatsch. Ich will auch das Wirtschaftssystem nicht auf den Kopf stellen. Ich will nur, dass die Beschäftigten in dem tiefgreifenden Wandel der Wirtschaft demokratisch beteiligt werden.
Doch eine solche Mitbestimmungs-Reform zeichnet sich nicht ab. Was bleibt den Beschäftigten da noch?
Horn: Den Beschäftigten bleibt die Straße, um ihre Ohnmacht zu überwinden. Sie können also irgendwann nicht anders, als zu protestieren, ja sogar zu streiken. Es geht ja um ihre Existenz.
Und wenn Betriebsrätinnen und Betriebsräte Druck auf die Politik ausüben, das Management unter Druck zu setzen. Kann das nicht helfen?
Horn: Dann bekommen wir oft, wie meine Erfahrungen aus Bayern zeigen, zur Antwort, dass es sich um unternehmerische Entscheidungen handelt, gegen die Politiker nichts ausrichten können. Dann heißt es eben: Da mischen wir uns nicht ein. Doch die Politik sollte sich einmischen. Und man darf auch nicht fatalistisch werden: Wenn Beschäftigte auf die Straße gehen, können sie eine Unternehmensleitung zum Umdenken bewegen.
Haben Sie ein Mutmacher-Beispiel für die Augsburger Premium-Aerotec-Beschäftigten parat?
Horn: Ich war lange im Aufsichtsrat von Audi und kenne die Geschichte des Unternehmens gut. Audi wollte in den 70er Jahren das Werk in Neckarsulm schließen. Die Beschäftigtenvertreter schafften es nicht, diese Entscheidung des Vorstandes im Aufsichtsrat vom Tisch zu bekommen. Am Ende mussten sich die Beschäftigten im legendären „Marsch auf Heilbronn“ auf die Straße begeben.
Hat das etwas gebracht?
Horn: Durch die Solidarität der Beschäftigten und den dadurch entstandenen politischen Druck musste das Unternehmen den Beschluss, das Werk in Neckarsulm zu schließen, zurücknehmen. Wenn man sich heute anschaut, wie viel Geld Audi in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Werk in Neckarsulm verdient hat, kann das Unternehmen glücklich sein, dass es dem Druck der Straße nachgegeben hat.
Doch der Druck der Straße bringt oft nichts.
Horn: Wenn aber die Politik die Mitbestimmung nicht ausbaut, bleibt den Beschäftigten gar nichts anderes übrig, als auf die Straße zu gehen. Wir werden also den Kampf bei Premium Aerotec auf der Straße austragen. Was sollen wir denn auch anderes tun? Wir waren zu Kompromissen, ja sogar personellen Einschnitten bereit – und trotzdem hält Airbus an der Zerschlagung des Unternehmens fest.
Doch die Politik beschäftigt sich in der Wahlkampfzeit nicht mit dem Ausbau des Mitbestimmungsrechts oder anderen diffizilen Fragen, sondern vor allem mit dem Impf-Thema. Sind Sie eigentlich geimpft?
Horn: Natürlich. Wir werben ja auch zusammen mit dem Arbeitgeberverband in Bayern für das Impfen.
Ist es nicht unsolidarisch, wenn Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen impfen lassen könnten, es trotzdem verweigern?
Horn: Alle, die sich impfen lassen, zeigen Solidarität und helfen mit, dass wir möglichst schnell aus der Corona-Krise herauskommen.
Wer sich wie Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger nicht impfen lässt, verhält der sich demnach unsolidarisch?
Horn: Ich bin gegen eine Impfpflicht. Das lässt sich nicht mit unseren demokratischen Prinzipien vereinbaren. Und es gibt auch Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Diese Menschen verhalten sich auch nicht unsolidarisch.
Und Aiwanger?
Horn: Dann gibt es noch Menschen, die noch nicht vom Solidaritätsgedanken des Impfens überzeugt sind. Sie sind skeptisch und haben Sorgen vor Langzeitfolgen der Impfungen.
Wie gehen wir mit solchen skeptischen Menschen wie Herrn Aiwanger um?
Horn: Wir sollten mit Argumenten versuchen, sie von den Vorzügen des Impfens zu überzeugen. Solche Impf-Skeptiker schauen natürlich, wie sich prominente Menschen in der Öffentlichkeit dazu äußern. Dazu gehört Herr Aiwanger, aber auch Ministerpräsident Markus Söder.
Doch Söder ist im Gegensatz zu Aiwanger geimpft.
Horn: Ob Aiwanger sich impfen lässt, ist seine Sache. Aber Söder wie Aiwanger haben eine besondere Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Wenn ein Ministerpräsident und sein Stellvertreter in der Öffentlichkeit diesen Streit führen, dann schaden sie dem Vertrauen der Menschen ins Impfen. So lassen sich vorsichtige Menschen nicht überzeugen. Das geht an die Adresse von beiden: Auch Söder hätte diesen Streit nicht öffentlich austragen dürfen.
Manche nutzen solche Impf-Zwiste für ihre bizarren Theorien aus.
Horn: Das ist das eigentlich gefährliche: Menschen missbrauchen das für populistische Kampagnen und Verschwörungstheorien. Sie wollen ihr eigenes Süppchen kochen. Das ist im höchsten Maße unsolidarisch. Sie gefährden damit Menschenleben und auch Arbeitsplätze.