Herr Aiwanger, Sie waren eben in Augsburg, wo Kuka 215 Stellen abbaut. In Franken streicht der Autozulieferer Preh sogar 420 Jobs. Wie ernst steht es um Bayerns Wirtschaft?
Hubert Aiwanger: Noch stehen wir relativ gut da. Während die Wirtschaft im Bund schrumpft, haben wir noch ein kleines Wachstum in Bayern, die Arbeitslosenzahl beträgt lediglich 3,5 Prozent. Trotzdem zeigen die Beispiele, dass unser Standort systematische Probleme hat.
Welche Probleme sind das?
Aiwanger: Die klare Ansage beispielsweise bei Kuka zum Anlagenbau lautete, dass solche Sparten in Deutschland immer weniger wettbewerbsfähig sind. Die Personalkosten sind hoch, die Energiepreise sind hoch, die Steuern sind zu hoch. Inzwischen gewinnen Wettbewerber aus China mit ihrem chinesischen Personal Ausschreibungen in Europa und wickeln den Anlagenbau bei uns billiger ab. Hier muss die Bundesregierung endlich Lösungen liefern.
Was erwarten Sie vom Bund?
Aiwanger: Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Das heißt: Energiepreise runter, Bürokratie runter, Steuern runter, die Arbeitszeit flexibilisieren. Wenn ein Arbeitnehmer wieder mehr Netto vom Brutto bekäme, müssten auch die Arbeitgeber weniger Lohnkosten aufwenden. Für Arbeitnehmer müssen 2000 Euro im Monat steuerfrei gestellt werden.
Wo soll das Geld dafür herkommen? Der Bundeshaushalt ist schon jetzt knapp.
Aiwanger: Sicher würden zunächst rund 50 Milliarden Euro weniger Einkommensteuer eingenommen werden. Dies würde sich aber sofort refinanzieren, weil viele Menschen Arbeit aufnehmen würden, die heute Bürgergeld bekommen. Gerade in den unteren Einkommensschichten rechnen viele haarscharf und sagen: Mehr als drei Tage Arbeit in der Woche rentiert sich für mich steuerlich nicht. Arbeit muss sich wieder lohnen. Bisher sind nur rund 1000 Euro steuerbefreit. Das führt dazu, dass schon der Niedriglohnempfänger 250 Euro Steuern im Monat zahlt, das macht auf das Jahr gesehen ein ganzes Monatsgehalt. Auch Rentner und Pensionäre brauchen steuerbefreite Zuverdienstmöglichkeiten, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Unsere Beschäftigten gehen mit Mitte 60 in Pension, wir bräuchten sie aber dringend, zunehmend auch in der Verwaltung. Wir brauchen hier den großen Befreiungsschlag.
Im Fahrzeugbau scheinen aber weniger die Lohnkosten das Problem zu sein, sondern die Unsicherheit, ob und wann denn nun das Elektroauto kommt. Preh leidet zum Beispiel unter einem Nachfragerückgang für E-Auto-Teile ...
Aiwanger: Die Krise der Zulieferer zieht sich durch ganz Europa. Ich habe kürzlich mit dem slowenischen, dem ungarischen, dem rumänischen und dem tschechischen Wirtschaftsminister gesprochen, sie schildern ähnliche Probleme. Die Zulieferer – Preh ist hier beispielhaft – haben auf wachsende E-Mobilitätszahlen gesetzt, das Gegenteil ist der Fall. Bei den Neuzulassungen hatten E-Autos schon 22 Prozent Marktanteil, seit die E-Auto-Förderung durch den Bund weggebrochen ist, sind es noch 11 Prozent. Wenn es so weitergeht, sind wir bald einstellig.
Wie sähe die Lösung aus?
Aiwanger: Europa muss das Verbrenner-Verbot kippen. Dann kann sich das Angebot wieder an der Nachfrage orientieren. China hat den Verbrenner bis 2060 im Programm und entwickelt die Motoren weiter. Wir produzieren am Kunden und am Weltmarkt vorbei, wenn wir den Verbrenner nicht mehr zuließen.
Haben sich die Unternehmen nicht längst auf die E-Mobilität eingestellt?
Aiwanger: Die einen – wie VW – mehr, die anderen – wie BMW – etwas weniger. BMW setzt seit jeher stärker auf Technologieoffenheit. Es gibt von BMW moderne Verbrenner, batterieelektrische Fahrzeuge und Wasserstoffautos. Die Autoindustrie wurde politisch aber in die falsche Richtung gedrängt. Viele haben einseitig auf das Pferd E-Mobilität gesetzt. Es ist deutlich zu spät, wenn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Verbrenner-Verbot erst 2026 überprüfen will. Das muss schneller kommen. Je schneller wir aus der Sackgasse des Verbrenner-Verbots herauskommen, desto besser.
Ist die Lage in der Autobranche so ernst?
Aiwanger: Die ersten Zulieferer gehen in die Knie. Auch bei den Lkw-Herstellern ist die Lage problematisch. Rein auf batterieelektrische Lkw zu setzen, ist eine politische Fehlsteuerung. Die Spediteure sind von der Batterie nicht bei allen Einsatzzwecken überzeugt, die Ladeinfrastruktur fehlt, also kaufen die Spediteure momentan gar nichts. Die Absatzzahlen gehen in den Keller. Folge: die alten Lkw verpesten weiterhin die Luft. Wasserstoff wäre eine Alternative: Bayern fördert mit 150 Millionen den Bau von Elektrolyseuren und mit 70 Millionen Euro Wasserstoff-Tankstellen. Leider stockt das Förderprogramm des Bundes für klimaneutrale Lkw. Der Bund hat kein Geld mehr für die Wirtschaft, weil zu viel für das Bürgergeld herausgeballert wird.
Für die Förderung neuer Antriebe wie Wasserstoff-Lkw sind die Mittel tatsächlich knapp. Investiert der Bund an der falschen Stelle?
Aiwanger: Hier ist die Verhältnismäßigkeit verlorengegangen. Beim Bürgergeld stellt sich heraus, dass es mal eben zehn Milliarden Euro mehr kostet als geplant. Für die Förderung strukturschwacher Regionen gibt man deutschlandweit gerade einmal lächerliche 670 Millionen Euro aus! Ähnlich unverhältnismäßig sind die Kosten für die völlig verfehlte Asylpolitik: Bayerns Doppelhaushalt 2024/25 umfasst rund 150 Milliarden Euro, davon sind rund 5 Milliarden für Asyl und Zuwanderung vorgesehen. Jetzt ist zu befürchten dass diese 5 Milliarden hinten und vorne nicht reichen. Das ist doch Wahnsinn, den keiner mehr bezahlen kann. Das Thema unkontrollierte Zuwanderung und verfehltes Bürgergeld macht uns bei der Inneren Sicherheit und bei den Staatsausgaben unverantwortbare Probleme. Das halten wir auf Dauer nicht mehr durch.
Harte Kritik. Müssten Sie da nicht selbst bei der Bundestagswahl kandidieren?
Aiwanger: Ich habe in diese Bundesregierung kein Vertrauen mehr. Die Grünen treiben die Deindustrialisierung voran. Meine Hoffnung ist, dass wir Freie Wähler bei der Bundestagswahl unseren Stimmenanteil wie 2021 verdoppeln. Dann schaffen wir es mit fünf Prozent in den Bundestag. Wir Freie Wähler müssen in die neue Bundesregierung den gesunden Menschenverstand einbringen. Meine Wunschkoalition wäre Union, Freie Wähler und FDP.
Würden Sie also selbst kandidieren?
Aiwanger: Ich bin ja die letzten Male auch als Kandidat angetreten. Ja, es kann durchaus darauf hinauslaufen, dass ich wieder kandidieren werde.
Waren Sie mit dem Europawahlergebnis von 2,7 Prozent zufrieden?
Aiwanger: Ja und nein. Ich hätte gerne eine Drei vor dem Komma gehabt. Wir waren zu wenig sichtbar mit Plakaten, weil wir nicht die Millionenbudgets der anderen Parteien hatten. Wir haben aber die Zahl unserer Abgeordneten trotzdem von zwei auf drei gesteigert. Das macht mich zufrieden.
Wenn wir bei den Wahlen sind: In Marktl am Inn gab es den Bürgerentscheid über die Windkraft. Wie erleichtert waren Sie, dass der Entscheid pro Windräder ausging?
Aiwanger: Ich war auf beide Szenarien vorbereitet. Das Ergebnis ist aber ein Fingerzeig, dass die Richtung stimmt, die Bürger vor Ort mitzunehmen und in die Planung einzubinden. Wir haben ein paar Windräder gestrichen. Ohne diese Änderung der Planung hätten wir die Abstimmung nicht gewonnen. Man muss mit den Leuten reden, man muss sie ernst nehmen, auch wenn man nicht jeden Wunsch erfüllen kann.
Sie wollen auch die Regeln für Bürgerentscheide verschärfen ...
Aiwanger: Wir müssen bei Windanlagen in den Staatsforsten künftig dieselben Regeln haben wie in Privatwäldern und den einseitigen Passus abschaffen, der ein Vetorecht der Kommune bis kurz vor Baubeginn vorsieht. Damit verschrecken wir alle Investoren, die Millionen Euro für Planungen ausgeben.
Ist die Abschaffung des Vetorechts im Sinne der Demokratie, die Ihnen am Herzen liegt?
Aiwanger: Wir ändern die Regel ja nur für den Bereich der Staatsforsten und lockern die Fesseln, die wir uns vor ein paar Jahren angelegt haben. In den Privatwäldern gilt das ja ohnehin schon. Das ist nicht weniger Demokratie, sondern mehr Vernunft und Planungssicherheit.
Werden Sie sich nochmals persönlich bei Windpark-Planungen einbringen müssen?
Aiwanger: Das wird ein Dauerthema, das war nicht zum letzten Mal.
Warum ist die Aufholjagd bei der Windkraft überhaupt so wichtig?
Aiwanger: Weil moderne Windräder sehr viel Ertrag liefern. Früher waren große Windräder 120 Meter hoch, heute sind es 250 bis 280 Meter. Damit erreicht man auch in Bayern windstarke Höhen, so dass sich die Investition lohnt. Ein modernes Windrad bringt Strom für 10.000 Bürger. Ein Windrad braucht eine Fläche von 2000 Quadratmetern, bei der Photovoltaik bräuchten wir für die gleiche Stromernte viel mehr Fläche, circa 20 bis 30 Hektar.
Bayern will bis 2040 klimaneutral sein. Es fehlt noch sehr viel bis dahin. Brauchen wir nicht ein realistischeres Ziel?
Aiwanger: Bis 2040 sind es noch 15 Jahre, das ist sportlich. Die Entwicklung kann aber sprunghaft gehen. Ende der 2020er-Jahre soll zum Beispiel das Wasserstoffkernnetz in Betrieb gehen, auf das ich schon immer massiv dränge. Wenn dann in Erzeugerländern wie Marokko, Tunesien, Algerien mit Sonnenstrom Wasserstoff in großen Mengen erzeugt wird, kann plötzlich Erdgas in großer Menge ersetzt werden – auch in unseren Kraftwerken. Man soll sich aber bei dem Ziel auch nicht verkrampfen, wenn wir sehen, dass wir an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Wir müssen verhindern, dass wir am Ende CO2-frei, aber wirtschaftlich tot sind.
Brauchen wir auch neue AKW, wie es die Union fordert?
Aiwanger: Dass wir wieder Atomkraftwerke bauen, sehe ich kurzfristig nicht. Diese Projekte kosten auch viel Geld. Mittelfristig schließe ich es nicht aus. Kernfusion und kleine Atomkraftwerke werden ja immer diskutiert. Letztlich müssen wir aber nicht nur die Frage lösen, wie Strom erneuerbar erzeugt werden kann...
Sondern ...
Aiwanger: Strom steht nur für ein Fünftel des Energiebedarfs. Verkehr, Wärme und Industrie kommen hinzu. Die Hälfte der Häuser Deutschlands hängt am Erdgas, viele hängen am Öl. Ein Atomkraftwerk hilft nur bedingt, weil viele Häuser sich ohne Sanierung auch nicht mit einer Wärmepumpe beheizen lassen.
Aber es könnte helfen, den Strom zu erzeugen, der für die Produktion von Wasserstoff nötig ist ...
Aiwanger: Sinnvoller scheint es mir, gleich Wasserstoff zu importieren, wenn er in Ländern wie Australien oder Nordafrika erzeugt wird. Anders als Strom lässt sich Wasserstoff im Tankschiff um die Welt transportieren.
Ministerpräsident Markus Söder hat kürzlich eine eigene Regierungserklärung zur Wirtschaft abgegeben. Stiehlt er ihnen die Schau oder haben Sie sich abgesprochen?
Aiwanger: Mich freut es, dass die Wirtschaftspolitik wieder die Aufmerksamkeit bekommt, nachdem es in der Coronazeit fast nur um Gesundheitspolitik ging. Ein Ministerpräsident muss sich zu allen Themen äußern können. Wenn wir Bürokratie abbauen oder mehr Mittel für Start-ups über die LfA-Förderbank bereitstellen, ist das alles in meinem Sinn.
Zur Person: Hubert Aiwanger, 53, ist seit November 2018 Wirtschafts- und Energieminister in Bayern sowie stellvertretender Ministerpräsident. Er führt seit 2006 die Freien Wähler. Der gelernte Agraringenieur (FH) ist mit der Regensburger Landrätin Tanja Schweiger liiert und hat zwei Söhne.