Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Augsburg will offenbar als erste Großstadt Gasnetz zurückbauen

Gasheizung

Sind viele Haushalte in Augsburg bald ohne Gasanschluss?

    • |
    Die Bundesregierung stellt sich auf einen Rückbau von großen Teilen des Gasnetzes ein.
    Die Bundesregierung stellt sich auf einen Rückbau von großen Teilen des Gasnetzes ein. Foto: Sebastian Willnow, dpa

    Nachdem die Bundesregierung im vergangenen Jahr mit dem Heizungsgesetz große Verunsicherung bei Menschen mit Gas- und Ölheizung ausgelöst hat, droht schon ein neuer Konflikt: Das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck denkt bereits über den Rückbau des Gasnetzes nach. Dies kann dazu führen, dass Interessenten keinen neuen Gasanschluss mehr bekommen und bisherige Kunden auf Alternativen umschwenken müssen. In Augsburg gibt es - unabhängig von den Überlegungen aus dem Wirtschaftsministerium - bereits seit Jahren Planungen, das Gasnetz im Zuge des parallel laufenden Fernwärmeausbaus nach und nach außer Betrieb zu nehmen. Rund 200 potenziell betroffene Kunden, vorrangig Firmen und Hausverwaltungen, seien in den vergangenen vier Jahren darüber informiert worden. Konkrete Planungen mit Zeitplan zum flächendeckenden Abklemmen des Gasnetzes in Augsburg gebe es aber nicht, betont Stadtwerkesprecher Jürgen Fergg. Ein entsprechender Bericht der Bild sei "irreführend", so die Stadtwerke. 

    Verbände wie auch Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger üben bereits scharfe Kritik an den Planungen des Bundes. Der Vorstandschef des Branchenverbandes DVGW, Gerald Linke, warnte am Montag vor einer "Rückbau-Orgie" und plädierte dafür, das Thema technologieoffen zu gestalten. Auch wasserstoffbetriebene Gasheizungen müssten eine Chance haben. 

    Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu werden. "Bis dahin muss der Ausstieg aus fossilem Erdgas vollzogen worden sein", heißt es in einem kürzlich vorgelegten Papier des Wirtschaftsministeriums zum Gasnetz. Für den Umstieg auf klimafreundliche Heizungen gibt es inzwischen Fördergelder. Die Folge ist, dass viele Kunden künftig nicht mehr mit Gas heizen werden, heißt es im Papier. "Gasverteilnetze für die bisherige Erdgasversorgung werden dann in der derzeitigen Form nicht mehr benötigt werden." Sind nur noch wenige Kunden angeschlossen, könnte der Betrieb nicht mehr rentabel sein. Die Stilllegung oder der Rückbau der Netze wäre die Folge. 

    Gasnetz-Rückbau: Neuanschlüsse könnten verweigert werden, Kündigung für Bestandskunden

    Für Verbraucher könnte dies in einigen Jahren bedeuten, "dass neue Gasanschlüsse verweigert und bestehende gekündigt werden können", dies sehe ein Gesetzentwurf der EU vor. Neue Kunden würden nicht mehr an das Gasnetz angeschlossen werden, bestehende Kunden mit einer Gastherme im Keller müssten sich nach einer Alternative umsehen. "Falls Erdgasnetze stillgelegt werden, müssen die angebundenen Kunden einen hinreichenden Vorlauf haben, um ihre Energieversorgung umzustellen", betonte aber das Bundeswirtschaftsministerium. 

    Aiwanger kritisiert Pläne: "Keinem Gaskunden darf gegen seinen Willen der Hahn abgedreht werden"

    Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger kritisiert die Pläne trotzdem scharf: "Diese Debatte löst weitere Verunsicherung bei den Gaskunden aus", warnte er. "Erst mussten sie fürchten, kein Gas mehr zu bekommen, dann mussten sie sehr teure Preise bezahlen und jetzt, da sich die Lage einigermaßen beruhigt hat, redet man vom Rückbau der Netze, ohne schon vernünftige Alternativen zu haben", sagte der Freie-Wähler-Chef. "Es muss auf alle Fälle gewährleistet sein, dass keinem Gaskunden gegen seinen Willen der Hahn abgedreht wird", fordert er.

    Es gibt allerdings eine Chance, die Gasnetze weiterzubetreiben – mit klimafreundlichem Wasserstoff: "Nicht das Rausreißen von Leitungen und die Stilllegung sind das Gebot der Stunde, sondern die Ertüchtigung und der Neubau", sagte DVGW-Vorstandschef Linke. "Nur das führt zu einem Erfolg beim Klimaschutz, Wasserstoff ist hier unverzichtbar." Der Verband legte am Montag Studien vor, dass der Bau eines Wasserstoff-Kernnetzes mit rund 20 Milliarden Euro und die Umrüstung des Gasnetzes für vier Milliarden Euro deutlich günstiger seien als der Ausbau der Stromnetze, der bis 2045 mit bis zu 730 Milliarden Euro zu Buche schlagen könnte. 

    Claudia Kemfert, DIW: Wasserstoff als Wärmequelle extrem ineffizient

    Auch Aiwanger fordert, neben dem Aufbau eines Fernleitungsnetzes auch die lokalen Verteilnetze zu behalten, um die Nachfrage nach Wasserstoff in der Fläche bedienen zu können. "Wir müssen also erst einmal von Aufbau, Ausbau und Erhalt reden anstatt von Rückbau", sagt er. Kritiker sehen im Wasserstoff dagegen kaum eine realistische Option, da dieser zu rar und zu teuer sei. "Wasserstoff als Wärmequelle ist extrem ineffizient und wird in Deutschland für Gebäudeenergie voraussichtlich kaum zur Verfügung stehen", teilte Claudia Kemfert mit, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Dafür braucht es das Gasverteilnetz im heutigen Umfang sicher nicht." 

    In Augsburg sehen die Überlegungen vor, die Fernwärme massiv auszubauen. Aus Klimaschutzgründen soll bis 2040 rund 40 Prozent des Augsburger Wärmebedarfs aus Fernwärme kommen (aktuell 20 Prozent). Bis dahin soll die Fernwärme klimaneutral erzeugt werden. Ein Baustein soll ein zweites Biomasseheizkraftwerk sein. Stadtwerkesprecher Fergg verweist darauf, dass man sich klar machen müsse, dass Bayern laut Gesetzeslage 2040 klimaneutral sein wolle. "Und Erdgas ist nun einmal nicht klimaneutral." Darum habe man sich für Augsburg entschlossen, verstärkt auf Fernwärme zu setzen. Sollte entgegen den jetzigen Erwartungen klimaneutraler Wasserstoff künftig zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung stehen, könne man das Erdgasnetz dafür nutzen. Eine Stilllegung in ersten Quartieren, die jetzt Fernwärme bekommen, komme frühestens 2035 infrage. Bis dahin werde man klarer sehen. "Aber es ist auch klar: Der Betrieb zweier Netze nebeneinander kostet Geld", so Fergg. Das werde sich gegebenenfalls in den Netzentgelten niederschlagen. Nach derzeitigem Stand sehe man die Erdgasversorgung langfristig aber als Auslaufmodell. "Und da halten wir es für besser, frühzeitig auf die Leute zuzugehen."

    Verband kommunaler Unternehmen: Kommunale Wärmeplanung entscheidend

    Wie in den Stadtteilen und Gemeinden geheizt werden soll, müssen die Kommunen bis Ende Juni 2028 festlegen. "Die Zukunft der Gasnetze hängt entscheidend von der kommunalen Wärmeplanung vor Ort ab. Dieser Prozess findet im Moment statt", sagte ein Sprecher des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Einzelne Kommunen kündigen bereits ihren Bürgern an, dass sie künftig zum Beispiel auf Fernwärme statt auf Gas setzen wollen. 

    "Wir gehen aktuell davon aus, dass Teile der Gasinfrastruktur auch künftig benötigt und verwendet werden, zum Beispiel um einen Teil der bisherigen Industrie- und Gewerbekunden mit dekarbonisiertem Gas zu versorgen", sagte der Sprecher. "Dabei ist Wasserstoff ein zentraler Baustein der Energiewende", erklärte er. Auch die geplanten dezentralen Blockheizkraftwerke benötigten nämlich einen Teil der bestehenden Infrastruktur. Zudem gebe es dem VKU zufolge Pläne, Gasleitungen für Strom- und Glasfaserkabel zu nutzen. 

    VKU-Sprecher: Stilllegung eines Teils der Gasnetze wahrscheinlich

    "Sicherlich wird ein gewisser Teil nicht mehr benötigt werden, und es wird voraussichtlich zu einer Transformation oder Stilllegung der Netze kommen", fügte der VKU-Sprecher aber in Hinblick auf das Gasnetz an. "Das ist auch deutlich kostengünstiger als ein Rückbau, weil dieser wertvolle Ressourcen bindet: Dieselben Fachkräfte und Maschinen, die dafür eingesetzt werden müssten, werden für den Ausbau der erneuerbaren Energien dringend benötigt."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden