Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

In Deutschland gehen Industrie-Arbeitsplätze verloren - das ist brandgefährlich

Kommentar

Der deutsche Arbeitsmarkt ist kein Schlaraffenland mehr

Stefan Stahl
    • |
    • |
    Am Arbeitsmarkt fallen immer mehr Industrie-Jobs weg.
    Am Arbeitsmarkt fallen immer mehr Industrie-Jobs weg. Foto: Uwe Zucchi, dpa

    Der Wohlstand Deutschlands hängt in hohem Maße von der Industrie ab. Teile des Wirtschaftszweigs sind in eine Krise abgerutscht. Der Prozess verläuft schleichend, aber hartnäckig und setzt sich ungebrochen fort. So will der Autozulieferer ZF bis zu 14.000 Stellen in Deutschland streichen. VW stellt sogar Standorte infrage. Das sind spektakuläre Fälle. Die Krise der Industrie zeigt sich indes oftmals weniger öffentlichkeitswirksam: Weil Unternehmer die Regelungsdichte in Deutschland nicht mehr ertragen und unter im internationalen Vergleich zu hohen Energiepreisen leiden, bauen sie ihre Produktion und auch Forschung immer häufiger nicht mehr hierzulande, sondern in für sie vorteilhafteren Ländern aus. Das ist keine Drohung mehr wie früher, sondern traurige Wirklichkeit. Der Prozess steht erst am Anfang und wird sich, wenn die Politik auf nationaler wie EU-Ebene nicht entschieden gegensteuert, in nächster Zeit beschleunigen.

    Die Deindustrialisierung ist im Gange und hat den Arbeitsmarkt erreicht, wie der Ökonom Jens Südekum und der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber erkennen. Tausende Industrie-Arbeitsplätze gehen verloren. Das ist deswegen brandgefährlich für unsere Volkswirtschaft, weil diese Stellen meist gut bezahlt sind und eine hohe Qualifikation erfordern. Damit geht Wohlstand verloren. Und Unternehmen, die auch wegen zu hoher Lohnkosten Teile der Produktion ins Ausland verlegen, holen diese nur in seltenen Fällen zurück. Was weg ist, ist meist weg.

    Kanzler Scholz sollte genauer hinschauen

    Als besonders tückisch erweist sich hierbei, dass der Job-Aderlass der Industrie, was den Arbeitsmarkt insgesamt betrifft, nicht sonderlich auffällt, eben weitgehend unter dem Radar abläuft. So ist die Arbeitslosigkeit im August im Vergleich zum Vorjahr zwar um 176.000 auf 2,872 Millionen gestiegen, aber noch ist die Drei-Millionenschwelle nicht erreicht. Dabei liegt die Zahl der Beschäftigten auf Rekord-Niveau, schließlich konnten mehr Zuwanderer in den Arbeitsmarkt integriert werden. Auch die Zahl der Teilzeit-Kräfte zieht an. Der Arbeitsmarkt ist dennoch kein Schlaraffenland, auch wenn Scholz die Rekord-Beschäftigung feiert. Er sollte genauer hinschauen: Dann würde der Kanzler schnell erkennen, dass neue Dienstleistungs-Jobs im Pflege- oder Erziehungsbereich schlechter als wegbrechende Industrie-Stellen bezahlt werden. Unter dem Strich ist die Wohlstandsbilanz damit negativ. Ingenieure und Facharbeiter können eben mehr Geld ausgeben als etwa Pflegekräfte.

    Noch kann Deutschland gegensteuern. Das beste Rezept gegen Deindustrialisierung ist Industrialisierung. Dazu müssen Geschäftskonzepte, wie sie Start-ups entwickeln, wenn es um Technologien zur Dekarbonisierung und Digitalisierung geht, in erneuerte Produktionsbetriebe einfließen. Unsere Maschinenbauer, aber auch Handwerker sind weltweit führend darin, Anlagen und Methoden zu entwickeln, um die Menschheit vom Klima-Killer CO₂ zu bewahren. Deutschland könnte zum Klimawende-Musterländle werden. Das strebte die Ampel-Regierung an, wurde vom Krieg in der Ukraine, Haushaltsproblemen und internen Rangeleien ausgebremst. Aus Fortschritt wurde Stillstand. Die Nachfolge-Regierung muss einen neuen Anlauf wagen, damit Deutschland ein führendes Industrie- und Klimawende-Land bleibt. Dabei ist ihr mehr Cleverness, Verlässlichkeit, Realitätssinn und Glück als dem leider gescheiterten Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck zu wünschen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden