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Interview: Bayerns Bäcker-Chef: Dann ist unser täglich Brot in Gefahr

Interview

Bayerns Bäcker-Chef: Dann ist unser täglich Brot in Gefahr

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    Bayerns Bäcker-Chef Heinrich Traublinger spricht im Interview über die ernste Lage der Branche.
    Bayerns Bäcker-Chef Heinrich Traublinger spricht im Interview über die ernste Lage der Branche. Foto: Traublinger

    Herr Traublinger, die Energiepreise gehen durch die Decke. Wie teuer werden etwa Brezen?

    Heinrich Traublinger: Gegenwärtig kosten Brezen bei uns in der Region München im Schnitt zwischen 85 Cent und einen Euro. Der Preis für die Breze tendiert jetzt eher näher an einen Euro heran.

    Und wann kostet eine Breze zwei, drei Euro?

    Traublinger: Das ist momentan eine Horror-Vision, die weit weg ist.

    Aber schon wird spekuliert, viele Handwerksbäcker könnten im Winter aufgeben.

    Traublinger: Noch kenne ich in Bayern keinen Handwerksbäcker, der wegen der enorm hohen Gaspreise seinen Betrieb aufgegeben hat. Natürlich müssen wir mit Insolvenzen rechnen. Und mancher Handwerksbäcker, der eigentlich erst in drei Jahren aufhören wollte, wird das jetzt aufgrund des enormen Kostendrucks möglicherweise früher tun. Ich bin ein positiv denkender Mensch und rechne nicht mit einem beschleunigten Bäckersterben. Aber eine Sache beunruhigt mich dann doch.

    Was treibt Sie um?

    Traublinger: Mich stört, dass Discounter nach wie vor mit Dumping-Angeboten für Brot werben. Dabei können sie wegen ihrer Größe und der Masse der Backwaren, die sie verkaufen, ganz anders kalkulieren. Es ist schlechter Stil, dass sie trotz der dramatischen Zeiten für unsere Branche Backwaren als Lockmittel verwenden. Es ist nicht akzeptabel, dass die Konzerne immer noch mit Angeboten werben, nach denen ein Kilo Roggenmischbrot nur 1,79 Euro kostet.

    Sie fühlen sich als Handwerksbäcker von den Discountern provoziert.

    Traublinger: Natürlich ist das eine Provokation für uns Handwerksbäcker. Wir können den Discountern nicht vorschreiben, solche Lockangebote in der jetzigen Zeit aus Solidarität mit der ganzen Branche zu unterlassen. Mein Appell an die Großen lautet aber: Haltet Maß und verschleudert nicht die Backwaren!

    Ihre mittelständische Bäckerei, die in Heimstetten bei München sitzt, hat derzeit ein Dreikornkrusten-Brot für 6,80 statt acht Euro im Angebot. Ist das kostendeckend?

    Traublinger: Das ist ein 14 Tage laufendes Angebot. Die Kalkulation für dieses Dreikornbrot ist mit heißer Nadel gestrickt. Denn in dem Brot stecken nicht nur drei Getreidesorten, sondern auch noch ein hoher Anteil an Saaten. Gerade Öl-Saaten sind sehr teuer geworden. Dieses Brot ist nicht kostendeckend. Aber wir wollen unsere Kundinnen und Kunden halten und verhindern, dass sie zum Discounter abwandern.

    Wie viele Kundinnen und Kunden sind schon zu den Discountern abgewandert?

    Traublinger: Leider sind in Bayern schon fünf bis zwölf Prozent der Kunden von Handwerksbäckern zu den Discountern gegangen. Dabei wandern in den Städten mehr Kunden als auf dem Land zu den Discountern ab. Angesichts der horrenden Kostensteigerungen hat das Bäckerhandwerk massive Probleme. Weizenmehl ist zum Teil dreimal so teuer gewesen. Wir können unsere Kosten nicht eins zu eins an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben, sonst gehen noch mehr Kunden zu den Discountern.

    Doch wenn das Bäckerhandwerk die Kosten nur teilweise weitergeben kann, dürfte es für manche Betriebe finanziell eng werden.

    Traublinger: Ehe es für eine Bäckerei finanziell eng wird, können sich die Inhaber überlegen, ob sie bestimmte Backwaren oder Kuchen, die nicht so häufig nachgefragt werden, aus dem Sortiment nehmen, um Kosten zu sparen. Jetzt darf es keine Denkverbote geben, um Betriebe zu sichern. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die überlegen nur noch an vier statt sieben Tagen zu backen, um so teure Energie einzusparen.

    Macht die Kundschaft das mit?

    Traublinger: Darauf hoffe ich. Wir brauchen jetzt einen Schulterschluss der Kundschaft mit ihren Bäckern, um durch die Krise zu kommen. Die Menschen müssen ihren Bäckereien die Treue halten und bereit sein, mehr für Backwaren und Kuchen zu zahlen. Wenn die Kunden bei uns bleiben und nicht zum Discounter gehen, können die Betriebe überleben. Wenn der Betrieb nur noch vier statt sieben Tage die Woche bäckt, können die Verbraucherinnen und Verbraucher ja mehr Semmeln und Brot kaufen und den Rest für die anderen Tage einfrieren. Solche kreativen Modelle können Bäckereien aber nur bedingt helfen. Denn die Fixkosten wie Mieten und Ausgaben für das Personal laufen ja voll weiter.

    Was passiert, wenn der Preis für ein normales Brot auf zehn Euro steigt?

    Traublinger: Ein solcher Preis ist derzeit für gängige Brote schwierig durchsetzbar. Für sehr hochwertige Bio-Brote ist hingegen ein Preis von zehn Euro gerechtfertigt. Dabei haben wir Handwerksbäcker nach wie vor auch preislich gute Angebote. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Eine einfache Semmel oder ein Münchner Hausbrot sind nach wie vor günstig. Diese Backwaren kann sich jeder Bürger weiter leisten.

    Doch trotz aller Kostensenkungs-Maßnahmen dürften manche Bäckereien vor dem Aus stehen.

    Traublinger: Zumindest ist die Gefahr groß. Deshalb muss die Bundesregierung rasch handeln. Wie in anderen Ländern brauchen wir auch in Deutschland einen Gaspreis-Deckel. Eine bestimmte Menge Gas muss auch für Bäckereien staatlich subventioniert werden, damit die Betriebe weitergeführt werden können. Ebenso muss auch das Bäckergewerbe Mittel aus dem Energiekosten-Dämpfungsgesetz bekommen.

    Hier gehen die Bäckereien bisher leer aus.

    Traublinger: Leider gehen wir hier bisher leer aus, weil unsere Betriebe nicht im internationalen Wettbewerb stehen. Uns nutzt es nichts, wenn wir einen günstigen KfW-Kredit bekommen. Wir brauchen spürbare Entlastungen – und das so schnell wie möglich. Doch Sofort-Maßnahmen sind im aktuellen Entlastungspaket für unsere Bäckereien nicht enthalten. Und das, obwohl Semmeln, Brezen und Brot systemrelevant sind. Sie zählen zur Grundversorgung an Lebensmitteln.

    Wie ernst ist die Lage?

    Traublinger: Es gibt Bäckerinnen und Bäcker, die für Gas das Zehn- bis Zwölffache wie vor der Krise zahlen. Bei ihnen sind die Verträge ausgelaufen. So sind sie in die Grundversorgung gerutscht. Das kann einen Betrieb ruinieren, wenn er früher Energiekosten von 100.000 Euro im Jahr hatte und jetzt eine Million Euro und mehr zahlen muss.

    Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?

    Traublinger: Wir finden es sehr schade, dass die Bundesregierung das Handwerk vergessen hat. Aber das Bäckerhandwerk ist aufgestanden und es ist gelungen, mehr Gehör bei der Politik zu finden. Inzwischen dürfte allen klar sein, dass nicht nur Glashütten und die Stahlindustrie viel Energie brauchen, sondern auch die Bäckereien. Rund 70 Prozent der knapp 10.000 Bäckerei-Betriebe in Deutschland heizen und backen mit Gas. Ich sage es mal etwas ketzerisch: Von einem Eisenrohr kann man nicht runterbeißen. Alle Menschen müssen essen und brauchen Brot und Semmeln. Wenn die Politik dem Bäckerhandwerk nicht hilft, gefährdet das die Versorgung der Menschen. Dann ist unser täglich Brot in Gefahr. Es herrscht "Alarmstufe Brot".

    Heinrich Traublinger junior, 57, ist Geschäftsführer des gleichnamigen mittelständischen Bäckereibetriebes mit 21 Filialen in Heimstetten bei München. Der bayerische Bäcker-Chef führt das Unternehmen in vierter Generation. Traublinger ist Landesinnungsmeister für das bayerische Bäcker-Handwerk und auch Obermeister der Bäcker-Innung München und Landsberg. Sein Vater Heinrich Traublinger senior, 79, arbeitet immer noch im Familienbetrieb als Geschäftsführer. Der CSU-Politiker gehörte von 1986 bis 2008 dem Bayerischen Landtag an. Zudem war er von 1994 bis 2014 Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern.

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