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Interview: Augsburger MAN-Chef: Wir haben so viele Aufträge wie noch nie

Interview

Augsburger MAN-Chef: Wir haben so viele Aufträge wie noch nie

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    Uwe Lauber, Vorstandsvorsitzender von MAN Energy Solutions, will das Unternehmen zu einem Dekarbonisierungs-Champion machen und die Klimawende maßgeblich mitgestalten.
    Uwe Lauber, Vorstandsvorsitzender von MAN Energy Solutions, will das Unternehmen zu einem Dekarbonisierungs-Champion machen und die Klimawende maßgeblich mitgestalten. Foto: Silvio Wyszengrad

    Herr Lauber: Krisen, nichts als Krisen. Wie geht es MAN Energy Solutions als Motoren- und Turbomaschinenhersteller?

    Uwe Lauber: Wir können nicht klagen. Es läuft gut. Wir machen Fortschritte, sind aber noch nicht ganz über den Berg. 

    Die Einschätzung „Fortschritte“ wirkt etwas untertrieben. MAN Energy Solutions sei auf Rekordkurs, heißt es hinter den Kulissen.

    Lauber: Genaue Angaben darf ich noch nicht machen. Wir haben aber im vergangenen Jahr mit Abstand den höchsten Auftragseingang in der Geschichte unseres Unternehmens verzeichnet. Und das in der Krise. Und das, obwohl wir einen Großauftrag aus Russland für Schiffs-Gasmotoren wegen des russischen Angriffskrieges und des Embargos stornieren mussten. Das russische Unternehmen betreibt eine Flotte mit großen Gastanker-Schiffen und will neue Schiffe bauen. Wir hätten diese Motoren dann an den südkoreanischen Schiffsbauer Samsung geliefert, der mit der russischen Firma einen Vertrag hatte. 

    Diese 60 Motoren sollten in Augsburg produziert werden. Welche Folgen hat das für den Standort?

    Lauber: Wir bauen im Jahr 100 bis 150 Motoren in Augsburg. Der Stopp des russischen Auftrags war ein Schock für die Belegschaft. Plötzlich hatten 100 bis 150 Beschäftigte in der Montage und Fertigung keine Arbeit mehr.

    Konnten Sie den weggebrochenen Auftrag ausgleichen?

    Lauber: Das ging leider nicht. Deswegen mussten wir die betroffenen Beschäftigten zum Teil in Kurzarbeit schicken. Zum Glück floriert die Industrie im Augsburger Raum. So haben wir viele Mitarbeiter an den händeringend nach Fachkräften suchenden Augsburger Getriebe-Spezialisten Renk ausgeliehen. Einige sind auch vorübergehend zum Druckmaschinenhersteller Manroland gewechselt. All diese Beschäftigten kommen jetzt Schritt für Schritt wieder zu uns zurück. 

    Die alte MAN-Familie funktioniert also noch.

    Lauber: Ich kenne die Verantwortlichen in diesen Betrieben gut. Da konnte man schnell am Telefon unbürokratische Lösungen finden und Arbeitsplätze sichern. Die Industrie in der Region hält zusammen. 

    Konnten Sie trotz des weggebrochenen Großauftrags alle Arbeitsplätze erhalten?

    Lauber: Wir konnten alle Arbeitsplätze sichern. 

    Doch MAN Energy Solutions hat eine harte Sanierung hinter sich. Nach der Vereinbarung mit der Konzern-Mutter Volkswagen müssen rund 800 von einst etwa 4400 Arbeitsplätzen wegfallen. Klappt das ohne betriebsbedingte Kündigungen?

    Lauber: Wir müssen keiner einzigen Mitarbeiterin und keinem einzigen Mitarbeiter kündigen. Wir schaffen den Abbau von 800 Arbeitsplätzen auf rein freiwilliger Basis, also etwa über Altersteilzeit. Mitte dieses Jahres sind wir mit dem Programm zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch. Und wir sind auch gut unterwegs, das Ziel von 450 Millionen Euro Einsparungen zu erreichen, wie wir das mit VW vereinbart haben. 

    Diese 450 Millionen soll MAN Energy Solutions bis 2023 einsparen. Wann ist es so weit?

    Lauber: An der ein oder anderen Stelle gibt es hier noch etwas Verzug. Durch die hohe Inflation und damit die immensen Preissteigerungen bei Zulieferteilen schaffen wir das 450-Millionen-Euro-Ziel noch nicht ganz.

    Hat der Mutter-Konzern Volkswagen dafür Verständnis?

    Lauber: Natürlich. Unser Aufsichtsratsmitglied Gunnar Kilian hält zu uns. Er ist Mitglied des Vorstandes und Arbeitsdirektor der Volkswagen AG. Kilian hilft und unterstützt uns sehr. Wenn man ihn braucht, ist er da. Das auch, weil er weiß: Unsere Strategie stimmt. Sie lautet: Moving big things to zero.

    Frei übersetzt und zugespitzt, hat sich MAN Energy Solutions vorgenommen, große CO₂-Sünder einmal auf null klimaschädliche Emissionen runterzukriegen.

    Lauber: Wir wollen die großen Schiffe der Welt, Energieerzeuger und Zement-Fabriken dekarbonisieren, also mit klimafreundlichen Antrieben und technischen Lösungen ausstatten. Mit unserer Technologie zur CO₂-Abscheidung und Verdichtung schaffen wir es, eine Zementfabrik in Norwegen deutlich klimafreundlicher zu machen. Ab Sommer 2024 werden dort jährlich 400.000 Tonnen CO₂ abgeschieden, was 50 Prozent der Emissionen dieses mit Gas betriebenen Zementwerks entspricht. 

    Wie funktioniert das? Rund sechs bis acht Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen fallen in der Zementherstellung an.

    Lauber: Der Kohlenstoff wird abgeschieden und anschließend mit unserer Kompressor-Technologie verdichtet, verflüssigt und mit Schiffen zu einem unterirdischen Speicher in Norwegen transportiert und dort gelagert. Das ist die weltweit erste Kohlenstoff-Abscheideanlage im Industriemaßstab in der Zementherstellung. Die Zementindustrie ist ein Schlüsselfaktor für den Klimaschutz. Deswegen hat auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Anlage in Norwegen besucht. Früher ging das CO₂ in solchen Zementfabriken einfach in die Luft, was sträflich ist. Das CO₂ in Norwegen wird nicht nur eingelagert, sondern zum Teil auch als Rohstoff verwendet.

    Als Rohstoff? Wie funktioniert das denn?

    Lauber: In Norwegen ist CO₂ schon seit mehr als 20 Jahren ein Produkt. Wir vergessen in Deutschland oft, dass CO₂ auch ein wichtiger Rohstoff ist, den wir unter anderem für die Herstellung von synthetischem Kraftstoff benötigen. CO₂ wird auch in der chemischen Industrie benötigt. Selbst für Mineralwasser braucht man C02 für die Kohlensäure-Produktion. 

    Aus dem Klimakiller wird also mit Augsburger Technologie ein nützliches Produkt.

    Lauber: Genau. Unser Ziel muss das Prinzip „Flaschenpfand“ sein: Wir scheiden CO₂ ab, wo es unvermeidbar anfällt, und verwenden es immer wieder. Zum Beispiel für grüne Schiffstreibstoffe, die wir aus CO₂ und Wasserstoff herstellen können. Deshalb mein Appell an die Industrie: Lasst das CO₂ nicht einfach in die Luft. Fangt es auf, scheidet es ab und führt es einer Wiederverwertung zu. 

    Doch für die Energiewende braucht man am Ende massenhaft grünen Wasserstoff, der aus erneuerbarer Energie hergestellt wird.

    Lauber: Deshalb müssen wir in Regionen mit viel Sonne und Wind, also etwa im Nahen Osten, im großen Maßstab Solar- und Windkraftwerke bauen. In Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, wird jetzt ein Solarkraftwerk gebaut, dessen Energieleistung eineinhalb Atomkraftwerken entspricht. Dort wird mit grünem Strom und mittels Elektrolyse Wasserstoff hergestellt, den wir auch in Deutschland dringend als Energiequelle etwa für Stahlwerke, aber auch für Schiffe brauchen. Hier gibt es eine bahnbrechende Idee: Wir bringen unser abgeschiedenes und verflüssigtes CO₂ mit Schiffen in den Nahen Osten. Dortige Unternehmen verwenden dann unser CO₂, um zusammen mit ihrem grünen Wasserstoff synthetisches Gas herzustellen. 

    Wenn das klappt und das Gas auch noch günstig ist, schaut Russland in die Röhre.

    Lauber: Am Ende fahren dann die Schiffe, die unser CO₂ etwa in die Vereinigten Arabischen Emirate gebracht hat, mit synthetischem Gas zurück. Und für die Produktion von Wasserstoff liefert MAN Energy Solutions mit seiner Augsburger Tochter H-Tec Systems die notwendigen Elektrolyseure. Augsburg hat die Chance, das Mekka der Wasserstoffindustrie zu werden.

    Bei aller Euphorie: Machen wir uns mit Ihrem Modell nicht erneut zu abhängig von Staaten im Nahen Osten? Ersetzen wir die heutige Abhängigkeit von klimaschädlichem Öl und Gas mit einer neuen von grünen Energiequellen?

    Lauber: Das muss nicht sein. Solche grünen Riesen-Kraftwerke zur Erzeugung von Wasserstoff lassen sich auch in Afrika und Australien bauen. Der australische Energieminister war unlängst in Deutschland zu Besuch und hat mit Habeck darüber gesprochen. Er hat auch unser Werk in Berlin besucht. Schon drei Prozent der Fläche Australiens würden ausreichen, um eine Wasserstoffmenge zu produzieren, die 60 Mal dem erwarteten Bedarf Deutschlands entspricht. Auch Spanien und Portugal kommen als sonnenreiche Länder für solche grünen Kraftwerke infrage. Und das windreiche Norddeutschland natürlich auch. Wir müssen für die Energiewende auf mehrere Länder setzen. 

    Will Schiffe emissionsfrei über die Weltmeere befördern und die Wasserstoff-Wirtschaft voranbringen: MAN Energy Solutions in Augsburg.
    Will Schiffe emissionsfrei über die Weltmeere befördern und die Wasserstoff-Wirtschaft voranbringen: MAN Energy Solutions in Augsburg. Foto: Silvio Wyszengrad

    Wird die Energiewende in Deutschland entschieden genug vorangetrieben?

    Lauber: Wir sollten in Deutschland mal aufhören zu reden und dafür mehr machen. Ich bin mittlerweile besorgt. Ich habe an der Weltklimakonferenz in Ägypten teilgenommen. Dort haben andere Nationen reihenweise Absichtserklärungen unterschrieben, Solarfarmen oder Wasserstoffanlagen zu bauen. Doch am deutschen Pavillon fand das nicht statt. Wir sind zu langsam. Vieles versauert in unserer Bürokratie. 

    Doch noch ist das mit CO₂ und Wasserstoff hergestellte, synthetische grüne Gas viel zu teuer.

    Lauber: Doch es wird attraktiver, weil die Gaspreise im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine gestiegen sind. Damit grünes Gas einmal wettbewerbsfähig wird, müssen wir es in Anlagen, die so groß wie Raffinerien sind, herstellen. Dazu sind Milliarden-Investitionen notwendig. Bisher sind solche grünen synthetischen Kraftstoffe in etwa vier Mal so teuer wie konventionelle. Wir wollen jedenfalls die Schifffahrt, die für rund drei Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich ist, mit neuen Kraftstoffen und Technologien grün machen. Und wir wollen zum weltweiten Dekarbonisierungs-Champion aufsteigen. Aber: Die Industrie muss in Deutschland erhalten bleiben, denn aus ihr schöpfen wir Wohlstand und Innovationskraft. 

    Sind diese Ziele von MAN Energy Solutions nicht deutlich zu ehrgeizig?

    Lauber: Nein, wir haben die Chance dazu. Wir haben als MAN Energy Solutions die Technologien, um rechnerisch zehn Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes zu vermeiden. Das geht natürlich nur, wenn wir wachsen. Klimaschutz ist für uns also Wachstumstreiber. 

    Noch einmal: Wie will MAN Energy Solutions mit weltweit nur rund 14.000 Beschäftigten helfen, zehn Prozent der weltweiten C02-Emissionen zu vermeiden? Ist das nicht deutlich zu hoch gegriffen?

    Lauber: Das ist nicht zu hoch gegriffen: Mit unserer Technologie entsteht bei BASF in Ludwigshafen die größte Wärmepumpe der Welt. Damit lassen sich pro Jahr rund 450.000 Tonnen CO₂ einsparen. Das entspricht in etwa dem Klimaausstoß von 250.000 Autos. Der Markt für Großwärme-Pumpen wächst bis 2030 auf rund fünf Milliarden Euro. Wir rechnen uns aus, hier Geschäfte im Wert von etwa einer Milliarde Euro zu machen. Der von uns erwartete Anteil an dem Geschäft würde also einer Verringerung des weltweiten CO₂-Ausstoßes von rund zwei Prozent entsprechen.

    Dann fehlen immer noch acht Prozent.

    Lauber: Wir haben außerdem die Chance, fünf Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen mit unserer Auffang- und Abscheide-Technologie von CO₂ etwa für die Zementindustrie einzusparen. Das sind schon sieben Prozent. Ein weiteres Prozent können wir mit unserer Augsburger Wasserstoff-Tochter H-Tec erreichen. Über neue Schiffsmotoren, die mit synthetischem Gas fahren können, kommen weitere zwei Prozent hinzu, die MAN Energy Solutions weltweit an CO₂-Emissionen vermeiden kann. Schon heute machen grüne Technologien rund 30 Prozent unseres Auftragseingangs aus. Bis 2030 werden es 70 Prozent sein. 

    Stirbt der Diesel-Motor mit der Energiewende?

    Lauber: In der Schifffahrt ist der Diesel nicht tot und wird noch lange leben. Er wird nur grün und bekommt einen klimaneutralen Treibstoff. Der Diesel wird zunehmend wasserstofffähig. Die Technologie von Rudolf Diesel lebt weiter. 

    Für all diese extrem ehrgeizigen Ziele sind aber immense Investitionen notwendig.

    Lauber: Wir wollen und wir müssen wachsen, wenn wir die zehn Prozent CO₂ schaffen wollen. In der Nähe von Hamburg bauen wir derzeit eine Gigafactory, in der wir die Stacks, also die Herzstücke der für die Wasserstoff-Produktion notwendigen Elektrolyseure, mit Robotern bauen werden. In der Gigafactory werden einmal bis zu 100 Leute arbeiten. Für unsere Wasserstoff-Tochter H-Tec sind schon rund 300 Frauen und Männer tätig, vor eineinhalb Jahren waren es noch 60. Bis 2027 soll das Unternehmen rund 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählen. 

    Sind Sie zufrieden mit dem Investment in der Nähe von Hamburg?

    Lauber: Die Genehmigung für die Gigafactory dauerte über ein Jahr. Das ist viel zu lange. Als Unternehmer hätte ich eigentlich in einem anderen Land investieren müssen, wo ich wirklich willkommen bin.

    Warum bauen Sie die Gigafactory nicht im Augsburger Raum?

    Lauber: Weil historisch bedingt die Stack-Entwickler an dem norddeutschen Standort sitzen. Und die wollen dort bleiben. Wir investieren aber auch in Augsburg kräftig. In den nächsten Jahren werden wir unternehmensweit über 450 Millionen Euro investieren. Und wir haben allein in Augsburg wieder rund 150 offene Stellen, vor allem im Bereich "Softwareentwicklung und Systemintegration". Doch diese Fachkräfte findet man nur schwierig. Deshalb setzen wir auf unsere eigene Ausbildung. Derzeit sind rund 330 Auszubildende in unserer Augsburger Ausbildungsstätte tätig. Davon sind etwa 200 von MAN Energy Solutions. Der Rest kommt von Renk und anderen Unternehmen.

    War es nicht ein großer Fehler, dass Sie 800 Arbeitsplätze abgebaut haben?

    Lauber: Das war kein Fehler. Wir brauchen heute andere Kräfte und Kompetenzen für unsere neuen Produkte zur Energiewende, eben vor allem Expertinnen und Experten für Softwareentwicklung und System-Ingenieure. 

    Uwe Lauber, Jahrgang 1967, ist seit 2015 Vorsitzender des Vorstandes des Augsburger Unternehmens MAN Energy Solutions. Viele werden das Unternehmen noch unter dem alten Namen MAN Diesel & Turbo kennen. Lauber wurde in Bad Säckingen geboren, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Der Manager ist Mitglied des Nationalen Wasserstoffrates der Bundesregierung.

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