Herr Hoffmann, Sie daddeln gerne auf der Playstation mit dem Nachwuchs. Welches Spiel entspannt einen Audi-Technik-Vorstand denn nach einem langen, harten Tag im Konzern?
Oliver Hoffmann: Tatsächlich ist das unter der Woche schwierig, weil meine Arbeitstage nicht mit den Ruhezeiten meiner Kinder kompatibel sind. Das geht also eher am Wochenende. Dann aber gibt die Playstation gerade tatsächlich ein Formel-1-Spiel her. Da fahre ich gerne mit.
Und da geht es dann mit klassischen Verbrenner-Boliden rund oder schon auf E-Modellen?
Hoffmann: Das Spiel ist F1 2021, also noch mit Benzinmotoren. Insofern (lacht) können Sie da noch nichts draus ablesen, wie wir uns im Motorsport bei Audi weiter entwickeln.
Sie haben bei Audi einen Posten, auf dem Sie in den vergangenen neun Jahren acht Vorgänger hatten, ein Schleudersitz. Würden Sie sagen, dass Sie gut und sicher sitzen?
Hoffmann: Ich fühle mich extrem wohl und schätze die Zeit, in der ich das verantworten darf. Wahrscheinlich auch, weil es das spannendste Jahrzehnt in der Automobilindustrie ist. Wir bei Audi haben eine gute und klare Strategie für 2030 abgestimmt. Und es macht mir wahnsinnig viel Spaß, Audi und vor allem die technische Entwicklung mitzugestalten.
Sie haben den Zehnzylinder-Hochleistungsmotor für den Audi R8 entwickelt. Wie Sie mal sagten, war das der „emotionalste Motor bei Audi überhaupt“. 2026 ist bei Audi nun für immer Schluss mit den Verbrennern. Fehlt einem wie Ihnen dann nicht irgendwann etwas? Benzin hat man doch lebenslang im Blut?
Hoffmann: Was ich lebenslang bleiben werde, ist Fan von emotionalen Fahrzeugen. Wir haben mit dem e-tron GT, speziell als RS-Variante, gezeigt, wie emotional auch Stromer sein können. Ich schätze die Vorzüge der E-Mobilität. Ich bin dankbar, dass ich den V10 entwickeln durfte. Das war als junger Ingenieur ein extrem spannendes Projekt. Aber genauso freue ich mich jetzt, Audi in die digitale und elektrische Zukunft führen zu dürfen. Alles zu seiner Zeit. Jetzt haben wir neue Herausforderungen vor uns. Wir sind erst am Anfang der Elektromobilität und ich erwarte noch wahnsinnige Entwicklungssprünge.
Welche großen Entwicklungssprünge in der E-Mobilität erwarten Sie denn? Was bereiten Sie vor?
Hoffmann: Wir werden vor allem die Energiedichte in der Batterie nochmals signifikant steigern. Im nächsten Jahr zeigen wir zudem unsere ersten Fahrzeuge auf Basis der PPE. Unsere neue Elektro-Plattform, mit der wir eine Reichweite von bis zu 700 Kilometern realisieren. Ich denke, dass wir damit eine sehr attraktive Reichweite erzielen, die vor allem unseren Kund_innen, die viel auf der Langstrecke unterwegs sind, schätzen werden. Aber meine Einschätzung ist auch: Bei der Reichweite wird es irgendwann eine Sättigung geben. Denn einerseits wird das Ladenetz kontinuierlich ausgebaut und andererseits gehen zur gleichen Zeit die Ladezeiten deutlich zurück. So streben wir zum Beispiel bei unseren PPE Modellen an, 300 km Reichweite in nur circa 10 min nachzuladen. Somit sind große und schwere Batterien aus unserer Sicht nicht zwingend notwendig. Die Elektrifizierung ist für mich aber nur ein Aspekt. Für mich ist jetzt das Jahrzehnt, wo es um Digitalisierung und automatisiertes Fahren geht. Das ist das absolut Entscheidende.
Fahrzeuge lenken autonom, alle haben einen E-Motor. Ein Problem der künftigen Autos könnte sein, dass diese recht austauschbar sind. Woran also merkt ein Kunde, dass er in einem elektrischen Audi sitzt und nicht im Modell einer anderen Marke?
Hoffmann: Vor allem prägt unsere Audi-DNA das Präzise, das Solide, dieses sehr Sichere. Und das führen wir – noch präziser – in die neue, elektrische, digitale und automatisierte Welt. Wir überlegen uns zum Beispiel, wie ein künftiger Audi den Fahrer oder die Fahrerin nach dem Einstieg begrüßt. Oder wie es sich anfühlt, speziell in einem hoch-automatisiert fahrenden Audi zu sitzen. Aber auch, mit welchen digitalen Services und Features wir die Fahrt bereichern können.
Stichwort autonomes Fahren: Sehr gespannt warten alle auf Artemis, mit dem ein voll vernetzter Audi auf den Markt kommen soll. Können Sie uns zu diesem neuen Auto mehr verraten? Was ist das Neue?
Hoffmann: Mit dem ersten Modell aus dem Artemis-Projekt pilotieren wir für den Konzern wichtige Systeme wie die Einheitszelle bei der Batterie, eine einheitliche Elektronik-Architektur, und die Technologie für situationsabhängiges autonomes Fahren, gemeint ist damit automatisiertes Fahren bis Level 4. Unser Artemis-Projekt steht zudem für eine komplett neue Art der Entwicklung. Das Auto entsteht von innen nach außen. Es ist künftig mehr als die Summe aller Bauteile, die irgendwie geometrisch zusammenpassen müssen. Im Zentrum stehen die Kundenbedürfnisse, um die herum das Auto von morgen entwickelt wird. Wir nennen das Systems Engineering.
Wie wird denn 2030 eine Fahrt von Ingolstadt nach München in solch einem Fahrzeug aussehen?
Hoffmann: Das ist am Ende Ihnen überlassen. Sie können natürlich selbst ins Steuer greifen und die fahrdynamische Qualität Ihres Audi genießen. Wenn Sie aber sagen, ich mache lieber einen Anruf bei meiner Familie oder schaue mir einen Film an, auch recht. Wahrscheinlich weiß das Fahrzeug schon, bevor Sie losfahren, wohin Sie wollen. Sie begeben sich dann in eine komfortable Sitzposition, in der Sie zum Beispiel entspannt einen Film schauen können – und fahren los. Für dieses Szenario benötigt das Fahrzeug eine gut ausgebaute Autobahn mit Zugang zu einer spezifischen Infrastruktur. Diese Vehicle-to-infrastructure-Verbindung wird mit steigendem Automatisierungsgrad wichtiger.
Die Software erkennt also schon meinen Zielort, wenn ich auf das Auto zugehe, weil sie meine Routinen kennt?
Hoffmann: Davon bin ich fest überzeugt. Die Digitalisierung ermöglicht es uns, die Mobilität noch sicherer, persönlicher und vor allem smarter zu machen. Ziel ist es, dass sich unsere Fahrzeuge nahtlos in den Alltag unserer Kund_innen integrieren. Damit schaffen wir einen echten Mehrwert, indem wir ihnen Zeit zurückgeben für Dinge, die ihnen wichtig sind. Wenn wir auf das automatisierte Fahrerlebnis blicken, liegen die essenziellen Fragen woanders: Wie fühlt sich für die Kund_innen der Übergang hin zum autonomen Fahren an? Wie schaffen sie das Vertrauen zum Fahrzeug? In dem Moment, in dem ich das Steuer loslassen oder eben wieder übernehmen möchte. Wenn sie autonom gefahren werden, haben sie ganz andere Sinne, die wach sind, als wenn sie konzentriert auf der A9 dreispurig in der Kolonne am Steuer sitzen.
Wenn das Lenkrad in Position kommen soll, weil der Fahrer das Gefühl hat, übernehmen zu wollen oder zu müssen, darf das auch nicht zu schnell passieren, damit keine Hektik entsteht.
Hoffmann: Absolut. Die Frage ist: Wie geschieht die Übergabe und was brauchen Sie zusätzlich noch als Vertrauensanker? Oder, anderes Stichwort, die Reiseübelkeit: Vielen wird heute auf dem Rücksitz noch eher schummrig, wenn sie zum Beispiel am Laptop arbeiten. Wir beschäftigen uns daher damit, wie das automatisierte Fahren angenehm wird und Sicherheit sowie Komfort vermittelt. Das In-die-Kurve-gehen, das Bremsen, alles muss souverän und sicher gestaltet sein. Und es muss Spaß machen.
Wie läuft es, wenn man ein Glas Wasser trinken möchte?
Hoffmann: Ein gutes Beispiel: Unsere Entwickler_innen müssen erfassen, was alles passiert, wenn man sich zurücklehnt und etwas trinkt. Sie müssen die Sicherheitssysteme darauf einstellen, vom Gurt bis zum Airbag. Manche Sitzpositionen, die während des automatisierten Reisens möglich sein werden, erfordern auch eine andere Bedienung des Fahrzeugs bzw. Entertainment-Systems. Hier arbeiten wir an einer Steuerung mit Gesten und intelligenten Displaykonzepten.
Wie Sie es beim Audi Grandsphere Concept vorgestellt haben.
Hoffmann: Genau.
Ist denn der Gesetzgeber und ist die Rechtsprechung dann so weit, dass autonomes Fahren so laufen kann, wie Audi sich das vorstellt?
Hoffmann: Wir entwickeln uns da gemeinsam mit der Gesetzgebung weltweit weiter. Die Genehmigungsanforderungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für automatisiertes Fahren sind auf den verschiedenen Kontinenten sehr unterschiedlich. Wir sehen insbesondere in Deutschland Fortschritte im Zulassungs- und Verhaltensrecht. Diese Entwicklungen begrüßen wir und wünschen uns einen weiteren europa- und weltweiten Ausbau der rechtlichen Rahmenbedingungen für das automatisierte Fahren. Wir planen 2025 mit dem ersten Fahrzeug aus dem Artemis-Projekt die Technologie für situationsabhängiges autonomes Fahren auf die Straße zu bringen. Klar ist aber auch, dass sich die Funktionalität schrittweise entwickeln wird.
Was ist das größte Problem, wenn man die Coder und klassische Ingenieure zusammenbringen muss? Da prallen doch zwei Kulturen aufeinander?
Hoffmann: Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Aber eine hoch spannende. Für beide Seiten. Es ist ja nicht so, als wären das bisher zwei Welten gewesen, die irgendwie nebeneinander existiert hätten und nicht zusammengepasst haben. Wir haben mittlerweile die Technische Entwicklung bei Audi wie ein Tech-Unternehmen aufgestellt und mit Systems Engineering die Art und Weise unserer Entwicklung konsequent umgestellt. Noch ein bisschen, dann sind beide Welten verschmolzen.
Welche Position schreiben Sie der Technischen Entwicklung von Audi im großen VW-Konzern zu? Schon wieder Avantgarde?
Hoffmann: Wir haben eine gute Position im Entwicklungsverbund. Gleichzeitig wird jede unserer Marken bei der Transformation zur Elektromobilität von der gemeinsamen Kraft im Konzern profitieren. Diese Haltung, dieses Mindset spürt man auch. Mit dem Artemis-Projekt hat man uns großes Vertrauen geschenkt. Diese Verantwortung wollen wir natürlich erfüllen. Da sind wir auf einem guten Weg. Auch gemeinsam mit Cariad – der VW-Softwareschmiede – als Entwicklungspartner. Ich freue mich sehr, wenn wir ab dem nächsten Jahr die ersten Fahrzeuge auf unserer neuen Premium-Plattform-Electric vorstellen.
Aber was für ein Problem hat Porsche dann mit Artemis, dass man sich zurückgezogen hat?
Hoffmann: Das ist nicht richtig. Das Thema ist in der Berichterstattung vereinfacht und zugespitzt worden. Es ging in erster Linie um die Werkebelegung, also darum, wo welches Fahrzeug produziert wird. Das ist mittlerweile geklärt.
Alle jagen Tesla. Wie nah sind Sie dran? Haben Sie schon Vorsprung durch Software?
Hoffmann: Ehrlich gesagt, jagen wir keinen einzelnen Konkurrenten, sondern die Technik an sich. Doch der Wettbewerb ist wichtig. Tesla hat seine Softwareentwicklung sehr konsequent betrieben – samt Updates over the air. In ganz vielen anderen Bereichen sehe ich uns aber nach wie vor eine Nase vorn. Und das werden wir ausbauen. Und im Bereich Software-Kompetenz haben wir mit Cariad einen wichtigen strategischen Schritt getan, um eine einheitliche Software und eine einheitliche Elektronikarchitektur für den Konzern zur Verfügung zu stellen. Wir werden damit deutlich aufholen. Und, davon bin ich fest überzeugt, auch überholen.
Wo haben Sie denn im Vergleich zu Tesla die Nase vorn?
Hoffmann: Beim Design, dem Komfort, bei der Fahrdynamik und bei der Qualität. Die Kund_innen erwarten von Audi diesen Premium-Anspruch. Das gilt für die Verarbeitung, die Anmutung, das Material, die Solidität. Da haben wir uns einen guten Namen gemacht und das wollen wir nachschärfen. Unsere Kund_innen haben einen hohen Anspruch.
Audi verzichtet künftig auf Einstiegsmodelle wie den A1 und Q2. Stört Sie das als Technik-Vorstand, weil Ihnen Spielzeuge und Möglichkeiten genommen werden?
Hoffmann: Wir haben im Vorstandsteam unserer Strategie „Vorsprung 2030“ verabschiedet. Die unterstütze ich. Wir werden ab 2026 neue Modelle weltweit nur noch rein elektrisch einführen und bereits 2027 in allen Kernsegmenten ein elektrisches Modell anbieten. Mit dem ersten Fahrzeug aus dem Artemis Projekt werden wir eine Neuinterpretation der elektrischen Oberklasse bringen. Den Einstieg in die elektrische Premium-Mobilität bei Audi sehen wir im A-Segment. Auch wenn wir keinen direkten Nachfolger für den A1 und den Q2 bringen werden.
Hängen geblieben ist aber, dass Audis immer größer werden. Muss das sein? Ein TT war doch auch schick. Ein e-tron dagegen ist riesig.
Hoffmann: Der SUV-Trend hält an, das ist das meist wachsende Segment. Insofern wird uns das SUV die nächsten Jahre begleiten. Und auch hier setzten wir auf Elektrifizierung. Gleichzeitig glauben wir, dass Premium-Mobilität auch im A-Segment funktioniert. Gut, dass Sie den TT angesprochen haben: Mit dem TT haben wir damals echt überrascht. Dieses Auto hatte niemand erwartet. Diesen Überraschungseffekt wollen wir auch in Zukunft haben. Wir werden Fahrzeugkonzepte bringen, die überraschen werden.
Es gibt einen neuen TT?
Hoffmann: Es gibt auf jeden Fall eine Überraschung.
Es ist Krieg in Europa, die Spritpreise steigen und steigen. Hilft das der E-Offensive eigentlich?
Hoffmann: Es ist schwierig, in Kriegszeiten über Fortschritt zu reden. Das große Leid der Menschen in der Ukraine bedrückt auch mich sehr. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich hoffe, dass die steigenden Energie- und Spritpreise ein zeitlich begrenztes Thema sein werden. Sicher können sie die Transformation in Richtung E-Mobilität nochmals beschleunigen. In der Summe hängt das aber stark davon ab, dass unsere Kund_innen eine verlässliche Ladeinfrastruktur haben. Ich mache mir bei den Energiekosten viel mehr Sorgen um die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen.
Wie soll es in der Energieversorgung weitergehen?
Hoffmann: Deutschland ist extrem abhängig in der Energieversorgung. Da brauchen wir eine Antwort. Ich unterstütze die Sanktionen Richtung Russland explizit. Wir müssen Haltung zeigen und werden mit den Konsequenzen leben, auch wenn diese uns treffen. Mit Blick auf die Energiefrage hoffe ich, dass die Politik eine schnelle Lösung findet. Wir haben schon für vieles technische Lösungen, die es einfach umzusetzen gilt. Aber gerade im Energie-Sektor haben wir noch riesige Hausaufgaben zu erledigen. Das treibt mich sehr um.
Was fordern Sie?
Hoffmann: Bei der Energiebeschaffung wünsche ich mir mehr Europa, eine europäische Lösung, einen forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien und der Ladeinfrastruktur. Ich fahre elektrisch – und wir sind hier in Deutschland ordentlich unterwegs. Aber in Europa ist noch ein Weg zu gehen.
Ausbaufähig ist auch der Innovationscampus in Ingolstadt? Was ist denn mit dem? Cariad sitzt da zum Teil. Dort müsste sich doch eigentlich die Technische Entwicklung immer heimischer fühlen?
Hoffmann: Werden wir sicherlich. Ich war heute vier Stunden bei Cariad und komme gerade von dort. Wir schauen, welche Teile der Technischen Entwicklung dort perspektivisch hingehen könnten. Aktuell entsteht am IN-Campus beispielsweise das Fahrzeug-Sicherheitszentrum. Es wird das größte Gebäude im Bauabschnitt 1 auf dem Campus-Gelände. Ich wünsche mir aber auch, dass sich dort noch mehr Tech-Firmen ansiedeln. Ich bin Verfechter davon, dort ein möglichst großes Entwicklungsnetzwerk zu verorten. Und das als Tech-Campus auszubauen.
Und die sogenannte letzte Meile, die am IN-Campus vor allem für autonomes Fahren zum Testen dienen soll, was ist da los?
Hoffmann: Die wird genauso wie die A9 als Teststrecke hochfrequent genutzt. Auf dem gesamten Weg zwischen Campus und der Technischen Entwicklung können Sie unsere Forschungsfahrzeuge sehen, in denen die Testfahrer_innen das automatisierte Fahren im urbanen Bereich erproben.
Anmerkung der Redaktion: Audi gendert mit Unterstrich. Das spiegelt sich im Interview wider.