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Ifo-Chef Clemens Fuest: So kommt die Wirtschaft wieder in Schwung

Interview

Ifo-Chef Fuest erklärt: So kommt die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung

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    Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, fordert eine Reihe weiterer Reformen von der Bundesregierung.
    Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, fordert eine Reihe weiterer Reformen von der Bundesregierung. Foto: Sebastian Kahnert, Christoph Soeder, dpa

    Herr Fuest, die Koalition in Berlin hat sich noch einmal zusammengerauft. Beschlossen hat sie unter anderem Anpassungen beim Bürgergeld. Gibt es jetzt mehr Anreize zur Arbeitsaufnahme?
    CLEMENS FUEST: Die Bundesregierung bemüht sich jetzt, es interessanter zu machen, zu arbeiten. Das ist nur ein erster Schritt, aber er geht in die richtige Richtung. Wir haben jahrelang, nicht nur im Bürgergeld, sondern in unserem gesamten Steuer- und Transfersystem, in die falsche Richtung gesteuert und es immer interessanter gemacht, nicht zu arbeiten. Dann muss man sich auch nicht darüber beschweren, dass die Leute immer weniger arbeiten. Wir haben das kürzlich in einer Studie am Beispiel eines Paares mit zwei Kindern gezeigt: Einer arbeitet Vollzeit und die beiden überlegen, ob sie eine Zweidrittelstelle dazunehmen, bei einem Stundenlohn von zum Beispiel 20 Euro. Das liegt deutlich über dem Mindestlohn und bedeutet brutto 2000 Euro Mehrverdienst. Der Nettoverdienst liegt dann in vielen Fällen im Bereich zwischen 30 und 150 Euro, je nachdem wie die persönlichen Verhältnisse sind. Das ist ein niederschmetternder Befund und ich sehe bis jetzt keine angemessene Reaktion der Politik darauf.

    Dafür wird an anderer Stelle angestrengt nach Wegen gesucht, die begehrten Fachkräfte ins Land zu bringen. Wirtschaftsminister Habeck denkt zum Beispiel an einen Steuerbonus für Eingewanderte. Macht das Sinn?
    FUEST: Herr Habeck ist sehr stark kritisiert worden dafür, dass er diese Steueranreize setzen will für ausländische Fachkräfte. Ich halte diese Kritik für unberechtigt. Es gibt viel Erfahrung mit solchen Politiken, zum Beispiel in den Niederlanden. Dort hat sich dank so einer Politik die Zahl der qualifizierten Zuwanderer verdoppelt. Das heißt, man hat einen erheblichen Effekt. Also, wenn die Politik mehr Fachkräfte haben will, dann ist das eine wirksame Maßnahme.

    Finanzminister Lindner will dagegen lieber Anreize setzen für Menschen, die bereits hier arbeiten. Arbeiten die Leute mehr, wenn Überstunden steuerfrei sind?
    FUEST: Das Problem unseres Arbeitsmarktes ist nicht, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten, zu wenig Überstunden machen. Es gibt auch dazu eine sehr gut gemachte Studie, die zeigt, dass solche Maßnahmen vor allem zur Steuervermeidung führen. Man hat dann große Anreize, alles Mögliche in Überstunden umzubenennen. Unser Problem ist eher, dass wir sehr viel Teilzeitarbeit haben und wir Menschen ermutigen möchten, mehr Stunden zu arbeiten. Dafür ist die Steuerfreiheit von Überstunden nicht das richtige Instrument.

    Nach der Einigung der Koalition soll die Schuldenbremse weiter eingehalten werden. Wie lange kann das noch durchgehalten werden, gerade mit Blick auf den Verteidigungshaushalt, für den der Zuwachs nun deutlich niedriger ausfallen soll, als von vielen erhofft?
    FUEST: Wir haben im Verteidigungsbereich die Sonderverschuldung, damit kommen wir die nächsten Jahre noch aus. Wir müssen uns aber mit der Frage beschäftigen, wie wir dauerhaft höhere Verteidigungslasten finanzieren. Das hat ja auch der Bundeskanzler zurecht gesagt. Verteidigungsausgaben bringen kaum Wachstum, in diesem Sinn sind das keine Investitionen, sondern Staatsausgaben mit konsumtiven Charakter. Sie sind sehr wichtig, aber wenn man mehr Aufwand für Verteidigung betreiben muss, kann man das nicht auf Dauer mit Schulden finanzieren, nur im Übergang. Das haben wir jetzt getan. Jetzt haben wir Zeit, uns darauf vorzubereiten, dass wir die konsumtiven Ausgaben im Bundeshaushalt senken und sie umlenken in die Verteidigung.

    Wachstum auslösen können dagegen Innovationen. Setzt die Bundesregierung da die richtigen Schwerpunkte, etwa mit einer Hilfe von zehn Milliarden Euro für Intel für die Ansiedlung einer Chipfabrik in Magdeburg?
    FUEST: Die Schwierigkeit bei der Subventionierung von Intel ist, dass es nicht um Innovationen geht, sondern um die Massenproduktion von Halbleitern. Man könnte ja meinen, das ist eher so eine Art Versicherung dagegen, dass vielleicht einmal Halbleiterlieferungen etwa aus Taiwan ausfallen. Tatsächlich ist es aber so, dass in einem solchen Krisenfall Intel seine Halbleiter meistbietend auf dem Weltmarkt verkaufen würde. Deutschland hat davon gar nichts. Insofern würde ich sagen, das ist eine Fehlinvestition. Es wäre in Ordnung gewesen, wenn Intel die Fabrik woanders hingestellt hätte.

    Wie wäre das Geld denn besser angelegt?
    FUEST: Wenn Sie fragen, was vor 20 Jahren die drei Unternehmen in Europa waren, die am meisten für Forschung und Entwicklung ausgegeben haben, dann lautet die Antwort: Volkswagen, Mercedes, Siemens. Heute sind es Volkswagen, Mercedes und Bosch. In den USA waren es vor 20 Jahren Ford, General Motors und Pfizer, heute sind es Amazon, Alphabet und Meta. Da sieht man den Wandel. Eine einzige Firma, Amazon, gibt mehr für Forschung und Entwicklung aus als die gesamte französische Volkswirtschaft. Hier müssen wir dagegenhalten. In Europa wird viel geforscht in Universitäten und in staatlichen Forschungseinrichtungen, aber es tut sich zu wenig im privaten Sektor. Zwei Drittel unserer privaten Ausgaben für Forschung und Entwicklung kommen aus dem Automobilsektor. Aber ist das wirklich die Zukunft?

    Wie schaffen wir die Wende?
    FUEST: Es beginnt bei den rechtlichen Voraussetzungen für Unternehmensgründungen. Das muss einfacher werden, also Bürokratieabbau. Dann gibt es eine Kapitalmarktseite: Deutschland spart sehr viel, aber wie schaffen wir es, dass mehr von diesem Kapital in Start-ups fließt? Dann geht es um den europäischen Binnenmarkt: Wenn man in anderen Ländern aktiv werden will, ist das noch immer oft wahnsinnig kompliziert und man stößt ständig auf neue Regelungen. Wir müssen das Arbeitsrecht ändern. Hire and fire muss möglich sein bei Leuten, die im Hochtechnologiebereich arbeiten. Diese gesuchten Kräfte finden leicht wieder einen neuen Job. Aber wenn man Unternehmen gründet, besteht einfach viel Unsicherheit. Man stellt Leute ein, die gut bezahlt werden, und plötzlich stellt man fest, man braucht sie doch nicht. Das heißt, man muss sie auch schnell wieder loswerden können. Das Steuerrecht muss sich ändern. Wenn man in Deutschland ein Unternehmen mit einem Verlustvortrag handeln will, läuft man Gefahr, den Verlustvortrag zu verlieren. Das tötet Start-up-Entwicklung, weil es dazugehört, dass diese Unternehmen erst mal Verluste machen. Wir brauchen eine durchdachte Querschnitts-Agenda für Unternehmensgründungen und Innovationen.

    Als extrem dynamisch gilt China. Seine E-Autohersteller sind sogar so erfolgreich, dass die EU-Kommission ihre Expansion nun mit Zöllen ausbremsen will. Ist das eine gute Idee?
    FUEST: Wenn die Subventionen tatsächlich so sauber abgrenzbar wären, dass man sagen könnte, China subventioniert hier und verzerrt den Wettbewerb, dürfte Europa unter WTO-Regeln Ausgleichszölle erheben. Aber das ist natürlich sehr theoretisch. Auch in Europa werden hohe Subventionen gezahlt, wenn wir an die Batteriefabriken denken. Praktisch betrachtet haben wir zwei Probleme: Es droht ein Handelskrieg, der insbesondere der deutschen Wirtschaft schaden könnte. Außerdem möchten wir die Elektromobilität ja voranbringen. Wenn wir Elektroautos verteuern, selbst wenn sie aus China sind, bremsen wir das. Das Problem gibt es auch bei Solarpaneelen und Windrädern, die wir brauchen für die Dekarbonisierung. Diesen Aspekt müssen wir auch sehen, und daher bin ich der Meinung, dass die stärkeren Argumente gegen Zölle sprechen.

    Auch ohne Zölle gibt es wenig Zeichen, die auf eine Entspannung im Verhältnis zwischen Europa, den USA und China hindeuten. Kann eine Trennung der Blöcke überhaupt noch abgewendet werden?
    FUEST: Das Decoupling hat schon begonnen. Der Handel zwischen China und den USA ist bereits massiv gesunken. Auch in Europa wächst der Handel mit den USA stärker als mit China. Ökonomisch betrachtet ist das Decoupling extrem kostenintensiv. Meines Erachtens sollte man das auf Bereiche beschränken, bei denen man Sorgen um die Sicherheit hat. Unser Sicherheitsinteresse ist eigentlich, dass China in Europa investiert, dann hat Peking einen Grund, Europa nicht zu schaden. Chinesische Investitionen bei uns wären so eine Art Geisel. Das funktioniert aber nur, wenn wir rechtlich in der Lage sind, solche Investitionen im Konfliktfall auch zu enteignen und uns nicht mit unseren eigenen Rechtsregeln fesseln. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, wie wir nach innen aufgestellt sind. Davon hängt ab, wie wir uns am besten gegen geopolitische Konflikte wappnen.

    Zur Person

    Clemens Fuest ist seit April 2016 Präsident des Münchner Ifo-Instituts – der Titel steht abgekürzt für „Information und Forschung“. Forschungsschwerpunkte des 55-Jährigen sind Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das Gespräch fand am Rande des vom Wirtschaftsbeirat Bayern organisierten Bayerischen Wirtschaftstags in Augsburg statt.

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    1 Kommentar
    Helmut Eimiller

    Ich stimme den Ifo-Chefs meist zu. (War schon bei Hans-Werner Sinn so.) Allerdings die positiven Erfahrungen der Niederlande mit steuerlichen Anreizen beim Anwerben ausländischer Arbeitskräfte so ganz isoliert von den ganz anderen Verhältnissen bei uns anzuführen, ist nicht überzeugend. In den Niederlanden funktioniert manches viel besser als bei uns. – vgl. Beschäftigungsquote der Asylanten einschließlich der Ukrainer Außerdem dürfte es sich wohl auch so verhalten: Je mehr Länder einen „Steuerbonus für Eingewanderte“ anbieten, desto geringer der Effekt für die ihn anbietenden Staaten. Dieser Tage schrieb die NZZ, dass Deutschlands Sozialstaat in Schieflage gerät und das Bürgergeld mit gleicher Berechtigung auch Ausländergeld genannt werden könnte. (Nur noch jeder zweite Empfänger ist deutscher Staatsbürger.) Noch glücklicher als die Niederländer leben die Dänen. Und „The Economist“ hat bereits 2021 den Lösungsweg dort unter „Why have Danes turned against immigration?“ beschrieben.

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