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GDL-Chef Weselsky im Interview: Längerer Streik im Januar 2024

Interview

Lokführer-Chef Weselsky: Im Januar wird es längere Streiks geben

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    Claus Weselsky ist Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. Er stellt ab 8. Januar weitere und härtere Streiks in Aussicht.
    Claus Weselsky ist Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. Er stellt ab 8. Januar weitere und härtere Streiks in Aussicht. Foto: Carsten Koall, dpa (Archivbild)

    Herr Weselsky, Ihrer Ansicht nach lässt der Vorstand die Bahn „verrotten“. Die Manager seien inkompetent und verstünden nichts von der Eisenbahn. Trotzdem sollen die Spitzen-Leute nach Berichten Millionen-Boni bekommen. Wie passt das zusammen?

    Claus Weselsky: Die Bahn ist zu einem Selbstbedienungsladen für die Vorstände geworden: Diese Top-Manager füllen sich die Taschen. Wenn aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten einfordern, ist kein Geld da. Dann wird das hohe Lied des Sparens gesungen. Das Selbstbedienungs-System der Bahn-Vorstände ist ausgefeilt. 

    Angesichts der chronischen Zug-Verspätungen und des Winter-Desasters der Bahn wirken Boni seltsam. Das Wort „Bonus“ kommt ja aus dem Lateinischen und lässt sich mit gut, vortrefflich oder tüchtig übersetzen. Eigentlich müssten die Bahn-Vorstände freiwillig auf Zusatzzahlungen verzichten. 

    Weselsky (lacht): Das wird man bei diesen Herrschaften nicht erleben. Denn diese Manager haben ihr Entlohnungssystem derart ziseliert ausgearbeitet, damit sie immer mehr Geld bekommen, ob sie Erfolg haben oder nicht. Zum dritten Mal wird nun das Bonus-System für die Bahn-Vorstände gewechselt. Jetzt wird es ganz verrückt.

    Wie verrückt? 

    Weselsky: So verrückt, dass einfach ein Teil der Boni ins Grundgehalt rübergeschoben wird. Dadurch wird der Anteil der Boni zwar geringer. Die noch verbliebenen Boni werden aber so manipuliert, dass die Arbeit der Bahn-Vorstände immer erfolgreich ist, die Manager diese Zahlungen also stets bekommen. Und das etwa, weil sie Vorgaben wie eine bestimmte Frauen-Quote erfüllen. So hebt die Frauen-Quote die Unpünktlichkeit der Züge auf. Das ist ein verrücktes System. 

    Dabei warb die Bahn 1966 schon mit dem berühmten Slogan „Alle reden vom Wetter. Wir nicht" für ihre Robustheit in schwierigen klimatischen Lagen.  

    Weselsky: Dass die Bahn im Winter große Probleme hat, ist leider nicht neu. Ich erinnere mich an das Jahr 2018, als die Bahn wegen Schneefalls zu Zeiten der Buchmesse den Leipziger Hauptbahnhof dichtmachte. Dort fuhr kein Zug mehr. 

    Was Sie zu einer deftigen Formulierung greifen ließ. 

    Weselsky (lacht): Ich forderte damals: Eigentlich müssten die Manager die Weichen mit nacktem Hintern auftauen. Dass die Bahn immer wieder im Winter Probleme bekommt, ist Unfähigkeit in Potenz. Starke Schneefälle wie zuletzt gab es schon immer. Das sind keine gottgegebenen Phänomene. Bei starken Schneefällen und dann einsetzender Kälte sind die Weichen an einer Stelle anfällig: Von unten taut die Weichenheizung den Schnee an, von oben gefriert jedoch der Schnee bei Minus-Temperaturen. Über der Weiche entsteht eine Höhle, über der ein Eispanzer liegt. Wenn dieser Zustand eintritt, lassen die Vorstände die Bahn einfach ruhen. 

    Die Bahn-Vorstände reden also doch vom Wetter, ja reden sich mit dem Wetter raus. 

    Weselsky: Doch die Eispanzer über den Weichen sind eben nicht gottgegeben. Das weiß ich aus eigener Anschauung. Als ich 1977 in der damaligen DDR bei der Deutschen Reichsbahn nach einer Lehre zum Schienenfahrzeug-Schlosser noch eine Ausbildung zum Lokführer absolvierte, habe ich Weichen mit einem sogenannten Weichenbesen und mit einem Gerät mit einer Metallspitze freigeräumt und freigekratzt. Die Weichen waren danach wieder funktionsfähig. Doch wir haben heute bei der Bahn keine Besen und keine Leute mehr, die die Weichen vom Eis befreien. Dabei könnte die Bahn fahren, wenn die Führungskräfte die Eisenbahn auf den Winter vorbereiten. Überraschenderweise kommt der Winter jedes Jahr wieder. 

    Nach Ihrer Darstellung ist das Weichen-Problem hausgemacht. 

    Weselsky: Die Bahn hat keine Führungskräfte mehr, die etwas von der Eisenbahn verstehen. Inzwischen gehört die Bahn zu den ersten Einrichtungen, die bei heftigerem Wetter den Betrieb einstellen. Das ist eine Folge des Missmanagements. Das treibt Eisenbahnern Tränen in die Augen. 

    Warum kapituliert die Bahn so schnell bei starkem Schneefall? 

    Weselsky: Eigentlich müssten die Führungskräfte bei einem sich abzeichnendem Wintereinbruch Beschäftigte zu Bereitschaftsdiensten einteilen, sodass sie mit Besen und Kratzern vor Ort in den Bahnhöfen sind, wenn Weichen von Eispanzern befreit werden müssen. Das ist alles kein Hexenwerk. Das hat was mit Eisenbahner-Tugenden zu tun. Doch heute gibt es nicht mehr so viele Bahn-Beschäftigte vor Ort, die solche Dienste übernehmen können. Sie müssen zum Teil erst 50 bis 100 Kilometer mit dem Auto anreisen, um Weichen freizuräumen. Doch bei Wintereinbruch kommen diese Mitarbeiter mit dem Auto oft nicht voran, weil Straßen spiegelglatt sind. So kommt das System „Eisenbahn“ zum Erliegen. All das lässt Bahn-Beschäftigte verzweifeln. 

    Auch in der Tarifrunde hat sich eine Eisschicht über die Verhandlungspartner gelegt. Sie sagen, Ihr Gesprächspartner aufseiten der Bahn, Personal-Vorstand Martin Seiler, wolle nicht zum Eiskratzer greifen.  

    Weselsky: Herr Seiler lehnt es ab, über unsere Kernforderung, die Absenkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden für Beschäftigte im Schichtdienst zu verhandeln. Auch weigert er sich, über einen Fahrdienstleiter-Tarifvertrag zu sprechen. So lässt sich kein Kompromiss erzielen. Uns blieb deswegen nichts anderes übrig, als die Verhandlungen scheitern zu lassen und die Urabstimmung einzuleiten. Am 19. Dezember sind die Stimmen unserer Mitglieder ausgezählt. Ich rechne mit einer hohen Zustimmung für einen Arbeitskampf, also deutlich mehr als die notwendigen 75 Prozent. Bislang haben wir ja nur zwei Mal zu 24-stündigen Warnstreiks aufgerufen. 

    Nach der Urabstimmung drohen dann sicher längere Streiks. 

    Weselsky: Im Januar wird es nach einer erfolgreichen Urabstimmung längere Streiks geben. Es bleibt nicht bei weiteren 24-Stunden-Streiks. Das wäre töricht, schließlich hat man gesehen, dass zwei 24-Stunden-Streiks bei den Bahn-Vorständen eine Nullwirkung erzielen. 

    Es kommt aber erwartungsgemäß nicht zu weiteren Streiks im Dezember.  

    Weselsky: Genau. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer hat noch nie um Weihnachten oder um den Jahreswechsel herum gestreikt. Alle Berichte, wir würden das dieses Jahr tun, waren irreführend. 

    Dann streiken die Lokführer ab der zweiten Woche des neuen Jahres.  

    Weselsky: Ab dem 8. Januar sollte man mit längeren Arbeitskämpfen rechnen. Wir werden die Blockadehaltung der Bahn aufbrechen. Anders geht es nicht. Wenn Herr Seiler nicht mit uns verhandelt, stellt sich die Machtfrage. Dann müssen wir Herrn Seiler dazu bewegen, mit uns etwa über die Arbeitszeit-Reduzierung zu reden. Was die Umsetzung betrifft, sind wir kompromissbereit. Man könnte etwa 2025 starten und die Wochenarbeitszeit schrittweise bis 2028 von 38 auf 35 Stunden verringern. 

    Droht ein unbefristeter Streik, der nach der Urabstimmung möglich wäre? 

    Weselsky: Wir müssen nicht unbefristet streiken, um das System „Bahn“ zum Stehen zu bringen. Wir sind so verantwortungsbewusst, dass wir nicht auf ewige Zeiten streiken werden. Wir werden in Maßen die Bahn bestreiken. Aber vielleicht besinnt sich ja Bahn-Personal-Chef Seiler doch noch. 

    Herr Seiler hat den durch die GDL vertretenen Beschäftigten immerhin elf Prozent mehr Lohn, wenn auch für 32 Monate angeboten.  

    Weselsky: Das wäre nach Berechnungen eines Experten aber nur ein Lohn-Plus von 3,7 Prozent pro Jahr. Das ist viel zu wenig. 

    Sie nennen Herrn Seiler „Schauspieler aus der Bahn-Plüsch-Etage“. 

    Weselsky: Mit so einem Schauspieler zu verhandeln, ist schwierig. 

    Dabei verhandelt die Bahn doch schon zum wiederholten Mal mit der GDL. Da sollten die Rollen klar verteilt sein. 

    Weselsky: Die Verantwortlichen der Bahn zeigen dennoch keine Lernkurve. Immer wieder verhandeln neue Personen mit uns. Jeder glaubt, er sei der Größte, der uns mit einem neuen Trick in die Ecke spielen kann. 

    Aber Sie lassen sich nicht in die Ecke spielen. 

    Weselsky (lacht): Das haben wir nicht vor. 

    Claus Weselsky, 64, stammt aus Dresden. Seine Familie bewirtschaftete einen Bauernhof. Später arbeiteten seine Eltern als Straßenbahnfahrer. Weselsky absolvierte nach der Polytechnischen Oberschule eine Ausbildung zum Schienenfahrzeugschlosser und Lokomotivführer bei der damaligen Deutschen Reichsbahn. Weil er kein SED-Mitglied war, blieb er länger als andere Rangierlokführer. Erst ab 1982 durfte Weselsky Güterzüge und später auch Personen- und Schnellzüge fahren. Nach der Wende engagierte er sich in der wiedergegründeten Gewerkschaft der Lokomotivführer, kurz GDL. 2006 stieg der Gewerkschafter zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der GDL und 2008 zum Chef der Organisation auf. 

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