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Geflüchtete sollen arbeiten können: Daran hängt es in Deutschland

Integration

Geflüchtete sollen zu Kollegen werden

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    Singh Surinder, 39, aus Indien, arbeitet seit über einem Jahr bei Greif Mietwäsche am Standort Augsburg. Zuvor hat er sieben Jahre in München gelebt und gearbeitet. Seine drei Kinder gehen in die Schule und sollen in Deutschland groß werden.
    Singh Surinder, 39, aus Indien, arbeitet seit über einem Jahr bei Greif Mietwäsche am Standort Augsburg. Zuvor hat er sieben Jahre in München gelebt und gearbeitet. Seine drei Kinder gehen in die Schule und sollen in Deutschland groß werden. Foto: Matthias Zimmermann

    Wer an der falschen Stelle steht, bekommt die graublaue Arbeitshose ins Gesicht. Schnell muss es gehen, wenn Singh Surinder die gewaschene Kleidung auf die Bügel an dem Förderband hängt, das die Textilien durch die Trocknungsmaschine fährt. Der 39-jährige gebürtige Inder ist einer von 1400 Beschäftigten des bundesweit aktiven Unternehmens Mietwäsche Greif. Seit eineinhalb Jahren arbeitet er in der Augsburger Zentrale des Familienunternehmens, das Markus Greif mit seinem Bruder führt. Es ist warm in der großen Halle, ein leichter Waschmittelgeruch liegt in der Luft und Singh erzählt und lächelt viel, als er von seinem Weg hierher erzählt.

    Rund 2,6 Millionen Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen aus ihrer Heimat geflohen sind, leben aktuell in Deutschland. Darunter sind auch gut eine Million Geflüchtete aus der Ukraine. Die Zahlen sind mit einigen Unschärfen behaftet, da Geflüchtete aus der Ukraine sich im Schengenraum frei bewegen dürfen und Ämter oft nur mit Verzögerung von Ausreisen erfahren. Sicher ist aber: Unter diesen Menschen gibt es viele, die eigentlich für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

    Die Wirtschaft sucht nicht nur Fachkräfte

    Dieses Potenzial nicht zu nutzen, kann sich Deutschland kaum erlauben. Die Regierungskoalition ist im Streit um den Haushalt zerbrochen. Geld verschlingt nicht zuletzt der Sozialhaushalt, über ein Drittel des Gesamtetats fließt in das Budget von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Die Kritik, vor allem an den Rekordausgaben für das Bürgergeld, wächst. Wenn mehr Menschen arbeiten, spart der Staat nicht nur Geld, auch die Wirtschaft profitiert. Denn in vielen Bereichen werden nicht mehr nur Fachkräfte gesucht, sondern schlicht Arbeitskräfte. Doch was einfach klingt, ist in der Realität weiter kompliziert.

    Bei einem Rundgang durch die Wäscherei erklärt Greif, wie die Integration der Zugewanderten über den Job bei ihm in der Praxis funktioniert. „Über die Hälfte unserer Beschäftigten hat nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Die tägliche Zusammenarbeit funktioniert, aber sie bleibt eine ständige Herausforderung“, sagt der Unternehmer. Größtes Hindernis ist die Sprache: „In unserer Branche wird sehr stark im Team gearbeitet. Wir müssen sicher gehen, dass die Menschen die Maschinen verstehen, an denen sie arbeiten, damit alle Arbeitsschritte, vom Wäscheeingang bis zum Versand, ineinander greifen. Bei über 50 Nationalitäten in der Belegschaft ist das nicht immer einfach“, sagt Greif.

    Singh spricht mittlerweile gut Deutsch. Vor dreizehn Jahren kam er in München an und hat zunächst einige Jahre in einem indischen Restaurant gearbeitet, bevor er nach Augsburg zog. Nun wohnt er nicht weit von seiner Arbeitsstätte, hat drei Kinder, die bereits in die Schule gehen und sagt: „Nach Indien fahre ich gerne, aber nur in den Urlaub.“ Auch Greif ist weiter offen für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die versuchen, in Deutschland Fuß zu fassen. Nur reicht guter Wille nicht aus, um sie in den Betrieb zu bekommen.

    Wenn der Bus nicht fährt, können die Menschen nicht zur Arbeit kommen

    Die scheidende Bundesregierung hat vor einem Jahr den Jobturbo gestartet, um die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt zu beschleunigen. Ein Potenzial von 400.000 Erwerbstätigen hatte Heil dort erkannt. Heben soll das nicht zuletzt Daniel Terzenbach. Der 44-Jährige ist im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Regionen zuständig und wurde vor einem Jahr zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten ernannt.

    Die Sonderbeauftragung endete im Juli, das Thema begleitet Terzenbach weiter. Darum ist er heute bei Greif zu Besuch. „Etwa eine Million Menschen aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern und der Ukraine sind aktuell in Beschäftigung. Das sind rund 145.000 mehr als im Jahr zuvor“, betont er beim Rundgang durch die Wäscherei. „Das ist umso erfreulicher, da die allgemeine Lage am Arbeitsmarkt schwieriger ist.“ Bei den Geflüchteten aus der Ukraine, die anders als die anderen Geflüchteten sofort anspruchsberechtigt sind für das Bürgergeld, ist der Trend sogar noch deutlicher: Im August waren nach BA-Zahlen 221.000 Ukrainerinnen und Ukrainer sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 65.000 mehr als im Jahr zuvor. Hinzu kommen 51.000 geringfügig Beschäftigte.

    Fehlende Kinderbetreuung ist ein Problem

    Um Geflüchteten mit Bleibeperspektive möglichst schnell nach dem Integrationskurs Perspektiven aufzuzeigen, bringt die BA Menschen und Unternehmen in Kontakt. Auch bei Greif gab es so eine Veranstaltung mit 40 Teilnehmenden. „15 Personen davon hätten wir gerne eingestellt“, sagt Florian Oehler, Personalchef bei Greif. Gescheitert ist es am Ende oft an ganz praktischen Dingen: Ohne Auto kommen die Beschäftigten nach 20 Uhr nicht mehr weg aus dem großen Industriegebiet, mit Schichtarbeit ist das kaum zu verbinden. Auch bei den Sprachkursen passte das Angebot nicht zu den Unternehmensabläufen, sagt Greif: „Für uns und die Beschäftigten wäre es besser, wenn die Kurse im Unternehmen stattfinden könnten, auch während der Arbeitszeit. Hier haben die Menschen erst einmal ein gewohntes Umfeld und wir könnten die Kurse in unserem stark saisonalen Geschäft in ruhigeren Zeiten eintakten.“

    Terzenbach veröffentlicht demnächst seinen Abschlussbericht des Jobturbo. Er spricht sich darin für eine Reform der Integrationskurse aus: „Die Integrationskurse wurden vor 20 Jahren entworfen, als man Integration und Arbeitsmarkt noch nicht so stark zusammen gedacht hat. Damals gab es ein Beschäftigungsverbot von fünf Jahren für Geflüchtete. Wir sollten die Kurse stärker an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts ausrichten“, sagt er. Der deutsche Arbeits- und Ausbildungsmarkt sei für Menschen aus fremden Kulturkreisen durchaus erklärungsbedürftig. Und er sieht weitere Hürden: „Wegen der Atomisierung des Anerkennungssystems dauert es oft Jahre, bis eine Berufsqualifikation anerkannt ist“, so Terzenbach. In Deutschland gebe es hunderte verschiedener Prozesse, teils auf kommunaler Ebene. Gerade im Fall vieler geflüchteter Frauen aus der Ukraine stehe einer Arbeitsaufnahme zudem weniger der fehlende Wille als eine schlecht organisierte Kinderbetreuung im Wege.

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