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Industrie: Metallarbeitgeber-Präsident: "Gas-Embargo wäre absolute Katastrophe"

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Metallarbeitgeber-Präsident: "Gas-Embargo wäre absolute Katastrophe"

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    Stefan Wolf ist Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. (Archivbild)
    Stefan Wolf ist Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. (Archivbild) Foto: Marijan Murat, picture alliance/dpa

    Herr Wolf, hat sich Deutschland zu abhängig von russischem Gas gemacht? Vor zehn Jahren stammten 35 Prozent unserer Gas-Importe aus dem Land, heute sind es 55 Prozent. Zahlen wir dafür jetzt die Zeche?

    Stefan Wolf: Ja, dafür zahlen wir jetzt die Zeche. Die Politik hat hier Fehler gemacht. Und selbstkritisch sage ich: Auch die Wirtschaftsverbände hätten auf diese zu hohe Abhängigkeit von russischem Gas hinweisen müssen.

    Doch warum ist all das nicht passiert?

    Wolf: Vielleicht, weil sich in Deutschland eine Mentalität eingeschlichen hat, dass unser Wohlstand normal ist, ja dass es normal ist, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben und dass die Wirtschaft wächst. Keiner hat sich Gedanken gemacht, dass die Dinge auch anders laufen können, also unser Wohlstand einmal gefährdet sein kann.

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck macht sich jetzt große Sorgen um unseren Wohlstand.

    Wolf: Der Bundeswirtschaftsminister hat recht. Schließlich ist die Inflation auf 7,3 Prozent nach oben geschnellt und die künftige Versorgung Deutschlands mit Gas wirkt unsicher. Der Realismus von Herrn Habeck ist wohltuend, auch weil er den Abschied von manchen, auch grünen Illusionen bedeutet.

    Welche Konsequenzen müssen wir aus dem deutschen Gas-Dilemma ziehen?

    Wolf: Mittel- und langfristig müssen wir Abhängigkeiten verringern. Kurzfristig geht das nicht. Ein Gas-Embargo wäre eine absolute Katastrophe.

    Sie sprechen von politischen Fehlern. Sind diese vor allem der früheren Kanzlerin Angela Merkel anzulasten, in deren Amtszeit Deutschland immer mehr russisches Gas bezogen hat?

    Wolf: Es wurden Fehler gemacht. Doch zum Zeitpunkt, als die Gas-Lieferverträge mit Russland ausgeweitet wurden, hat man diese Fehler nicht gesehen. Auf alle Fälle war die Regierung Merkel nicht umsichtig genug. Kein Fahrzeughersteller macht sich von nur einem Zulieferer abhängig. Deshalb setzt er meist auf zwei oder drei Lieferanten. Diese sinnvolle Strategie haben neben Frau Merkel sicher auch Verantwortliche des Wirtschaftsministeriums nicht bedacht. Denn keiner konnte sich vorstellen, dass jemals eine solch verheerende Situation eintritt. Ich selbst hätte nie mit einem solchen Krieg gerechnet. Man dachte, es läuft alles weiter wie bisher. Doch die Welt ist jetzt eine ganz andere.

    Was muss die Regierung nun tun?

    Wolf: Ich erwarte jetzt von unserer Regierung, dass sie sich über mögliche Risiken Gedanken macht und dementsprechend Risikovorsorge betreibt. Das machen Unternehmerinnen und Unternehmer auch. Das ist Ausdruck einer verantwortungsvollen Führung.

    Jeder Bankberater rät einem ja, nicht alle Anlagen-Eier in ein Körbchen zu legen.

    Wolf: Als Lehre aus der Situation müssen wir viele Entscheidungen viel breiter beleuchten. Das gilt auch für Standort-Entscheidungen von Unternehmen. Hier sollten wir stärker als bisher geopolitische Risiken bedenken. Finanzielle Überlegungen wie zum Beispiel niedrige Steuersätze und staatliche Zuschüsse dürfen nicht mehr allein ausschlaggebend für eine Ansiedlung im Ausland sein. Wir müssen als Konsequenz aus dem Gas-Dilemma viel schneller regenerative Energien ausbauen. Dazu sollten bürokratische Hemmnisse abgebaut werden. Leider endet das Grünsein bei vielen Menschen vor der Haustür, eben wenn dort ein Windrad gebaut werden soll. Da brauchen wir einen Bewusstseinswandel. Wenn wir unabhängiger von russischem Gas werden wollen, ist diese Republik vermutlich voll gepflastert mit Windkraftanlagen. Daran führt kein Weg vorbei.

    Doch haben neben der Politik nicht auch deutsche Energie-Manager versagt, die sich zu sehr auf das billige russische Gas verlassen haben?

    Wolf: Man hätte mahnend auf die Politik einwirken müssen, das Risiko bei der Gas-Beschaffung besser zu verteilen. Natürlich sind aber auch die Alternativen zu russischem Gas problematisch. Flüssig-Gas aus den USA wird durch Fracking gewonnen, was die Umwelt belastet. Und wenn wir mehr Gas aus dem Nahen und Mittleren Osten beziehen, vertiefen wir Geschäfte mit Ländern, die Menschenrechte verletzen. Das ist eine schwierige, ja widersprüchliche Lage.

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Gespräch mit Katars Energieminister Saad Scharida al-Kaabi.
    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Gespräch mit Katars Energieminister Saad Scharida al-Kaabi. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Wirtschaftsminister Habeck ist nach Katar gefahren, um dort Flüssiggas zu organisieren.

    Wolf: Doch Katar zählt zu den Staaten, in denen Menschenrechte verletzt werden, zum Beispiel beim Bau der Stadien für die Fußball-Weltmeisterschaft. Mit solch einem Staat machen wir jetzt Gas-Verträge. Dagegen müssen auch die deutschen Betriebe der Metall- und Elektroindustrie nach dem Lieferketten-Sorgfalts-Gesetz nachweisen, dass der letzte kleine Schraubenlieferant in einem entfernten Land nicht Kinder arbeiten lässt. Das ist für uns schwer erfüllbar. Denn wir können die Lieferketten nicht bis ins Kleinste kontrollieren.

    So sitzen wir weiter in der russischen Gas-Falle. Soll Deutschland von sich aus auf das Putin-Gas verzichten?

    Wolf: Das wäre ein großer Fehler. Unsere Wirtschaft ist extrem von russischem Gas abhängig. Die Bundesnetzagentur muss sich genau überlegen, ob sie an der Rangfolge der Kunden festhält, die vorrangig Gas bekommen, wenn Putin uns von sich aus das Gas abdreht. Bisher sind in einem solchen Notfall alle privaten Haushalte Kunden erster Klasse und werden vorrangig bedient. Die Industrie wäre Kunde zweiter Klasse. Wenn die Industrie aber wegen mangelnder Gaslieferungen in hohem Maße runterfahren muss, erleben wir den größten wirtschaftlichen Einbruch in der Nachkriegszeit. Das wäre der Super-GAU. Die Kurzarbeit würde sprunghaft ansteigen, und Firmen müssten zum Teil Beschäftigte entlassen. Wenn jedoch weiter Gas fließt und sich die

    Sie fordern bei der Gas-Versorgung im Notfall Vorrang für die Industrie?

    Wolf: Niemandem wäre damit gedient, wenn die Menschen bei 24 Grad zu Hause in der Wohnung sitzen, aber die Unternehmen, in denen sie arbeiten, zusammenbrechen. Dann werden Menschen zu 100 Prozent in Kurzarbeit geschickt oder in kleinen oder mittleren Unternehmen zum Teil sogar entlassen. So müssen sich die Bundesnetzagentur und die Bundesregierung die Frage gefallen lassen: Wie sollen die Menschen dann noch ihre Gas- und ihre Stromrechnungen zahlen? Mir wäre es lieber, ich sitze ein paar Monate bei 18 Grad zu Hause und ziehe zwei Pullover an, behalte aber meinen Arbeitsplatz, weil die Industrie vorrangig mit Gas bedacht wird.

    Also dick anziehen für den Job-Erhalt?

    Wolf: Wir brauchen jetzt eine Güterabwägung und dürfen nicht sklavisch einem Gesetz folgen, das entstanden ist, als niemand daran dachte, Russland könnte uns einmal den Gas-Hahn zudrehen. Wir dürfen auf keinen Fall die Industrie als Schlagader unseres Wohlstands und Schlagader von Arbeitsplätzen abstellen. Wenn diese Ader abgedrückt wird, dann dauert es Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, bis wir wieder das wirtschaftliche Niveau von heute erreichen. Danach muss der Staat handeln.

    Doch immerhin federt der Staat durch das Energiepaket die Mehrkosten für viele Bürgerinnen und Bürger etwas ab.

    Wolf: Doch dieses Energiepaket schafft einen großen bürokratischen Mehraufwand für die Firmen. Die Unternehmen müssen dazu das ganze Lohnabrechnungssystem umstellen. Warum wird so etwas wieder den Arbeitgebern aufgebürdet? Besser wäre es, die Abrechnung über die Finanzämter laufen zu lassen. Das Energiepaket muss auch, was die Höhe der Entlastung betrifft, nachgebessert werden.

    Eine Nachbesserung, was die Löhne betrifft, also einen Inflationsausgleich wird sicher auch die Gewerkschaft IG Metall von den Arbeitgebern in diesem Jahr fordern.

    Wolf: Wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so wie jetzt bleiben, befinden wir uns in einem massiven Zielkonflikt: Auf der einen Seite stehen eine hohe Inflation und steigende Energiekosten, auf der anderen Seite kämpfen die Unternehmen nicht nur mit den hohen Energiekosten, sondern auch mit immens gestiegenen Materialkosten. Allein die Preise für Stahl, Aluminium und Kunststoffgranulate sind unglaublich in die Höhe geschnellt. Da noch etwas in Form von Lohnkostensteigerungen draufzusetzen, wird vielen Unternehmen das Genick brechen. Dabei haben wir schon sehr hohe Durchschnittseinkommen in der Metall- und Elektroindustrie. Wenn Krankenschwestern oder Zahnarzthelferinnen das erfahren, werden sie blass. Doch diese Menschen treffen die Preissteigerungen genauso wie unsere, deutlich besser verdienenden Beschäftigten.

    Wäre es nicht vernünftig, die Tarifrunde angesichts der extrem angespannten wirtschaftlichen Lage auf das kommende Jahr zu verschieben?

    Wolf: In diesen außergewöhnlichen Zeiten steht es der IG Metall frei, ob sie den Tarifvertrag kündigt oder nicht. Die Gewerkschaft muss ihn ja nicht kündigen.

    Droht der Metallindustrie eine Rezession?

    Wolf: Wenn Stahl, Aluminium und Kunststoffgranulate so knapp und teuer bleiben, steuert unser Wirtschaftszweig in diesem Jahr auf ein Nullwachstum oder sogar eine Rezession zu. Das gilt gerade auch deswegen, weil China derzeit etwa in Shanghai auf die steigenden Corona-Zahlen mit harten Lockdowns reagiert.

    Wie hart treffen die Sanktionen gegen Russland die Metall- und Elektroindustrie? Können wir uns das leisten?

    Wolf: Je nach Branche wirken sich die Sanktionen unterschiedlich aus. Die Fahrzeugindustrie ist in Russland zwar vertreten. Der Markt ist jedoch für die Hersteller nicht so relevant. Härter trifft es die deutschen Maschinenbauer, die gut in

    Sollten sich dennoch alle deutschen Metall- und Elektrobetriebe aus Russland zurückziehen?

    Wolf: Es ist gefährlich, solche Märkte aufzugeben, stehen doch schon Unternehmen aus anderen Ländern bereit, um in die Lücke zu stoßen. Auch in China und in der Türkei gibt es inzwischen gute Maschinen- und Anlagenhersteller. Diese Firmen nützen die Lage schnell aus. Wenn ein Markt mal weg ist, wird es schwer, ihn sich wiederzuholen. Das ist ein Ritt auf der Rasierklinge: Rationale, wirtschaftliche Überlegungen konkurrieren mit moralischen Überlegungen.

    Muss die Devise nicht lauten: im Zweifel für die Moral, also alle deutschen Firmen raus aus Russland?

    Wolf: Man muss abwägen und einen Mittelweg gehen. Unternehmen, für die Russland ein sehr wichtiger Markt ist, sollte man den Zugang nicht komplett verwehren. Sonst könnte der Markt für sie dauerhaft weg sein. Ich plädiere also für ein Vorgehen mit Augenmaß.

    Kanzler Olaf Scholz agiert unaufgeregt und mit Augenmaß in diesen Krisenzeiten.

    Wolf: In einer so schwierigen Zeit braucht ein Land Führung. Ein Bundeskanzler muss jetzt den Menschen eine Perspektive aufzeigen, einen Halt geben und sie emotional unterstützen. Wer eine Bundesregierung führt, muss auch das Land und die Menschen führen. Das ist Teil der Stellenbeschreibung eines Bundeskanzlers.

    Doch viele Menschen empfinden die Politik der ruhigen Hand von Scholz in aufwühlenden Zeiten als wohltuend.

    Wolf: Diese Politik der ruhigen Hand allein reicht nicht. Die Menschen wollen mitgenommen werden. Die Menschen brauchen jemanden, der da ist. Das ist in der Politik wie in einem Unternehmen. In unserer baden-württembergischen Firma ElringKlinger versuche ich gegenüber den Beschäftigten Zuversicht auszustrahlen, also ihnen, auch wenn die Preise für Stahl und Aluminium explodieren, Halt und Perspektive zu geben. Das ist für jede Führungsfunktion elementar. Diese Mentalität des Anpackens fehlt mir an der Spitze der Bundesregierung.

    Zur Person: Stefan Wolf, 60, ist seit November 2020 Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Der Jurist wirkt von 2006 an als Vorsitzender des Vorstandes der baden-württembergischen ElringKlinger AG. Wolf vertritt die Interessen von mehr als 25.000 Betrieben der Metall- und Elektroindustrie, zu der allen voran der Fahrzeug- und Maschinenbau gehören. Zuletzt waren in dem Wirtschaftszweig 3,853 Millionen Menschen beschäftigt.

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