In Helmut Markworts Münchner Büro wachsen Bücherstapel auf Fensterbrettern Richtung Decke. Der Schreibtisch ist voller Papier. An einer Wand lehnt eine Pappmaschee-Figur des Dichter-Großmeisters Friedrich Schiller. Der Erfinder und langjährige Chefredakteur des Magazins Focus trägt eine Weste im englischen Karo-Muster und Socken, auf denen „Yes“ steht. Helmut Markwort trinkt Cola – echtes.
Herr Markwort, an der Wand Ihres Büros hängen Box-Handschuhe.
Helmut Markwort (lacht): Die kann ein Journalist immer brauchen.
Ihrer Familie haben Sie versprochen, den kämpferischen Elan zurückzufahren und mit 90 nur noch halbtags zu arbeiten. Doch Sie sind ein leidenschaftlicher Arbeiter. Halten Sie das Versprechen ein?
Markwort: Mir geht es altersgemäß gut, aber ich gehe nicht mehr so gut wie früher und habe deswegen auch das geliebte Tennis-Spielen aufgegeben. So nähere ich mich meinem Versprechen an, nur noch halbtags zu arbeiten, schließlich werde ich am 8. Dezember 88 Jahre alt.
Spielen Sie noch Theater? Sie lieben das Theater.
Markwort: Zuletzt habe ich den Tod im hessischen Jedermann am Frankfurter Volkstheater gespielt. Jetzt habe ich noch einmal ein Angebot aus Darmstadt bekommen. Wahrscheinlich werde ich absagen. Das Spielen auf Bühnen macht mir zwar Spaß, und ich kann mir auch weiter den Text merken. Die Proberei, die mit einer ewigen Warterei einhergeht, strengt mich aber zu sehr an. Das Theater bleibt eine meiner großen Leidenschaften – und ihm habe ich es zu verdanken, dass ich Journalist wurde.
Wie kam es dazu?
Markwort: In meiner Jugend wollte die Theater-Gruppe, bei der ich mitgemacht habe, dass das Darmstädter Tagblatt über uns berichtet. Da bin ich zur Zeitung marschiert. Die wollte mich zunächst nicht hochlassen zur Redaktion. Doch dann gelang es mir, am Pförtner vorbeizukommen, was eine der wichtigsten Fähigkeiten für einen Journalisten ist.
Wie wurden Sie in der Redaktion empfangen?
Markwort: Ein Redakteur sagte mir: Wir haben keine Zeit und keinen Platz. Ich bin hartnäckig, ja penetrant geblieben und habe weiter für unsere Theater-Gruppe geworben. Dann sagte der Redakteur: „Setz Dich hin und schreib den Text selbst auf.“ Ich hackte panisch auf eine Schreibmaschine ein. Der Redakteur meinte: „Das kann man ja drucken.“ Fortan war ich freier Mitarbeiter der Zeitung.
Durch Penetranz sind Sie Journalist geworden.
Markwort (lacht): Ja, durch Penetranz. Ich hatte aber auch Glück. Einen Tag nach dem Abitur saß ich schon als Volontär in der Redaktion des Darmstädter Tagblatts. Theater habe ich immer nebenbei gespielt. Ich wollte nicht Schauspieler werden. Der journalistische Beruf ist abwechslungsreicher.
Es fällt vielen Journalisten schwer, im Alter einen Schluss-Strich zu ziehen und aufzuhören. Klappt das wirklich mit der Halbtags-Arbeit?
Markwort: Kür tritt immer mehr an die Stelle von Pflicht. Was mir wie meine wöchentliche Tagebuch-Kolumne im Focus Vergnügen bereitet, setze ich mit Freude fort. Ich mache eben nur noch, was mir Spaß macht. Ich arbeite nach wie vor als Unternehmer. So bin ich an zahlreichen Privat-Radios wie Antenne Bayern oder Radio Gong beteiligt.
Sie sind Journalist und Unternehmer, eine interessante Kombination.
Markwort: Als der Gesetzgeber in den 80er-Jahren die Gründung von Privat-Radios erlaubte, habe ich für den Gong Verlag etliche Radios gegründet. Dann fragte ich mich: Warum wirst Du nicht selbst Radio-Unternehmer? Die Gelegenheit war günstig. Denn damals wollte der Stern unbedingt, dass ich Chefredakteur des Blattes werde. Der einstige Vorstands-Vorsitzende von Gruner + Jahr, Gerd Schulte-Hillen, ist meinem Verleger beim Gong Verlag auf die Nerven gegangen und hat meiner Frau Blumen geschickt.
Er wollte Sie mit aller Macht abwerben.
Markwort: Er wollte mich unbedingt haben. Doch ich wollte nicht mit meiner Badehose in das Haifisch-Becken des Sterns springen. So nutzte ich die Gelegenheit und sagte meinem Verleger: Ich gehe nicht zum Stern, würde mich aber gerne selbstständig machen. In der Folge habe ich mich mit meiner Medienpool GmbH an vielen Radio-Stationen beteiligt und einige selbst gegründet. Seitdem bin ich Unternehmer. Als ich zu Burda kam, hat es Hubert Burda zugelassen, dass ich auch Unternehmer bin.
Hubert Burda schätzt Sie sehr.
Markwort (lächelt): Hubert Burda hat mich einmal in Davos beim Weltwirtschaft-Forum auf die Bühne geholt und über mich gesagt: „He made me rich.“ Ich hätte ihn also reich gemacht. Damals meinte der einstige Siemens-Chef, Heinrich von Pierer, in Davos zu Hubert Burda: „Bist Du verrückt, was meinst Du, was Helmut Markwort jetzt für Geldforderungen an Dich stellt.“ Doch Hubert Burda und ich sind seit über 50 Jahren freundschaftlich verbunden und telefonieren zwei-, dreimal die Woche. Das ist eine gute, harmonische Beziehung.
Streiten sie nie?
Markwort: Wir sind beide eher harmoniesüchtig. Hubert Burda hat mal über uns gesagt: Wir behandeln uns gegenseitig wie rohe Eier. Tatsächlich haben wir uns nie gestritten. Natürlich waren Herr Burda und ich schon einmal unterschiedlicher Meinung. Das haben wir aber elegant gelöst. Hubert Burda hat mich zwei Mal entdeckt und zunächst 1966 zum Chefredakteur von Bild + Funk gemacht. Damals wurde ich zum Entsetzen vieler der jüngste Chefredakteur Deutschlands. Es ging zunächst gut, dann hat mich Hubert Burdas Vater 1970 rausgeschmissen. Für 22 Jahre trennten sich die Wege von Hubert Burda und mir, bis ich wieder zu seinem Verlag fand und mit ihm den Focus gegründet habe.
Sie siezen Helmut Burda nach wie vor. Warum gehen sie beide so förmlich miteinander um?
Markwort: Weil Duzen der Anfang von Kommunismus ist. Die Duz-Gesellschaft ist furchtbar. Was Herrn Burda betrifft, ist die Lage kompliziert: Denn ich bin drei Jahre älter als er. Ich kann doch nicht meinem Verleger das Du anbieten. Und ich duze aus Prinzip keine Politiker.
Duzen Sie selbst keine FDP-Politiker?
Markwort: Selbst in meiner Partei, der FDP, der ich seit 1968 angehöre, duze ich keinen Menschen. Die größte Gefahr war für mich in dieser Sache übrigens Gerhard Schröder.
Warum das denn?
Markwort: Weil er sofort zu mir sagte: Ich bin der Gerhard. Ich blieb standhaft, auch wenn er und seine spätere Frau Doris Schröder-Köpf mir hier in meinem Büro ihre Liebe zueinander gestanden haben. Sie war Mitglied der Focus-Redaktion und ist eine Linke. Ich habe auch immer Sozen in der Redaktion gehabt. Doris Schröder-Köpf wollte einmal hier einen Betriebsrat einführen. Das ist gescheitert.
Wie sind Sie mit der heißen Liebes-Nachricht umgegangen?
Markwort: Die Liebe der beiden zueinander war die größte Exklusiv-Nachricht, die ich je hatte und dennoch in meinem Herzen verstecken musste, also nicht bringen konnte. Ich sieze auf alle Fälle Schröder und seine Ex-Frau weiter.
Sie siezen sogar Ihre Lebensgefährtin Patricia Riekel, die lange Chefredakteurin der Bunten war.
Markwort: In der Öffentlichkeit sieze ich sie und spreche von Frau Riekel, wie sie mich Herr Markwort nennt. Zu Hause nennen wir uns scherzhaft auch Frau Riekel und Herr Markwort. Und was Herrn Burda betrifft: Auch ohne uns zu duzen, kommen wir gut miteinander zurecht.
Wie groß war der Widerstand, als Hubert Burda und Sie aus München heraus das Hamburger Bollwerk Spiegel angegriffen haben?
Markwort: Der Widerstand war immens. Hubert Burda und ich wurden als die zwei Wahnsinnigen geschmäht. Die Familie von Hubert Burda dachte, er bringe mit dem Focus das Erbe der Familie durch. Der Burda-Betriebsrat sorgte sich um die Zukunft der Betriebsrenten. In der veröffentlichten Meinung gab es nur Skepsis gegenüber unserem Focus-Projekt. Doch in der öffentlichen Meinung verhielt es sich anders. Da wurde mit Spannung beobachtet, ob der David dem Spiegel-Goliath ein Bein stellen kann, was uns Gott sei Dank gelang. Es war sensationell, dass wir den Focus durchgedrückt haben. Ich war damals tollkühn.
Mit „Fakten, Fakten, Fakten – und immer an die Leser denken“ haben Sie auf einen griffigen Werbespruch zurückgegriffen. Können Sie den Slogan noch hören?
Markwort: Ich mag den Erfolgs-Spruch nach wie vor. „Fakten, Fakten, Fakten“ haben mir Kinder auf der Straße nachgerufen. Bei jedem öffentlichen Auftritt von mir fällt der Slogan irgendwann. Der zweite Teil des Spruchs „Immer an die Leser denken“ ist extrem wichtig, weil wir uns in unserer Inzucht-Branche viel zu sehr davon leiten lassen, was Journalisten interessiert.
Wie würden Sie heute an die Leser denken, wenn Sie noch Chefredakteur wären?
Markwort: Wenn ich etwa Chefredakteur bei einer Zeitung in München wäre, was ich beinahe einmal bei der Abendzeitung geworden wäre, würde ich einen U-Bahn-Reporter anstellen, der den ganzen Tag nur hin und her fährt und mitbekommt, was die Menschen interessiert. Wir müssen wieder näher an die Menschen ran und als Journalisten mit Fakten die Wahrheit hochhalten.
Kann uns künstliche Intelligenz dabei helfen?
Markwort: Ich stehe der künstlichen Intelligenz skeptisch gegenüber. Ich nenne sie Klau-Intelligenz. Denn diese KI klaut sich im Internet einfach alles zusammen. So habe ich mit großer Freude gelesen, dass die New York Times eine Klage eingereicht hat, um zu unterbinden, dass ihre urheberrechtlich geschützten Inhalte im Netz zusammengeklaut werden. Hier wird unter dem Deckmantel der künstlichen Intelligenz der größte Diebstahl aller Zeiten organisiert. Es ist die Politik gefragt, um auf EU-Ebene einen solchen Missbrauch zu verhindern.
Politik in aktiver Form wurde für Sie zur späten Leidenschaft. Mancher schüttelte den Kopf, als Sie 2018 mit 81 Jahren für die FDP in den Landtag einzogen. Was hat Sie da geritten?
Markwort: Ich habe meiner Partei aus einer Notlage geholfen. Die FDP brauchte, nachdem ein Kandidat abgesprungen war, dringend einen bekannten Ersatz. Ich bin eingesprungen. Ich stand auf Platz 16 der Landesliste und wurde auf Platz zwei vorgewählt. Natürlich hat mir meine Popularität, die ich mir im Bayerischen Fernsehen in der Stammtisch-Sendung erworben habe, geholfen.
Im Februar soll der Bundestag neu gewählt werden. Das betrachten Sie doch sicherlich aus der journalistischen Distanz.
Markwort: Nein, da es meiner Partei jetzt so schlecht geht, zeige ich mich wieder und versuche zu helfen. Ich kandidiere natürlich nicht für den Bundestag. Aber ich bin Delegierter der FDP bei der Aufstellung der Landesliste der Partei für die Bundestagswahl.
Ihre Partei, mit Christian Lindner an der Spitze, bekleckert sich nicht mit Ruhm.
Markwort: Im Gegenteil: Der FDP fliegt jetzt viel an Sympathien zu, weil sie sich von der Ampel befreit hat. Alte Wähler kommen zurück. Sie sind froh, dass die FDP sich aus der ampelonischen Gefangenschaft befreit hat. Menschen treten in die Partei ein. Zu Christian Lindner als FDP-Chef gibt es keine Alternative.
Zieht die FDP wieder in den Bundestag ein?
Markwort: Ich glaube, dass die FDP mit rund sieben Prozent in den Bundestag kommt. Aus Bayern schaffen es aber nur fünf, sechs Leute, doch es gibt 50 Kandidaten. Das gibt am 21. Dezember bei der Listenaufstellung ein Hauen und Stechen. Manche sprechen von einem Blutbad. Es gibt nur Kampf-Kandidaturen.
Moderieren Sie den Prozess ein wenig im Hintergrund?
Markwort (lacht): Nein, ich intrigiere von hinten ein wenig. Ich kenne ja wahnsinnig viele Leute. Ich sieze zwar alle, aber manche hören auf mich.
Verkehrsminister Volker Wissing wohl nicht. Er hat der FDP den Rücken gekehrt.
Markwort: Sein Verhalten ist schäbig. Die FDP hatte ihn einst zum Generalsekretär gewählt. Er schwamm auf dem Vertrauen der Liberalen und jetzt das. Wie hat Helmut Kohl gesagt: Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.
Sie haben einen großen Zitate-Schatz und sind ein leidenschaftlicher Leser. Vom Keller bis unter das Dach ist Ihr Haus mit Büchern gefüllt. So sammeln Sie etwa alles rund um die deutsche Widerstands-Gruppe des 20. Juli 1944. Warum beschäftigen Sie sich so lange und intensiv mit dem Thema?
Markwort: Weil ich mir immer wieder die Frage stelle, auf welcher Seite ich damals gestanden hätte, wenn ich ein paar Jahre früher geboren wäre.
Hätten Sie auf Seite des Widerstands oder des NS-Regimes gestanden?
Markwort: Die Frage stellte sich zum Glück damals nicht, weil ich dem Jahrgang 1936 angehöre und zu jung war. Ich stelle mir die Frage, auf welcher Seite ich gestanden hätte bis heute, auch weil ich damals in einem Milieu aufgewachsen bin, das weit weg von jedem Widerstand gegen das Nazi-Regime angesiedelt war: Wir waren nicht besonders fromm, standen auch dem Offiziers-Stand um Stauffenberg fern und waren als kleine Unternehmer-Familie keine Kommunisten. Mein Milieu hätte mich also nicht bestärkt, in den Widerstand zu gehen. Ich erinnere mich aber an einen Lehrer aus der Nachbarschaft, von dem es plötzlich hieß, er sei in das Lager nach Dachau gekommen.
Warum wurde der Lehrer nach Dachau verschleppt?
Markwort: Weil er stets Grüß Gott und nicht Heil Hitler gesagt hat. Das störte mich damals. Doch ich weiß einfach nicht, auf welcher Seite ich gestanden hätte. Ich will mich nicht nachträglich heroisieren. Als Kind wäre ich gerne beim Jungvolk, der Jugendorganisation der Hitler-Jugend, gewesen, schließlich war das ein Abenteuer. Doch ich war zum großen Glück zu jung dafür. Und dann kamen die Amis und haben uns befreit. Ich hatte sofort ein fantastisches Verhältnis zu den Amerikanern.
Wie kam das?
Markwort: Ich weiß nicht warum, aber die englische Sprache ist mir einfach so zugefallen. Das war wie ein Pfingstwunder. So stieg ich zum Dolmetscher auf, trug eine amerikanische Uniform. Ich war auch ein Schwarzhändler. Die Amerikaner hatten Seife, Zigaretten, Coca-Cola und Schokolade. Ich fuhr in Oberfranken mit den US-Soldaten aufs Land zu den Bauern und tauschte Eier und Milch ein.
Das war dann der Beginn Ihrer Unternehmer-Karriere.
Markwort: Ja, denn die amerikanischen Soldaten wollen meist nicht Deutsch lernen und brauchten mich. Ich half ihnen auch, die Fräuleins anzusprechen. So wurde ich eine Art Maskottchen der Einheit. Das war eine tolle Zeit.
Dann kam Ihr Vater aus der US-Kriegsgefangenschaft zurück.
Markwort: Mein Vater war schockiert, dass ich ein kleiner Amerikaner war. Später konnte ich ihn von den Vorteilen überzeugen, schließlich war mein Vater Kettenraucher. Und ich hatte immer Lucky-Strike-Zigaretten.
Was war Ihr größter Fehler, Ihre größte Sünde?
Markwort: Ich gehöre keiner Kirche an. Der Begriff Sünde gehört nicht zu meiner Welt. Deswegen bin ich auch nicht zur Beichte verpflichtet. Oscar Wilde hat gesagt: „Versuchungen soll man nachgeben, wer weiß, ob sie wieder kommen.“ Ich bin in meinem Leben mancher Versuchung erlegen.
Wenn Sie jung wären, würden Sie wieder Journalist?
Markwort: Auf alle Fälle. Journalismus ist der tollste Beruf. Ich wäre aber digitaler unterwegs. Die Schauspielerei ist mir auf die Dauer zu langweilig. Und Tennis spiele ich nicht gut genug.
Welches Medium würden Sie heute gründen?
Markwort: Ich habe nach wie vor Ideen, bin aber zu faul, sie zu verwirklichen. Ich habe ein wunderbares Projekt im Kopf, das ich mir auch schützen ließ. Das Vorhaben heißt „Gegendarstellung“. Ich würde gerne jeden Tag im Internet Korrektur-Artikel veröffentlichen, um Falschaussagen entgegenzuwirken.
Helmut Markwort, 87, war von 1993 bis 2010 Chefredakteur und Geschäftsführer von Focus. Von 2018 bis 2023 saß er für die FDP im Bayerischen Landtag. Von 2007 bis 2018 leitete der gebürtige Darmstädter die Diskussionsrunde „Der Sonntags-Stammtisch“ im Bayerischen Fernsehen.
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