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Handel: Warum Drogerien gerade in Deutschland so erfolgreich sind

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Warum Drogerien gerade in Deutschland so erfolgreich sind

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    Die Drogeriebranche machte zuletzt etwa 25 Milliarden Euro Umsatz.
    Die Drogeriebranche machte zuletzt etwa 25 Milliarden Euro Umsatz. Foto: Ulrich Wagner

    In der Wohlfühlwelt geht es gerade noch ziemlich hektisch zu. Zwei Frauen schieben Rollcontainer zwischen den Regalen hindurch, ein Mann räumt Zeitschriften in leere Ständer ein. Mathias Egert eilt durch die Gänge, das Handy am Ohr. Er dirigiert Handwerker, Lieferanten und den Putztrupp, der später den Laden noch mal sauber machen muss. Am nächsten Morgen wird die Drogeriekette Rossmann hier in der Augsburger Innenstadt den neuesten Laden eröffnen. Alle Spuren von Staub und Stress müssen bis dahin verschwunden sein.

    Als es ein bisschen ruhiger ist, steht Egert vor der Filiale und raucht eine Zigarette. Er ist Bezirksleiter bei Rossmann, es ist seine vierte Eröffnung. In den vergangenen zwei Wochen haben Egert und seine Mitarbeiter die leeren Regale mit allem gefüllt, was ein durchschnittlicher Mensch so braucht: Toilettenpapier, Shampoo, Waschpulver, insgesamt knapp 17.000 Artikel, ein mittelgroßer Querschnitt durch die deutsche Warenwelt.

    In den Räumen, in die die Drogerie nun eingezogen ist, verkaufte bis vor kurzem noch der Modehändler K&L Ruppert T-Shirts, Kleider und Hosen. Vor einem Jahr zog das Unternehmen aus, das Geschäft rentierte sich nicht mehr. K&L ist Opfer einer Entwicklung, die viele Händler trifft. Jeder zehnte Euro wird heute im Internet umgesetzt. Landauf, landab leiden die Fußgängerzonen darunter, dass die Menschen ihre Warenkörbe oft lieber vom Sofa aus füllen, als in die Innenstadt zu fahren.

    Umso erstaunlicher ist es, dass die deutschen Drogeriemärkte diesem Trend trotzen – noch dazu mit Produkten, die auf den ersten Blick wenig aufregend sind. Und doch ist die Drogerie-Dichte fast nirgendwo auf der Welt so hoch wie hierzulande. Die Deutschen und ihre Drogerien, das ist, man kann das so sagen, eine Liebesgeschichte. Längst sind die Geschäfte zu Wohlfühloasen geworden, es gibt Bio-Kost, edle Parfums und Regale voller Produkte, die den Alltag ein wenig schöner machen.

    Bei dm und Rossmann kaufen täglich 3,7 Millionen Menschen ein

    Gleichzeitig ist es auch eine der großen Erfolgsgeschichten der deutschen Nachkriegszeit. Das Geschäft mit Toilettenpapier, Zahnpasta und Co. hat die Gründer von dm, Rossmann und Müller längst zu Milliardären gemacht. Die Branche setzte zuletzt etwa 25 Milliarden Euro um, Tendenz steigend. Der Großteil davon entfällt auf die zwei Marktführer dm und Rossmann. Allein bei diesen beiden Unternehmen kaufen täglich rund 3,7 Millionen Menschen ein.

    dm und Rossmann eröffneten in den vergangenen Jahren hunderte neuer Geschäfte – auch, weil die Pleite des einstigen Marktführers Schlecker eine große Lücke in die Drogerielandschaft gerissen hatte. dm machte 2017 im Schnitt jeden vierten Tag irgendwo im Land einen neuen Laden auf.

    In Augsburg zeigt sich diese Entwicklung wie in einem Brennglas. Wer die neue Rossmann-Filiale verlässt, muss nur 50 Schritte gehen, bis er sich vor einem dm-Laden wiederfindet. Im Umkreis von zehn Laufminuten gibt es fünf weitere Drogeriemärkte. Wenn Deutschland das Land der Drogerien ist, dann ist Augsburg wohl so etwas wie die heimliche Hauptstadt.

    Deutschlandweit kommen dm und Rossmann zusammen auf etwa 4000 Filialen. Damit teilen die beiden Riesen den Markt weitgehend unter sich auf, erst weit dahinter folgen kleinere Ketten wie Müller aus Ulm mit etwa 500 Geschäften und der norddeutsche Händler Budnikowsky mit knapp 190 Läden.

    Gerade bei jüngeren Kunden ist ein regelrechter Hype um den Einkauf im Drogeriemarkt entstanden. Regelmäßig präsentieren Internet-Stars ihren Zuschauern auf der Videoplattform Youtube in sogenannten „Hauls“, was sie bei dm oder Rossmann eingekauft haben. Junge, meist sehr blonde Frauen halten dann Shampoos oder Gesichtsmasken in die Kamera, schnuppern an Bodylotions und schminken sich. Als die Beauty-Bloggerin Bibi vor drei Jahren in Zusammenarbeit mit dm ihre Duschschaum-Serie herausbrachte, stürmten ihre Fans regelrecht die Läden.

    Aber auch die älteren Kunden sind den Drogeriemärkten ausgesprochen treu. Jeder zweite Euro, den Verbraucher für Kosmetik und Körperpflege ausgeben, landet hierzulande in den Kassen einer Drogerie. Das ist zumindest bemerkenswert, denn auch Supermärkte und Discounter verkaufen Zahnpasta, Toilettenpapier oder Abschminktücher. Wer seinen Wocheneinkauf macht, könnte also gleich auch die wichtigsten Drogeriewaren besorgen. Aber dm und Co. besitzen etwas, das Supermärkte und Discounter zumindest bei Hygieneprodukten nicht haben: das Vertrauen der Verbraucher.

    Lippenstifte, Müsliriegel, Smoothies: Heute verkaufen Drogerien Wohlfühlprodukte

    Wer wissen will, wie Kunden hierzulande ticken, sollte Jon Christoph Berndt fragen. Berndt ist Markenentwickler bei der Münchner Beratungsfirma Brandamazing; er weiß, was Firmen tun müssen, um beim Verbraucher zu punkten. „Drogeriewaren ragen stark in den Intimbereich herein“, sagt Berndt. Wer die Produkte benutze, „ist entweder nackt, krank oder ungeschminkt und fühlt sich anschließend sauberer, gesünder oder hübscher“. Ein paar Minuten Wellness für wenig Geld. Zu einem Händler, der diese Artikel verkauft, müsse man Zutrauen haben – ähnlich wie zu einem Apotheker. Ein Drogeriemarkt erwecke den Eindruck, ein geschützter Raum zu sein. Der Verbraucher soll das Gefühl haben, in guten Händen zu sein.

    Um die Kunden an sich zu binden, lassen sich die Drogeriemärkte einiges einfallen: Das Licht ist warm, es gibt Wasserspender und die Mitarbeiter tragen weiße Kittel, die an die Kleidung von Ärzten und Apothekern erinnern. „Drogerien sind heute Erlebnisstätten“, sagt Berndt. Wohlfühlwelten, in denen zwar immer die üblichen Regale mit Shampoos und WC-Reiniger stehen, aber eben auch Ständer mit jenen Produkten, die nebenbei noch im Einkaufskorb landen: Lippenstifte, Müsliriegel, Nahrungsergänzungsmittel, Entspannungstees oder Smoothies. Noch mehr als Supermärkte leben die Drogerien von Impulskäufern. Von Menschen, die nur eine Zahnpasta einpacken wollen und den Laden am Ende mit Produkten für 50 Euro verlassen.

    Dirk Roßmann hat die Drogerie Rossmann gegründet.
    Dirk Roßmann hat die Drogerie Rossmann gegründet. Foto: Holger Hollemann, dpa

    Und das, obwohl Drogeriewaren in Deutschland so günstig sind wie in kaum einem westlichen Land. Wer im Urlaub Zahnpasta oder Sonnencreme einkauft, wundert sich nicht selten über die deutlich höheren Preise. Diese Entwicklung ist historisch bedingt: Deutschland ist das Erfinderland der günstigen Drogerie. Dirk Roßmann, Gründer der Kette Rossmann, eröffnete in Hannover den ersten Laden, der nach dem einige Jahre zuvor von den Aldi-Brüdern erfundenen Discounterprinzip funktionierte.

    Götz Werner, Gründer des Konkurrenten dm, besuchte Roßmann damals, um sich das neuartige Konzept erklären zu lassen. Einige Jahre lang waren die Männer sogar befreundet. In der Folge teilten sie den Drogeriemarkt unter sich auf: Roßmann eroberte mit seinen Filialen den Norden des Landes, Werner breitete sich mit seinen dm-Geschäften im Süden aus. Heute ist diese Revier-Aufteilung Geschichte, genauso wie die enge Beziehung der beiden Pioniere. „Wir haben uns auseinandergelebt“, notierte Roßmann in seiner Autobiografie, die in diesem Monat erschienen ist. In den vergangenen Jahrzehnten seien sie immer mehr zu Wettbewerbern geworden.

    Wettbewerber drängen in den Drogeriemarkt

    Das ist allerdings noch nett formuliert. In der Branche tobt ein erbitterter Kampf um Kunden und Marktanteile, der sich in immer wieder neuen Niedrigpreisen äußert. Die Unternehmen haben sich unterschiedliche Strategien zurechtgelegt: dm wirbt mit einem „Dauerniedrigpreis“, Rossmann will Kunden regelmäßig mit Rabattaktionen in die Läden locken.

    Das führt zum Teil zu kuriosen Situationen. So sorgte dm im vergangenen Jahr für Aufsehen, weil der Konzern seine Mitarbeiter regelmäßig auf Schnäppchentouren durch die Filialen der Mitbewerber schickte. Einer Rossmann-Kassiererin im nordrhein-westfälischen Bedburg platzte der Kragen, als eine dm-Mitarbeiterin 75 Shampoo-Packungen, 25 Mundwasser-Flaschen und 28 Tüten Waschmittel aus dem Laden tragen wollte. „Diese Kundin bekommt hier nichts“, soll sie durch den Laden gerufen haben.

    Der Druck könnte sich künftig noch steigern. Denn weil das Geschäft vor allem mit Kosmetik so ertragreich ist, wollen längst auch andere Unternehmen daran mitverdienen. Der Internet-Shop Zalando verschickt seit diesem Jahr Kosmetik. Auch Otto, Deutschlands zweitgrößter Online-Händler, ist in das Geschäft mit der Schönheitspflege eingestiegen und versendet in seinen Paketen unter anderem Produkte des Kosmetik-Riesen L’Oréal.

    Der Supermarkt Edeka will den Drogerien ebenfalls Marktanteile abnehmen. Der Lebensmittel-Riese hat sich mit dem Drogerie-Unternehmen Budnikowsky verbündet und will von Hamburg aus den Markt mit Zahnpasta und Co. aufrollen. Ende August eröffnete die von Iwan Budnikowsky im Jahr 1912 gegründete Kette ihre erste Filiale in Berlin. Weitere Geschäfte sollen folgen, erst in Niedersachsen und in der Hauptstadt, dann auch weiter südlich. Für Experten ist das eine klare Kampfansage an die Großen aus der Branche – und ein Zeichen, dass es hinter den Kulissen der Wohlfühlwelt Stück für Stück ein wenig ungemütlicher wird.

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