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Gewerkschaften: Wird das Streikrecht eingeschränkt?

Gewerkschaften

Wird das Streikrecht eingeschränkt?

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    Streiks kleiner Gewerkschaften wie der Lokführergewerkschaft GDL sind umstritten.
    Streiks kleiner Gewerkschaften wie der Lokführergewerkschaft GDL sind umstritten. Foto: Soeren Stache, dpa

    In Deutschland ist eine Diskussion über das Streikrecht entbrannt. Arbeitsministerin Andrea Nahles betont zwar, sie wolle die Möglichkeit der Beschäftigten, zur Durchsetzung ihrer Interessen die Arbeit niederzulegen, nicht antasten. Doch genau das wird ihr von immer mehr Juristen und Gewerkschaftern angelastet. Der schwere Vorwurf lautet: Würde der Entwurf ihres Hauses zur Tarifeinheit Gesetz, könnten kleinere Gewerkschaften ihres Streikrechts beraubt werden. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Thema:

    Worauf beruht das Streikrecht?

    Das Recht der Beschäftigten, für die Wahrung ihrer Interessen, die Arbeit ruhen zu lassen, leitet sich aus der Verfassung ab. Artikel 9, Absatz 3 Grundgesetz hat eine gewisse Berühmtheit erlangt, wird er doch von Lokführer-Chef Claus Weselsky wie ein Gebetbuch vor sich hergetragen. Er beruft sich immer wieder auf diesen Satz: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“ Aus dieser Koalitionsfreiheit wird das Recht abgeleitet, auch per Streik Anliegen durchzusetzen.

    Wird in Deutschland viel gestreikt?

    Nach einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung sind hierzulande zwischen 2005 und 2012 im Schnitt pro 1000 Beschäftigte 16 Arbeitstage durch Streiks ausgefallen. In Frankreich waren es 150, in Kanada 117, in Großbritannien 26 und in den USA zehn. Auf deutscher Arbeitgeber- wie Gewerkschaftsseite herrscht die Meinung vor, die Tarifautonomie funktioniere.

    Was ist Tarifautonomie?

    Dieser Grundsatz überlässt es Tarifparteien, Regelungen für ihre Branchen zu finden. Der Staat hat bei dem Kräftespiel zwischen Gewerkschaftern und Unternehmern nichts zu suchen. Doch er ist drauf und dran, sich hier einzumischen.

    Warum macht das die Regierung?

    Die Bundesregierung will auch als Konsequenz aus den Tarifkonflikten bei Bahn und Lufthansa per Gesetz das Prinzip „Ein Betrieb, eine Gewerkschaft“ durchsetzen. Der Grundsatz galt zumindest auf dem Papier schon bis 2010, in der Praxis herrschte aber zum Teil schon damals der Wettstreit verschiedener Gewerkschaften in einem Betrieb. 2010 hatte sich das Bundesarbeitsgericht gegen das Prinzip „Ein Betrieb, eine Gewerkschaft“ gestellt.

    Was passiert etwa bei der Bahn, wenn sich Nahles durchsetzt?

    Unter den beiden dort rivalisierenden Gewerkschaften GDL und EVG hätte immer nur die Gruppierung mit den meisten Mitgliedern etwa im Bereich des Zugpersonals das letzte Wort und besäße das Streikrecht. Die

    Welche Reaktionen löst das aus?

    Der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, fordert gegenüber unserer Redaktion Nahles auf, „den Gesetzentwurf still und leise dort hinzulegen, wo er hingehört: in den Mülleimer“. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter vertritt die Interessen von Angehörigen der Kriminalpolizei – von Beamten wie Tarifbeschäftigten. Schulz glaubt, dass durch das Gesetz „Begehrlichkeiten wachsen, Störenfriede zu eliminieren“ und damit bezweckt werden soll, „nur noch regierungstreue und SPD-nahe DGB-Gewerkschaften an seiner Seite zu wissen“. Viele Vertreter kleinerer Gewerkschaften wie der Lokführer-Organisation gelten nicht als SPD-nah. Weselsky ist CDU-Mitglied.

    Will Nahles den DGB-Gewerkschaften ein Geschenk machen?

    Diese Erklärung greife zu kurz, heißt es in Berlin. Denn auch Angela Merkel steht hinter dem Projekt. Die CDU will vor allem den Arbeitgebern etwas Gutes tun, nachdem bisher vor allem DGB-Gewerkschafter mit dem Mindestlohn und der Rente mit 63 von der Großen Koalition üppig beschenkt wurden.

    Wie ist die Stimmung im DGB?

    Die Freude über das Weihnachtspräsent von Merkel und Nahles hält sich innerhalb der acht DGB-Gewerkschaften in Grenzen. Drei Gewerkschaften geht das Nahles-Paket gänzlich gegen den Strich. Nicht nur kleinere DGB-Gruppierungen wie die Gewerkschaften Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) oder Erziehung und Wissenschaft (GEW) wenden sich gegen den Vorstoß der Arbeitsministerin. Auch die mächtige Dienstleistungs-Gewerkschaft Verdi will bei einer Einschränkung der Rechte kleinerer Arbeitnehmer-Organisationen nicht mitmachen.

    Wie argumentieren diese Kritiker aus den Reihen des DGB?

    Die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger sagt gegenüber unserer Redaktion, sie halte den Ruf nach dem Staat für verfehlt: „Ich warne vor einem Eingriff in das Streikrecht.“ Auch Juristen haben Bedenken. Der Kölner Arbeitsrecht-Professor Ulrich Preis glaubt, dass der Nahles-Entwurf grundgesetzwidrig ist. Hier befindet er sich in guter Gesellschaft. Der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio spricht von einem „grundrechtswidrigen Eingriff“.

    Welche Chancen hätte eine Klage?

    Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum, der heute als Rechtsanwalt unter anderem die Interessen der Pilotenvereinigung Cockpit vertritt, kündigte im Gespräch mit unserer Redaktion an, „Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz einzulegen“, wenn es durchgesetzt werde. Die Regelung greife in die Tarifautonomie ein. Baum ist überzeugt: „Ein solches Gesetz wäre das Ende der kleinen Gewerkschaften.“

    Kann das Gesetz noch verhindert werden?

    Innerhalb des DGB wächst der Widerstand gegen das Nahles-Vorhaben. DGB-Chef Reiner Hoffmann mahnt etliche Nachbesserungen an. Ihm und auch Vertreten der IG Metall ist anzumerken, dass ihnen die Sache Bauchschmerzen bereitet. Am Ende will kein führender deutscher Gewerkschafter als Sargträger des Streikrechts dastehen.

    Was kommt jetzt auf Nahles zu?

    Nahles muss den Entwurf kräftig überarbeiten lassen, um sich der Unterstützung ihrer DGB-Freunde sicher zu sein. Macht sie das nicht, könnte der Widerstand aus dem Gewerkschaftslager und damit auch in der SPD so groß werden, dass der Entwurf doch im Mülleimer landet.

    Wie geht es weiter?

    Nach Informationen unserer Redaktion befasst sich das Bundeskabinett erst Mitte Dezember mit der Sache, und nicht wie angepeilt am 3. Dezember. Es scheint erheblichen Klärungsbedarf zu geben. Was aber gegen die Mülleimer-Theorie spricht: Bisher setzte die Bundesregierung Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag konsequent um, selbst besonders strittige Themen wie die Maut.

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