Seit Anfang September liefert Russland kein Gas mehr nach Deutschland. Schon zuvor waren die Mengen massiv reduziert worden. Die Bundesnetzagentur warnte daher, dass es im Winter zu einer Gasmangellage kommen könnte, wenn nicht genügend Gas eingespart wird. Industrie, aber auch Privathaushalte müssten ihren Verbrauch reduzieren, mahnte die Behörde. Im Falle einer Gasmangellage würde die Bundesnetzagentur die knappen Gasmengen verteilen und müsste entscheiden, wer wie viel Gas erhalten soll.
Gasverbrauch: Wie viel Gas sparen Haushalte und Unternehmen in Deutschland ein?
Die großen Industriekundinnen und -kunden war in Deutschland in den vergangenen Jahren für etwa 60 Prozent des Gasverbrauchs verantwortlich. Gas wird in verschiedensten Branchen benötigt, von der Chemieindustrie über die Stahlproduktion bis hin zur Lebensmittel- und Getränkeherstellung. Doch auch die Privathaushalte haben einen großen Anteil am Gasverbrauch. Hier wird das Erdgas vor allem zum Heizen verwendet – jede zweite Wohnung wird damit erwärmt. In den Auswertungen der Bundesnetzagentur werden private Haushalte mit kleinerem Gewerbe zusammengefasst – die sogenannten Standard-Last-Profil-Kundinnen und -Kunden mit einem Jahresgasverbrauch bis 1,5 Gigawattstunden (GWh). Diese machen rund 40 Prozent des Gasverbrauches aus.
Die Auswertungen der Bundesnetzagentur zeigen, dass die Industrie bereits in den Sommermonaten Gas eingespart hat. Der Verbrauch lag den Sommer über zwischen 20 und 30 Prozent unter dem Durchschnitt der vergangenen Jahre. Die Haushalte verbrauchen im Sommer ohnehin sehr wenig Gas, da dieses vorrangig zum Heizen und daher erst im Winter benötigt wird. Als die Temperaturen im September fielen, stieg daher auch der Gasverbrauch. Er lag im September erstmals über dem Schnitt der vergangenen Jahre. Die Bundesnetzagentur nannte diese Zahlen "sehr ernüchternd" und forderte zu mehr Sparsamkeit auf. Der erhöhte Verbrauch hat zwar mit den verhältnismäßig kalten Temperaturen zu tun, doch Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller betonte, auch bei weiter sinkenden Temperaturen müsse Gas eingespart werden.
Letztendlich half der über weite Strecken milde Winter dabei, Gas zu sparen. Auch temperaturbereinigt ist zu sehen, dass die Haushalte weniger Gas verbraucht haben als in ähnlich kalten Zeiten der vergangenen Jahre. Prozentual haben die Haushalte im Winter etwas weniger Gas eingespart als die Industrie, die durchgängig 20 bis 25 Prozent unter den Mengen der vergangenen Jahre lag. Eine Befürchtung von Expertinnen und Experten ist jedoch, dass ein großer Teil der Einsparungen der Industrie auf die enorm gestiegenen Preise zurückzuführen ist. Durch die wieder stabilere Lage auf dem Gasmarkt sinken die Preise jedoch – der Verbrauch der Industrie könnte also wieder ansteigen.
Gaslieferungen: Wie viel Gas bekommt Deutschland?
Etwa die Hälfte des Erdgases, das in Deutschland verwendet wurde, kam in den vergangenen Jahren aus Russland. Vor allem über die Pipeline Nord Stream 1 wurde es direkt importiert, die Schwester-Pipeline Nord Stream 2 stand kurz vor der Inbetriebnahme. Dann befahl Putin den Überfall auf die Ukraine.
Die Gasimporte aus Russland waren über Monate immer wieder ein großes Thema, insbesondere die Pipeline Nord Steam 1. Zwar erhielt Deutschland auch über andere Pipelines, die über Land verlaufen, Gas aus Russland – so gibt es zum Beispiel Röhren, die durch Belarus und die Ukraine führen. Doch der mit Abstand größte Teil kam über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Nord Stream 2 wurde nach dem russischen Angriff nie geöffnet.
Immer wieder gab es Schwankungen der Gasmengen, die durch die Ostsee-Pipeline kamen. So drosselte Russland die Liefermenge im Juni um etwa die Hälfte und gab technische Gründe an – die Bundesregierung hielt diese für vorgeschoben. Im Juli floss dann für einige Tage gar kein Gas durch die Pipeline, Grund war die jährliche Wartung der Röhre, die jeden Sommer ansteht. Einige Expertinnen und Experten befürchteten, dass die Pipeline danach zubleiben würde. Sie wurde allerdings, ganz nach Plan, wieder in Betrieb genommen. Die Liefermenge blieb zuerst auf dem niedrigen Niveau von davor – Anfang August drosselte Russland die Menge dann noch weiter. Zuletzt kam noch etwa ein Fünftel der möglichen Menge durch Nord Stream 1.
Anfang September kündigte Russland eine erneute Wartung der Pipeline an, die drei Tage dauern sollte. Die Bundesregierung hielt den Grund wieder für vorgeschoben. Die Pipeline wurde, anders als angekündigt, nicht mehr geöffnet, mit Verweis auf die Sanktionen, wegen der die Schäden nicht zu reparieren seien. Die Bundesregierung geht von einer politischen Entscheidung aus. In der Nacht zum 26. September wurden Nord Stream 1 und Nord Stream 2 durch Explosionen massiv beschädigt. Die Europäische Union hält Sabotage für den wahrscheinlichen Auslöser – durch wen, ist ungeklärt.
Russland hat die Gaslieferungen nach Deutschland also sukzessive reduziert und liefert seit Anfang September gar kein Gas mehr. Deutschland importiert aber weiterhin große Mengen Gas. Zwar ist die Importmenge deutlich niedriger als vor dem Krieg, doch auch der Export ist gesunken. Deutschland hatte immer einen Teil des Gases, das durch Nord Stream 1 ins Land kam, an Nachbarländer weitergegeben und an diesem Transit verdient – an diese Länder liefert Deutschland nun bedeutend weniger. Andere Länder beziehen dafür vermehrt Flüssiggas (LNG), das aus den USA oder verschiedenen arabischen Staaten verschifft wird. Um dieses Gas, das mit großen Transportschiffen geliefert wird, direkt importieren zu können, sind LNG-Terminals nötig, die Deutschland nicht besaß. Um den Jahreswechsel herum wurden nun zwei der Terminals in Betrieb genommen, weitere sollen folgen.
Deutschlands Haupt-Gaslieferant ist inzwischen Norwegen – von dort führen direkte Pipelines durch die Nordsee. Über den Landweg kommt vor allem aus Belgien und den Niederlanden Gas nach Deutschland. Dieses ist aber nicht unbedingt dort erzeugt worden, sondern wurde ebenfalls importiert. Entweder über Pipelines – eine große gibt es etwa zwischen den Niederlanden und Großbritannien – oder als Flüssiggas.
Die Daten zeigen: Deutschland erhält deutlich weniger Erdgas als vor dem Krieg. Die Lücke wird in geringem Maß durch verstärkte Lieferungen aus Belgien und den Niederlanden ausgeglichen. Vor allem aber exportiert Deutschland weniger Gas in die Nachbarländer.
Gasspeicher: Wie viel Gas hat Deutschland vorrätig?
Deutschland hat sich seit dem Frühjahr auf einen möglichen Gas-Lieferstopp vorbereitet. Dabei kommt den Gasspeichern eine entscheidende Rolle zu. An rund 40 Standorten können in Deutschland rund 23 Milliarden Kubikmeter Erdgas gespeichert werden. Das entspricht etwa einem Viertel des Jahresbedarfs. Gut gefüllt können diese Gasspeicher also helfen, eine Gasmangellage über eine gewisse Zeit zu verhindern.
Es ist normal, dass die Gasspeicher im Sommer gefüllt und im Winter nach und nach entleert werden. Als Russland im Februar die Ukraine überfiel, waren sie aber besonders leer, auch für diese Jahreszeit. Seitdem werden sie wieder gefüllt – wie schnell, das geht aus den Daten des Gasinfrastrukturverbandes GIE hervor, der die Füllstände von etwa 90 Prozent aller Gasspeicher in Deutschland registriert.
Nach Kriegsbeginn hat Deutschland ein "Gesetz zur nationalen Gasreserve" beschlossen. Betreiber von Gasspeichern werden damit verpflichtet, ihre Speicher zu bestimmten Zeitpunkten zu bestimmten Mindestmengen gefüllt zu haben. Die Vorgaben wurden Ende Juli noch einmal verschärft. Für folgende Stichtage gelten jetzt diese Mindestfüllstände:
- zum 1. September: 75 Prozent
- zum 1. Oktober: 85 Prozent
- zum 1. November: 95 Prozent
- zum 1. Februar: 40 Prozent
Auch nach dem russischen Lieferstopp stiegen die Füllstände erst einmal weiter. Da mit Beginn der Heizperiode aber deutlich mehr Gas benötigt wird, wurden die Gasspeicher im Winter sukzessive geleert. Die Speicher leerten sich aber langsamer, als befürchtet. Wegen der milden Temperaturen wurde weniger geheizt – so wurde auch eine Gasmangellage immer unwahrscheinlicher. Zumindest für den Winter 2022/23. Expertinnen und Experten warnen, dass eine Gasmangellage auch im Winter 2023/24 drohen könnte. Denn es ist unklar, ob Deutschland die Speicher im Sommer wieder so gut füllen kann wie im vergangene Jahr – denn anders als 2022 muss dies nun komplett ohne russische Exporte gelingen.
Auch ohne das russische Gas wurden die Gasspeicher im Sommer schneller gefüllt, als es Expertinnen und Experten erwartet hatten. Zum 1. September lag der Füllstand deutlich über der gesetzlichen Vorgabe von 75 Prozent. Wenige Tage später wurde bereits die Marke von 85 Prozent überschritten, die erst zum 1. Oktober vorgeschrieben gewesen wäre. Am 18. September stieg der Füllstand dann über 90 Prozent, am 15. Oktober über 95 Prozent. Am 13. November erreichten die Speicher dann sogar den Stand von 100 Prozent.