Der umstrittene Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco bei einem Hamburger Container-Terminal steht ein halbes Jahr nach einer Grundsatzentscheidung der Bundesregierung wieder in Frage. Grund ist, dass das Terminal Tollerort inzwischen als kritische Infrastruktur eingestuft wird.
Eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte am Mittwoch in Berlin, da sich die Voraussetzungen geändert hätten, prüfe das Ministerium nun die Auswirkungen auf den Sachverhalt.
Welche Folgen das haben könnte und ob der Deal doch noch vollständig untersagt werden könnte, ist unklar. Die Sprecherin Habecks wies darauf hin, dass unabhängig von der neuen Sachlage noch eine letzte Bestätigung des Ministeriums für den geplanten Erwerb durch Cosco fehle.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte: "Die Bundesregierung sollte diese neue Bewertung zum Anlass nehmen, die Beteiligung von Cosco am Hamburger Hafen noch einmal sehr kritisch zu überprüfen. Die Beteiligung von Cosco am Hamburger Hafen ist ein Fehler."
Heftiger Streit in der Regierung
Cosco wollte ursprünglich 35 Prozent der Betriebsgesellschaft der Container Terminal Tollerort GmbH übernehmen und das Terminal im Gegenzug zum bevorzugten Umschlagplatz in Europa aufwerten. In der Bundesregierung war jedoch ein heftiger politischer Streit entbrannt über die Frage, ob eine chinesische Beteiligung zugelassen werden soll. Das Kabinett beschloss im vergangenen Oktober eine sogenannte Teiluntersagung, die nur einen Anteilserwerb von Cosco unter 25 Prozent zulässt. Ein weitergehender Erwerb oberhalb dieses Schwellenwerts wurde untersagt.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich für den Erwerb ausgesprochen. Innerhalb der Bundesregierung hatte es jedoch heftigen Gegenwind gegeben. Das Außenministerium und andere Ressorts hatten schwere Bedenken zur Entscheidung des Kabinetts geäußert. Der Erwerb erweitere den strategischen Einfluss Chinas auf die deutsche und europäische Transportinfrastruktur sowie die deutsche Abhängigkeit von China unverhältnismäßig, hieß es in einer Protokollerklärung Ende Oktober. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) reist diese Woche zu ihrem ersten Besuch nach China.
Zum Zeitpunkt der Investitionsprüfung durch das Wirtschaftsministerium im Herbst war das Container-Terminal noch nicht als kritische Infrastruktur eingestuft. Dies geschah Anfang 2023, wie die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) als Muttergesellschaft des Container-Terminals mitteilte.
"Die HHLA AG hat im Ergebnis der Prüfung das Terminal Tollerort als Kritis-Anlage registriert", teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage mit. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) habe die von dem Unternehmen abgegebene Registrierung geprüft und die Angaben bestätigt.
Zuvor hatte die "Süddeutsche Zeitung" nach einer gemeinsamen Recherche mit NDR und WDR berichtet, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) habe das Terminal Tollerort mittlerweile als kritische Infrastruktur und damit als besonders schützenswert eingestuft. Dies könne die chinesische Beteiligung noch einmal infrage stellen.
Aus Sicht des Unternehmens HHLA bedeutet die neue Registrierung keine wesentliche Änderung. "Denn der HHLA Konzern ist bereits seit 2018 als kritische Infrastruktur eingestuft und hat sich entsprechend aufgestellt. Die damit einhergehenden Pflichten zur Sicherheit der IT-Infrastruktur erfüllt das Unternehmen bereits seitdem vollumfänglich", so eine Sprecherin. Der operative Betrieb des Terminals, sämtliche Kundenbeziehungen und auch die IT-Systeme würden zentral durch den HHLA-Konzern gesteuert. Cosco würde keinen Zugriff und keine Entscheidungsrechte erlangen, ebenso wenig wie in Bezug auf Grund und Boden des Terminals.
Dröge sagte, kritische Infrastruktur müsse geschützt werden. "Gerade hier dürfen wir uns von autoritären Staaten nicht abhängig und erpressbar machen. Das gefährdet unsere Sicherheit und Souveränität und schadet am Ende auch der deutschen Wirtschaft."
Der Hamburger FDP-Energiepolitiker Michael Kruse findet, eine erneute Überprüfung der chinesischen Staatsbeteiligung sei "unausweichlich". Die Beteiligung an dem Terminal dürfe nicht vollzogen werden, nur weil die Einordnung als kritische Infrastruktur jetzt erst erfolgt sei. "Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich zusammen mit Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher sehr für diese Beteiligung eingesetzt hatte, muss nun klären, warum die Einschätzungen aus dem BSI unter Aufsicht des SPD-geführten Innenministeriums nicht bereits früher vorlagen und bisher offensichtlich nicht in die Entscheidungsfindung der Bundesregierung eingeflossen sind."
Hacker- und Sabotageangriffe
Nach der Außenwirtschaftsverordnung gibt die Einstufung als kritische Infrastruktur dem Wirtschaftsministerium bei einer Investitionsprüfung mehr Möglichkeiten, eine Übernahme durch Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten zu untersagen.
Darüber, was zur kritischen Infrastruktur zählt, entscheidet das Bundesinnenministerium. Die Frage, ob eine Investition ausländischer Unternehmen in bestimmte Einrichtungen genehmigt wird oder nicht, wird dem Bundeswirtschaftsministerium vorgelegt.
Dass die Bundesregierung Einrichtungen, die mit Verkehr, Kommunikation und Energieversorgung zusammenhängen, seit einigen Monaten noch einmal gründlicher auf ihre Widerstandsfähigkeit hin überprüft, hängt auch mit zwei Ereignissen aus dem vergangenen Jahr zusammen. Denn sowohl der Sprengstoffanschlag auf die Nord-Stream-Pipelines im September als auch der Sabotageangriff auf das Funknetz der Deutschen Bahn im Oktober haben den Verantwortlichen die bestehenden Risiken deutlich vor Augen geführt.
Hackerangriffe auf Krankenhäuser, Stadtverwaltungen und andere wichtige Einrichtungen, um die sich das BSI kümmert, hatte man zwar vorher auch schon auf dem Schirm, Angriffe in der analogen Welt, bei denen Pipelines oder Kabel zerstört werden, aber weniger.
Voraussichtlich noch vor dem Herbst soll das Kabinett für einen besseren Schutz der kritischen Infrastruktur ein "Kritis-Dachgesetz" beschließen. In den dazu bereits vorgelegten Eckpunkten heißt es, der Staat solle eine größere Verantwortung beim Schutz kritischer Infrastrukturen übernehmen.
(Von Andreas Hoenig, Anne-Béatrice Clasmann und Carola Große-Wilde, dpa)