Die Landwirtschaft steht vor vielen Herausforderungen. Aber kommt der große Umbau angesichts der aktuellen Krisen nun unter die Räder?
JOACHIM RUKWIED: Vorneweg: Wir stehen ganz klar zu einer Weiterentwicklung der Landwirtschaft hin zu noch mehr Nachhaltigkeit und Tierwohl. Das hat sich nicht geändert. Aber der Krieg in der Ukraine hat verdeutlicht, dass Ernährungssicherung keine Selbstverständlichkeit ist. Die Megathemen Klima schützen und Artenvielfalt erhalten bleiben trotz Krise aktuell. Das sind die ganz großen Herausforderungen für die Zukunft, bei denen wir Teil der Lösung sein werden.
Das heißt, Sie bremsen nicht?
RUKWIED: Für uns Bauern gehört die Sicherung unserer Ernährung seit jeher zu unserem Selbstverständnis. Ebenso wichtig ist für uns, dass wir alles dafür tun, das Klima zu schützen und die Artenvielfalt zu erhalten, denn das ist auch im ureigenen Interesse von uns Bauern. Dass wir all diese Herausforderungen unter einen Hut bringen können, wollen wir auf der Grünen Woche verdeutlichen und haben uns deshalb als Motto gesetzt: "Klima schützen, Artenvielfalt erhalten, Ernährung sichern".
Woran hakt der Umbau vor allem? Ist es das Geld?
RUKWIED: Aktuell hakt es vor allem politisch, und zwar bei der Finanzierung und bei den Vorschlägen zum Umbau der Tierhaltung. Die Landwirte wollen noch mehr Tierwohl umsetzen und stehen in den Startlöchern. Aber mit den aktuell vorgelegten Gesetzentwürfen und Eckpunkten wird der Umbau der Tierhaltung nicht gelingen. Anstatt den gesamtgesellschaftlich anerkannten "Borchert-Plan" vollumfänglich umzusetzen, wird das Konzept zerstückelt und bestenfalls halbherzig umgesetzt. Dadurch nimmt die Politik unseren Tierhaltern Zukunftsperspektiven und konterkariert das selbst gesteckte Ziel: mehr Tierwohl.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat nun ein verpflichtendes Tierhaltungssiegel auf den Weg gebracht, erst einmal nur für Schweinefleisch. Jeder soll sehen können, wie das Fleisch, das er kauft, erzeugt worden ist. Warum finden Sie das Gesetz dann nicht so gut?
RUKWIED: Das Kennzeichnungsgesetz hat große Lücken, die Änderungen beim Baurecht und die Finanzierungsvorschläge sind nicht ausreichend und ignorieren die Realitäten auf den Betrieben. Das kann so nicht funktionieren. Wir halten die im Eckpunktepapier vorgesehenen Obergrenzen für völlig inakzeptabel. Beispielsweise soll die Förderung auf maximal 200 Sauen begrenzt werden. Dadurch würde ein Großteil der Sauenhaltung aus der dringend notwendigen Tierwohlförderung ausgeschlossen. Auch bei den Mastschweinen geht eine Förderobergrenze von 3000 verkauften Tieren pro Jahr gänzlich an der Realität vorbei. Zusammengenommen ist das kein Programm zum Umbau, sondern zum Ausstieg aus der Tierhaltung.
Dann bringt die neue Kennzeichnung gar nicht mehr Tierschutz?
RUKWIED: Der Entwurf des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes hat erhebliche Lücken, wodurch die Ziele von mehr Transparenz und Tierwohl verfehlt werden. Beispielsweise ist die Sauenhaltung nicht berücksichtigt. So können betäubungslos kastrierte Ferkel aus dem Ausland in den heimischen Markt importiert werden und würden das Tierwohllabel erhalten. Alles in allem sind die bisher vorgelegten Pläne zur Haltungsformkennzeichnung, beim Baurecht und zur Finanzierung kein Tierwohl-Umbauprogramm, sondern ein Programm zum Abbau der Tierhaltung – und damit zur Verlagerung der Erzeugung ins Ausland.
Wie lange halten die deutschen Schweinehalter noch durch? Schließlich steht die Branche schon seit langem unter Druck.
RUKWIED: Wir erleben einen beispiellosen Strukturbruch: Im Jahr 2022 ist die Zahl der schweinehaltenden Betriebe um 1900 auf 16.900 zurückgegangen. Gleichzeitig sehen wir eine massive Verlagerung ins Ausland: Während die Zahl der Schweine in Deutschland in den letzten zehn Jahren um 5,8 Millionen zurückging, ist sie in Spanien um 7,4 Millionen gestiegen. Das kann so nicht weitergehen. Wir sind dabei, den Tierhaltungsstandort Deutschland zu zerstören!
Was sind Ihre Lösungsvorschläge?
RUKWIED: Wir müssen die gemeinsamen Anstrengungen beim Tierwohl intensivieren. Unsere Bäuerinnen und Bauern brauchen höhere Erzeugerpreise, um die steigenden Anforderungen und Standards erfüllen zu können. Ansonsten werden immer mehr unserer Familien- und Mehrfamilienbetriebe aufgeben. Aber auch die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen mit ihrem Einkauf zeigen, dass ihnen ihr Wunsch nach regionalen Lebensmitteln auch etwas wert ist. Die Branche ist längst weiter. Wir haben gemeinsame Lösungen entwickelt, wie wir höhere Standards zu höheren Erzeugerpreisen umsetzen können – Beispiele sind Programme wie QM Milch oder die Initiative Tierwohl. Diese müssen auch beim staatlichen Kennzeichen eine Rolle spielen.
Der Verbraucher muss mitspielen?
RUKWIED: Mehr Tierwohl hat auch einen höheren Preis an der Ladentheke. Wenn die Verbraucher diesen Weg nicht mitgehen, wird der Umbau der Tierhaltung nicht gelingen. Aktuell sehen wir, dass die Menschen stark nach dem Preis schauen und vor allem im Preiseinstiegssegment einkaufen.
Zur Person
Joachim Rukwied, 61, ist Landwirt und seit dem Jahr 2012 Präsident des Deutschen Bauernverbandes.