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Hintergrund: Milliardär Heinz Hermann Thiele: Der Patriarch ist wieder da

Hintergrund

Milliardär Heinz Hermann Thiele: Der Patriarch ist wieder da

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    Heinz Hermann Thiele gibt den Ton: Der Münchner Milliardär geht mit 79 Jahren nicht in Rente, sondern wieder in den Aufsichtsrat „seines“ Unternehmens Knorr-Bremse. Das Foto entstand beim Börsengang 2018.
    Heinz Hermann Thiele gibt den Ton: Der Münchner Milliardär geht mit 79 Jahren nicht in Rente, sondern wieder in den Aufsichtsrat „seines“ Unternehmens Knorr-Bremse. Das Foto entstand beim Börsengang 2018. Foto: Bloomberg via Getty Images

    Es gibt Menschen, die gehen nie in Rente. Ihre Schaffenskraft ist derart wuchtig, dass ihr Leben, um es mit dem einstigen Musiker Udo Jürgens zu sagen, mit 66 Jahren richtig anfängt. Heinz Hermann Thiele ist so ein ewiger Schaffer-Typ, der sich schwer als Privatier, pendelnd zwischen der Pflege von Rosenstöcken, Aqua-Jogging und den Verrichtungen eines Hobbykochs vorstellen lässt.

    Der aktuelle Songtext seines Lebens lautet: Mit 79 Jahren fängt das Leben an. Während sich manch Altersgenosse verständlicherweise Corona-gerecht zu Hause eingebunkert hat, den Ball zwischen Rosengarten und Kochtopf flach hält, erkennt Milliardär Thiele die Chancen der Krise und stürmt, wo andere kompromissseligere Menschen ausweichen, mit bekannter Wucht auf Konflikte zu.

    Thiele gilt als einer der erfolgreichsten Unternehmer Deutschlands

    Der gebürtige Mainzer ist einer der erfolgreichsten Unternehmer der Republik. Er hat aus dem angeschlagenen Münchner Unternehmen Knorr-Bremse einen weltweit führenden Bremsenlieferanten für die Bahn- und Lkw-Industrie geformt – und das mit Härte und lange auch als Weltreisender für die Belange des Konzerns bis an die Grenzen der Erschöpfung. Er bezahlte das nach eigenem Bekunden vorübergehend mit gesundheitlichen Problemen. Doch nun in Corona-Zeiten wirkt der laut der Forbes-Liste achtreichste Deutsche, dessen Familie rund 17 Milliarden Dollar besitzen soll, tatendurstig wie zu Glanzzeiten.

    Damals hat der Jurist, der seine Karriere in der Patentabteilung von Knorr-Bremse begann, das Unternehmen als Angestellter mithilfe der Banken übernommen und zum Global Player geformt. So entstehen Helden-Mythen. Es würde ihm also nachgesehen, wenn er doch Aqua-Jogging und Rosengarten sein Leben dominieren ließe. Manch Mitarbeiter, der den fordernden Patriarchen als allzu anstrengend empfindet, würde sicher aufatmen. Auch von ihm genervte Gewerkschafter in München könnten nun mehrere Kreuze machen und hoffen, dass Knorr-Bremse in der Post-Thiele-Ära in den Tarifvertrag zurückkehrt und Abstand von der 42-Stunden Woche nimmt.

    Es ist in der Landeshauptstadt kein Geheimnis: Der lebhafte Senior ist die härteste Nuss für durchaus an Härte gewöhnte IG-Metaller. Von einem „Gewerkschaftsfresser“ ist die Rede. In dessen Betrieb gebe es eine durchaus auffällige hohe Fluktuation bei Führungskräften. Patriarchen sind eben im Umgang nicht einfach, sie kämpfen aber für ihren Betrieb und auch den Erhalt von Arbeitsplätzen. So plane, wie es zuletzt hieß, Knorr-Bremse wegen Corona keinen Personalabbau. Das kann die Sonnenseite für Beschäftigte eines Patriarchen-Betriebs sein.

    Der 79-Jährige lebt seinen dritten Frühling voll aus

    Thiele lebt jedenfalls seinen dritten Frühling lustvoll aus. Während andere Investoren zittrige Hände bekommen haben, stieg er bei der Lufthansa kräftig ein und hielt zuletzt 12,42 Prozent an dem schwer angeschlagenen Unternehmen. Dabei schien es lange, als sei er willens, sich in die Rolle des Buhmanns der Nation zu katapultieren und den Einstieg des Staates bei der

    Thieles dritter Frühling hätte dann wohl in der medialen Hölle geendet. Der kantige Zeitgenosse wäre als Super-Schuft in die Wirtschaftsgeschichte eingegangen, der die Lufthansa als deutsches Heiligtum in die Insolvenz getrieben hätte. Rosengarten und Solo-Aqua-Jogging wären nun mögliche Strafen für ihn gewesen. Thiele ließ es nicht so weit kommen und begab sich doch noch „als loyaler Lufthansakunde“ auf Kurs. Nach all seiner Kritik am Einstieg des Staates, wusste er gegenüber dem Handelsblatt zu beschwichtigen. Er ließ verbale Friedenstauben steigen: „Ich will ein stabiler Ankeraktionär sein.“ Und: „Ich bin zuversichtlich, dass die Lufthansa nach der Krise wieder die stärkste Airline in Europa wird.“

    Lässt er sich dann in fünf, sechs Jahren als Retter der Fluggesellschaft feiern, um gehörig auf sein Nachruhm-Konto einzuzahlen? Derart rein humanistische Gründe erklären seinen Lufthansa-Einstieg wohl kaum. Thiele ist ein knallharter Geschäftsmann. Dicke Gewinne sind sein Lieblings-Parfüm. Am Ende, wird in München gemutmaßt, könnten Thieles Forderungen an Lufthansa-Chef Carsten Spohr, er möge sich doch von Töchtern wie der „Lufthansa Technik“ trennen, nur eigennützig sein. Denn das als Perle geltende Unternehmen scheint es Thiele derart angetan zu haben, dass ihm nachgesagt wird, es sich gerne aneignen zu wollen.

    Auf alle Fälle, heißt es in Finanzkreisen, verfügt der Selfmade-Milliardär in München über eine ausgezeichnete Akquise-Truppe, also Experten, die wissen, ob es sich lohnt, etwa bei der Lufthansa einzusteigen. Dabei scheinen Thiele mit 79 ungeahnte Kräfte zugewachsen zu sein. Denn offensichtlich unzufrieden mit der Entwicklung seines Lieblings-Babys Knorr-Bremse, an dem seine Familie rund 65,2 Prozent hält, soll er dort wieder intensiv mitmischen. Der „Alte“ sehe das Wirken des seit 2019 amtierenden vom Gasehersteller Linde kommenden branchenfremden Vorstandsvorsitzenden Bernd Eulitz, 54, skeptisch.

    Übernimmt er auch nochmal den Vorstandsvorsitz bei der Knorr-Bremse AG?

    Und was macht ein Patriarch, der einen Konzern im Schweiße seines Angesichts aufgebaut hat, wenn der Laden nicht so läuft, wie er es sollte? Die Reaktion ist in derartigen Fällen sehr oft ein Rucki-Zucki-Senioren-Comeback. Obwohl sich Thiele schon seit 2016 mit der Rolle des Ehrenvorsitzenden des Aufsichtsrates begnügt, sich also weitgehend aus dem Kontrollgeschäft zurückgezogen hat, ist er nun wieder da und sitzt plötzlich zum Erstaunen aller erneut in dem Kontrollgremium. Dem Manager Magazin zufolge soll ihm der Chef dieser Runde, der 77-jährige Professor Klaus Mangold, einst Mitglied des Vorstands der DaimlerChrysler AG, sogar den Chefposten des Aufsichtsrates respektvoll angetragen haben. Thiele habe indes abgelehnt. Doch wenn er in einem solchen Kreis als Mitglied aufschlägt, fällt ihm die inoffizielle Rolle als Boss ganz natürlich zu.

    Was aber nun wirklich erstaunlich ist: Thiele soll im kleinen Kreis Überlegungen angestellt haben, den Vorstandsvorsitz, den er bereits 2007 abgegeben hat, wieder zu übernehmen. Ob er sich damit übernehmen könnte? Das soll schon unter Patriarchen vorgekommen sein. Ein Kenner des Konzerns gibt Thiele auch hinsichtlich seines extrem selbstbewussten Auftretens bei der Lufthansa einen Rat: Er solle es sich nicht zu sehr mit der Bundesregierung und Finanzminister Olaf Scholz verscherzen. Schließlich sei der Bund ja Eigentümer der Bahn. Und was brauchen Züge? Natürlich auch Bremssysteme. Manch Patriarch soll sich ja schon selbst ausgebremst haben.

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