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Interview: Aiwanger will mehr Windkraft: "Oma Huber ist jetzt wichtiger als der Rotmilan"

Interview

Aiwanger will mehr Windkraft: "Oma Huber ist jetzt wichtiger als der Rotmilan"

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    "Wir brauchen eine Ausbauoffensive für erneuerbare Energie", sagt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger.
    "Wir brauchen eine Ausbauoffensive für erneuerbare Energie", sagt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Foto: Matthias Balk, dpa

    Herr Aiwanger, wie sicher ist denn unsere Gasversorgung noch, falls Putin wirklich den Gashahn abdreht?

    Hubert Aiwanger: Gas ist die Achillesferse unserer Energieversorgung, weil wir zu über 50 Prozent vom russischen Gas abhängig sind. Wir haben zwar noch für einige Wochen Gas in den Lagern, aber nicht für alle Ewigkeit. Noch liefert Russland. Wir müssen aber die Debatte sachlich führen: Was passiert, wenn

    Welche Alternativen haben wir zum russischen Gas?

    Aiwanger: Wir müssen darüber nachdenken, ob es im europäischen Gasverbund, mit Lieferungen aus anderen Ländern oder mit Flüssiggas möglich sein wird, die Gasversorgung zu unterstützen. Kurzfristig könnten wir aber wegfallendes russisches Gas nicht voll ersetzen. Andere Teile der Wärmeversorgung sind dagegen sicher, zu den ganz sicheren Dingen zählen natürlich heimische Biomasse, beispielsweise Holz und Pelletheizungen. Diese heimischen Energieträger müssen wir ausbauen und stärker nutzen. Es ist falsch, dass Ideologen inzwischen schon die Holzheizung verbieten wollen.

    Wie sicher ist die Stromversorgung?

    Aiwanger: Ich sehe die Stromversorgung als gesichert an, plädiere aber dafür, über Kohle mehr Strom zu erzeugen und dafür Gas zu sparen soweit möglich. Kohle können wir weltweit kaufen, bei Gas ist es schwieriger. In letzter Zeit liefen Gaskraftwerke wieder deutlich mehr, weil Strom gut bezahlt war. Wir können auch im Bereich der erneuerbaren Energie kurzfristig mehr leisten. Der Bund ist aufgefordert, Biogasbetreibern und Landwirten zu erlauben, mehr Strom einzuspeisen. Unsere Landwirte könnten mehr Strom mit ihren Biogasanlagen liefern, wenn sie dürften. Doch wir müssen natürlich prüfen, ob es sinnvoll ist, die Silovorräte jetzt schon schnell zu verbrauchen oder erst später. Derzeit prüfen wir auch technisch und juristisch, ob es möglich wäre, Kernkraftwerke länger am Netz zu lassen, bevor alle Stricke reißen. Sollte es möglich sein, muss es am Ende politisch entschieden werden, was vom weiteren Verlauf der Krise abhängt. Regulär sollten die drei letzten deutschen Kernkraftwerke Ende 2022 abgeschaltet werden.

    Könnte man auch das AKW Gundremmingen reaktivieren?

    Aiwanger: Derzeit sind in Deutschland noch drei Kernkraftwerke am Netz, in Bayern gehört Isar II dazu. Zum Jahreswechsel 2021/22 wurden ebenfalls drei abgeschaltet, darunter Gundremmingen C in

    Markus Söder würde längere Atomlaufzeiten der Kohle vorziehen. Wie sehen Sie es?

    Aiwanger: Ich bin etwas skeptischer als Herr Söder, was Atom vor Kohle betrifft. Wir erleben einen Krieg vor der Haustüre, ein Atomkraftwerk bietet da auch ein Erpressungspotential. Bereits in Friedenszeiten haben wir Tschernobyl und Fukushima erlebt. Die Kehrseite des Atomstroms ist das Thema Sicherheit. Mit der Kohle können wir recht unspektakulär das Thema Wärme und Strom abdecken. Ich würde in der Abwägung „Atom gegen Kohle“ stärker auf Kohle setzen. Wir sollten auf dem Weltmarkt jede verfügbare Kohle anschaffen, die wir bekommen können, um die Lager für mehrere Monate im Voraus zu befüllen. Auch Braunkohle muss im Notfall stärker genutzt werden.

    Kohle ist aber Gift für den Klimaschutz, oder?

    Aiwanger: Kohlekraftwerke sind in den europäischen Emissionshandel eingebunden, der die Gesamtemissionen deckelt. Sofern also in diesem Bereich mehr CO2 durch einen verstärkten Betrieb anfällt, würden folglich Einsparungen an anderer Stelle erfolgen. Daher sehe ich das in der aktuellen Situation nicht kritisch.

    Müssen wir jetzt erkennen, dass wir die Energiewende zu langsam angepackt haben?

    Aiwanger: Wir brauchen eine Ausbauoffensive für erneuerbare Energie. Wenn wir es jetzt nicht schaffen, dann ist uns nicht mehr zu helfen. Wir haben in der Vergangenheit allein bei Pumpspeicherkraftwerken viele Chancen verstreichen lassen, beispielsweise in Riedl bei Passau oder am Poschberg in Oberbayern. Ich bin ein großer Fan von

    Bayern hat versprochen, im Frühjahr Bundesminister Habeck einen Plan zum Ausbau der Windkraft vorzulegen. Was werden Sie vorschlagen?

    Aiwanger: Wir müssen endlich in der Windkraft den Knoten durchschlagen, das heißt mindestens in den Wäldern und in den schon ausgewiesenen Vorrang- und Vorbehaltsgebieten die 10H-Abstandsregel fallen zu lassen und sofort in die Planung zu gehen. Dann haben wir in ein paar Jahren mehrere hundert Windräder. Wenn wir wieder nur reden, stehen uns in der nächsten Krise erneut nur Fragezeichen in den Augen.

    In Bayern ist gerade aber im Wind-Ausbau mit Widerstand zu rechnen...

    Aiwanger: Wald macht ein Drittel der bayerischen Landesfläche aus. Wir können dort hunderte Windräder bauen, müssen aber an die langen Genehmigungsverfahren ran. Oma Huber ist jetzt wichtiger als der Rotmilan. Dass Oma Huber Strom hat und im Warmen sitzt, geht vor den Schutz eines Vogels.

    Naturschützer dürften das anders sehen, oder?

    Aiwanger: Wir brauchen ein gesamtgesellschaftliches Umdenken: Früher bestand die Grundversorgung aus Kohle, Atom und Erdgas, die erneuerbaren Energien waren das schmückende Beiwerk obendrauf. Jetzt müssen die erneuerbaren Energien das Fundament unserer Energieversorgung werden statt schmückendes Beiwerk. Es kann nicht sein, dass wir deshalb jahrelang vor dem Bau eines Windrads eine Monitoring durchführen müssen, ob dort ein Rotmilan fliegt. Hat das Monitoring dann eine kleine Lücke, können neu errichtete Windräder teilweise von Mai bis Oktober nur nachts laufen, um keinen Rotmilan zu gefährden - obwohl man gar nicht weiß, ob es dort überhaupt einen gibt. Dann steht eine für sechs Millionen Euro errichtete Anlage still, die 15.000 Menschen versorgen könnte. Dies sind Schildbürgerstreiche im Quadrat, am Ende sitzt Oma Huber im Kalten und der Milan fliegt dort gar nicht. Auch finanzielle Anreize für Kommunen helfen. Fließen 0,2 Cent pro Kilowattstunde erzeugtem Strom an die Gemeinde, sind das 40.000 Euro pro Windrad im Jahr.

    Welche Chancen hat die Solarenergie, wenn jetzt der Ausbau wieder stärker gefördert werden soll?

    Aiwanger: Im Solarbereich freue ich mich, dass die Bundesregierung im Osterpaket deutliche Signale zu mehr Anlagen auf Dachflächen, Freiflächen, einer höheren Einspeisevergütung und der Befreiung von Kleinanlagen von Abgaben gibt. In Bayern haben wir 75.000 Dachflächen durch Zuschüsse zu Strom-Speichern angeregt. Heute sind rund 50 Prozent des Stromverbrauchs in Bayern erneuerbar erzeugt. Unser Anspruch muss es sein, den Strom zu 100 Prozent erneuerbar zu erzeugen. Das ist eine Verdoppelung, aber diesen Ehrgeiz müssen wir aufbringen.

    Bis wann wollen Sie die 100 Prozent erneuerbare Energie in Bayern erreicht haben?

    Aiwanger: Wir müssen jetzt beginnen. Ein Windrad zu errichten, braucht mit der heutigen Bürokratie 5 Jahre, wenn es zwei Jahre weniger werden, wäre das gut. Bei Photovoltaik dauert es mindestens zwei Jahre, bei der Wasserkraft zehn.

    Drohen nicht neue Konflikte, schließlich sind Freiflächen-Photovoltaikanlagen auch nicht in jeder Gemeinde erwünscht?

    Aiwanger: Bei Solaranlagen gibt es eine Flächenkonkurrenz mit der Landwirtschaft. Heute werden für Photovoltaik-Flächen teilweise bereits mehrere tausend Euro pro Hektar und Jahr an Pacht gezahlt, deutlich mehr als für eine rein landwirtschaftliche Pacht. Ich plane Informationsveranstaltungen, um den Photovoltaikausbau mit Landwirten, Bürgermeistern, Betreibern, Energieexperten und Naturschützern gemeinsam anzugehen. Auch die Netzbetreiber müssen ins Boot, damit eine fertige Anlage auch angeschlossen werden kann, nicht erst zwei Jahre später.

    Erdgas und künftig Wasserstoff aus Russland zu bekommen, dürfe ebenfalls schwerer werden. Beide Energieträger spielen aber in der Energiewende eine besondere Rolle. Wie kommen wir aus dieser Abhängigkeit heraus?

    Aiwanger: Hätten wir früher auf Wasserstoff gesetzt, hätten wir die Abhängigkeit nicht. Bayern hat die erste deutsche Wasserstoff-Strategie verabschiedet, ein Wasserstoff-Bündnis mit 200 Partnern gegründet und errichtet heuer erste LKW-Wasserstoff-Tankstellen. Einen Teil des Wasserstoffs können wir im Land erzeugen, einen Teil in anderen Regionen wie Südeuropa, in arabischen Ländern oder Südamerika. Wenn wir ganz abenteuerlich denken, kann man auch die Kernkraft nutzen, um Wasserstoff zu erzeugen und damit die Gasengpässe aus Russland zu überbrücken. Es wäre technisch denkbar, mit Kernkraft Elektrolyseure zu betreiben und mit dem Wasserstoff das Gas aus Russland teilweise zu ersetzen. Das wäre roter Wasserstoff. Ich hoffe nicht, dass wir diese Szenarien umsetzen müssen.

    Die Energiepreise steigen, der Bund hat zur Entlastung einiges getan. Reicht es?

    Aiwanger: Es reicht ausdrücklich nicht. Wir müssen vor allem die Energiesteuer soweit Richtung null drehen, wie es rechtlich möglich ist. Denkbar ist eine Stromsteuer von 0,1 beziehungsweise 0,05 Cent pro Kilowattstunde, das ist der europäisch zugelassene Mindestsatz. Die Mehrwertsteuer auf Erdgas und andere Energieträger muss soweit runter wie möglich. Die Debatte dreht sich um 7 Prozent Mehrwertsteuer, ich sage gerne 0 Prozent. Wir müssen die Netzentgelte aus der Bundessteuerkasse begleichen. Die Wirtschaft braucht einen niedrigen Industriestrompreis, den die Politik vorgeben muss. Hier muss die EU schnell die Erlaubnis dafür geben. Wir können uns an Frankreich messen. Auch wir brauchen einen politisch vorgegebenen Industriestrompreis von unter 4 Cent je Kilowattstunde.

    Wie kann man Unternehmen helfen, die derzeit der Ukraine-Krieg trifft?

    Aiwanger: Sinnvoll sind staatliche Hilfspakete ähnlich wie in der Corona-Zeit. Wir können nicht sagen: Wer in Russland oder der Ukraine investiert hat, hat Pech gehabt. Siemens und BMW haben sich überwiegend schon zurückgezogen, es sind aber auch hunderte bayerische mittelständische Betriebe und Familienbetriebe, die ihr Vermögen dort investiert haben. Wenn sie keine Hilfe bekommen, sind viele schlichtweg Pleite. Unterstützung kann über Banken laufen, beispielsweise prüfen wir über die LfA-Förderbank in Bayern, was wir tun können, so dass Kredite später zurückgezahlt werden müssen. Wir brauchen zudem ein gezieltes Härtefallprogramm seitens des Bundes, wie wir diesen Firmen den Ruin ersparen können. Es sei dahingestellt, ob wir wie bei Corona alles abpuffern können, wichtig ist, dass wir die Existenzgefährdung abwenden können. Das Handelsvolumen mit Russland beträgt neun Milliarden Euro, das mit der Ukraine gut eine Milliarde. Ein Hilfsprogramm scheint keine unlösbare Aufgabe zu sein.

    Hören Sie sich dazu auch unsere Podcast-Serie "Gespalten – Gundremmingen und das Ende der Atomkraft" an.

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