BMW-Chef Oliver Zipse wurde vorgehalten, ein Zögerer zu sein, wenn es um die Elektromobilität geht. Er solle sich Mercedes und den VW-Konzern, vor allem den Rivalen Audi, zum Vorbild nehmen und so offensiv wie die Autobauer aus Stuttgart und Ingolstadt voll auf E-Autos setzen. Seine Philosophie der „Technologie-Offenheit“, eben nach wie vor auch auf Hybrid- und Verbrennerautos zu setzen, habe sich überlebt. Fast schien es, als sei der aus Heidelberg stammende Diplom-Ingenieur der Hamlet der deutschen Autoindustrie, gilt die Figur Shakespeares doch als großer Zauderer.
Wie so oft sind Mahnungen fehl am Platz und treffen Prognosen nicht ein. Zipse ist kein Hamlet, sondern eher das Cleverle der heimischen Autobranche, wie einst sein baden-württembergischer Landsmann, der CDU-Politiker Lothar Späth, auch wegen seines geschickten wirtschaftspolitischen Wirkens für das Ländle genannt wurde. Dass der BMW-Boss mit seinem Team einige Runden länger als Wettbewerber diskutiert, ehe wichtige strategische Entscheidungen gefällt werden, erweist sich als klug.
BMW verkauft mehr Autos als Mercedes und Audi
Denn die Münchner verkaufen mehr Autos als die Rivalen Mercedes und Audi, was vor allem dem Unternehmen mit dem Stern zu schaffen macht. So gingen im vergangenen Jahr insgesamt 2,55 Millionen Fahrzeuge der Marken BMW, Mini und Rolls-Royce an Kunden, ein Plus von 6,4 Prozent. Zum Vergleich: Der Absatz von Mercedes-Benz Cars stagnierte bei 2,04 Millionen, während Audi rund 1,9 Millionen Autos auslieferte und so ein kräftiges Plus vorweisen kann.
Nun ließe sich vermuten, BMW verdanke den Anstieg vor allem seiner konservativen Mentalität und damit ordentlichen Geschäften mit Diesel- und Benzinfahrzeugen. Doch der BMW Group ist das Kunststück gelungen, mehr als 375.000 vollelektrische Fahrzeuge zu verkaufen, was einer Steigerung von gut 74 Prozent gegenüber 2022 gleichkommt. Wer die Plug-in-Hybride, also Fahrzeuge, mit denen man elektrisch und konventionell fahren kann, hinzuzählt, kommt auf über 560.000 elektrifizierte BMW-Wagen. Mercedes-Benz hat dagegen trotz ehrgeiziger Ziele von Konzern-Chef Ola Källenius im vergangenen Jahr nur 222.600 rein elektrische Wagen verkauft, deutlich weniger als die nicht so Batterie-euphorischen BMW-Kollegen. Der Nachzügler Audi brachte es trotz eines deutlichen Zuwachses nur auf rund 178.000 reine Stromer.
BMW ist der deutsche Elektro-Champion
BMW ist damit der deutsche E-Champion. Zipse setzt dem Unternehmen ehrgeizigere Elektroziele. Demnach könnten vor 2030 über 50 Prozent aller ausgelieferten BMW-Autos einen vollelektrischen Antrieb haben. Doch der 60-Jährige bleibt sich treu und macht eine derartige Entwicklung von den Marktbedingungen, ausreichend zur Verfügung stehenden Rohstoffen und dem weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur abhängig. Er will nicht zu viel versprechen. Dagegen hatte Källenius einst zuversichtlich verkündet, ab 2030 ausschließlich Elektroautos zu verkaufen, wenn es die Marktbedingungen zulassen. Inzwischen scheint der Chef der Marke mit dem Stern gemerkt zu haben, dass seine kühne Prognose nicht allzu clever war, und er dämpfte die Erwartungen deutlich. Die Marke mit dem Stern muss deshalb wieder bei Verbrennern Gas geben. Der Mercedes-Chef, der wegen seiner radikalen Luxus-Strategie ohnehin misstrauisch beäugt wird, bietet mit der Rücknahme der Elektropläne eine weitere Angriffsfläche. Bei Audi wirken Mitarbeiter erleichtert, dass der Elektro-SUV Q6 e-tron endlich fertig ist. Die Ingolstädter starten unter ihrem neuen Chef Gernot Döllner eine Aufholjagd, die sicher länger dauern wird.
BMW werden derweil Lorbeerkränze geflochten. Dabei dürfte sich Zipse besonders über das Ergebnis des Besuchs von Jack Ewing, dem Auto-Experten der New York Times, gefreut haben. Der Reporter kam zu dem Schluss, BMW sei der Elektro-Überraschungssieger unter den Autoherstellern und könne als einer der wenigen etablierten Autobauer Tesla die Stirn bieten. Das dürfte das ein oder andere Schulterklopfen in München ausgelöst haben, auch weil der Reporter die Fähigkeit von BMW lobte, an einem Band je nach Bedarf Elektroautos, aber auch Verbrenner und Hybridfahrzeuge eines Modells herzustellen. Was früher als Unentschlossenheit gebrandmarkt wurde, erweist sich als Vorteil, zumal die Nachfrage nach Elektroautos starken Schwankungen unterliegt, gerade wenn ein Land wie Deutschland die staatliche Prämie für Stromer überraschend streicht.
BMW hat aus seinen Elektro-Fehlern gelernt
Zipse zieht aus alldem die Lehre, BMW müsse in der Produktion so flexibel wie möglich bleiben. Am Ende ist sein Prinzip einfach: Er verkauft Menschen Autos mit dem Antrieb, den sie wollen. Das allein erklärt nicht seinen E-Auto-Erfolg. Was sagen Experten? Professor Stefan Reindl ist Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft, das im baden-württembergischen Geislingen, also im Cleverle-Ländle, sitzt. Für ihn geht der Elektro-Siegeszug der Münchner auch darauf zurück, dass sie früher als andere Hersteller mit dem kompakten i3 und dem sportlichen i8 Erfahrungen mit elektrifizierten Autos gesammelt haben. Und die waren nicht immer positiv. Die BMW-Verantwortlichen haben aus den Fällen gelernt. Für Reindl ist auch entscheidend: „Die neuen BMW-Elektroautos sehen immer aus wie BMW-Fahrzeuge.“ Das ist bei Mercedes seiner Ansicht nach nicht in dem Maße der Fall. Dabei imponiert dem Wissenschaftler, wie „überlegt“ Zipse vorgeht: „Das ist einfach gut, was die in München machen.“
Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer erkennt die Leistungen des Managers ebenfalls an: „Sein anfängliches E-Auto-Zaudern war richtig. Er hat gezaubert, indem er gezögert hat.“ Für den Spezialisten ist BMW schon immer risikoscheuer als Mercedes. Das zahle sich in Elektro-Zeiten aus, könnten die Münchner doch schneller in der Produktion den Schalter umlegen und auf Marktschwankungen reagieren. Wie beim FC Bayern beobachtet Dudenhöffer bei BMW eine „Mia-san-mia-Mentalität.“ So wächst bei dem Autobauer die Zuversicht, mit Tesla und aufstrebenden chinesischen Elektro-Konkurrenten mithalten zu können. Zipse sieht das entspannt: „Wettbewerber muss man einfach umarmen.“