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Führungsspitze der Lechwerke im Interview: Energiewende muss bezahlbar bleiben

Interview

Lechwerke-Chefs: „Die Energiewende muss für die Bevölkerung bezahlbar werden“

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    Erneuerbare Energien decken inzwischen rund 90 Prozent des Strombedarfs in Schwaben.
    Erneuerbare Energien decken inzwischen rund 90 Prozent des Strombedarfs in Schwaben. Foto: Jan Woitas, dpa

    Herr Barr, Herr Gemmel, wie stehen wir mit der Energiewende in unserer Region da?
    CHRISTIAN BARR: Besser, als viele denken! Bei LEW Verteilnetz speisen inzwischen 125.000 Anlagen Strom aus erneuerbaren Energien ein. Allein in den vergangenen drei Jahren gingen mehr Anlagen ans Netz als in den zehn Jahren davor, fast ausschließlich Photovoltaik. Die Erzeugung aller Anlagen deckt bei LEW Verteilnetz inzwischen rund 90 Prozent des verbrauchten Stroms. Im Bundesschnitt sind es rund 60 Prozent. Bayern ist ein Solarland, das kommt uns hier zugute.

    Im November und Dezember hat Deutschland eine lange Dunkelflaute erlebt. Durch den Nebel drang kaum Sonnenlicht, die Windräder standen still. Ist es da nicht knapp geworden?
    BARR: Für das Energiesystem in Deutschland war das eine starke Belastung: Bei LEW Verteilnetz zum Beispiel standen von rund 2,7 Gigawatt Spitzensolarleistung nur ein Bruchteil zur Verfügung. Auch die Windkraft lief kaum. Es musste Strom aus dem bundesweiten Übertragungsnetz bezogen werden, bis zu 1,3 Gigawatt in der Spitze. Das ist etwa so viel, wie ein Großkraftwerk leistet. Durch die starke Anbindung an das Übertragungsnetz bestand keine Gefahr, dass in Schwaben die Lichter ausgehen. Dieser Stresstest wurde also bestanden. Klar ist: Um auch künftig solche Situationen zu meistern, muss die Versorgungssicherheit bei der Energiewende höchste Priorität haben.

    Christian Barr (links) und Dietrich Gemmel leiten die Lechwerke AG, Schwabens größter Stromversorger.
    Christian Barr (links) und Dietrich Gemmel leiten die Lechwerke AG, Schwabens größter Stromversorger. Foto: brechenmacher & baumann, LEW

    Wo kam der Strom in der Dunkelflaute her?
    BARR: Der für unsere Region zuständige Übertragungsnetzbetreiber Amprion stellt sicher, dass Strom aus dessen Netz bezogen werden kann. In der Dunkelflaute laufen dann auch fossile Kraftwerke – also Gas- oder Kohlekraftwerke – und decken den Bedarf. Künftig sollen solche Kraftwerke klimaneutral betrieben werden. Deutschland hat auch Strom importiert, unter anderem aus Frankreich. Bei uns in der Region trägt auch die Wasserkraft zur Deckung des Strombedarfs bei.

    Wenn Sie sagen, dass in Schwaben - abgesehen von Phasen der Dunkelflaute - bereits rund 90 Prozent der Elektrizität aus erneuerbaren Energien stammen, ist dann ein forcierter Ausbau noch nötig oder könnten wir es nicht fürs erste gut sein lassen?
    DIETRICH GEMMEL : Die Energiewende ist längst nicht am Ziel. Sie bedeutet auch, den Verkehrs- und Gebäudesektor klimaneutral zu gestalten. Strom aus erneuerbaren Energien spielt hier eine Schlüsselrolle. Im Verkehr wird die Zahl der Elektroautos steigen. Im Gebäudebereich sollen Öl und Gas bis 2045 an ihr Ende kommen, Wärme soll dann regenerativ erzeugt werden, zum Beispiel durch Wärmepumpen. Der Strombedarf wird also massiv ansteigen. Studien prognostizieren für Bayern einen Anstieg beim Verbrauch von 60 Prozent und mehr bis zur Klimaneutralität. Deshalb werden wir weiter erneuerbare Energien zubauen müssen.

    Welchen Ausbau müssen wir in Schwaben bei den erneuerbaren Energien erreichen?
    GEMMEL : Wir gehen in unserer Region von einer Vervier- bis Verfünffachung der Leistung an erneuerbaren Energien aus, um Klimaneutralität zu erreichen. Die Anzahl der Photovoltaikanlagen wird von 125.000 auf schätzungsweise 350.000 und mehr wachsen. Dafür muss das Netz ausgebaut werden.

    Welcher Netzausbau ist in unserer Region nötig?
    BARR: Ein erheblicher Netzausbau ist notwendig. In einem Maximalszenario bedeutet dies für LEW Verteilnetz je nach Spannungsebene einen Mehrbedarf zwischen 25 und 90 Prozent der Leitungskapazität. Das summiert sich – die Leitungen bis zu den einzelnen Häusern mitgerechnet – auf viele tausend Kilometer. Immerhin: Zu 90 Prozent ließe sich dieser Zubau auf bestehenden Leitungstrassen umsetzen. Ausbaubedarf gibt es auch bei den Umspannwerken und Ortsnetzstationen. Für den Netzausbau sind erhebliche Investitionen nötig: Als LEW-Gruppe investieren wir allein bis 2028 insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro – den Großteil davon in Ausbau, Modernisierung und Digitalisierung des Stromverteilnetzes. Auch in den Jahren danach bleibt der Investitionsbedarf enorm. Nicht nur in unserer Region, sondern in ganz Deutschland.

    Bei den Lechwerken rechnet man damit, dass in den kommenden Jahren erheblich in neue Umspannwerke investiert werden muss.
    Bei den Lechwerken rechnet man damit, dass in den kommenden Jahren erheblich in neue Umspannwerke investiert werden muss. Foto: Michael Kerler

    Müssen wir damit rechnen, dass der Netzausbau mit all seinen Kosten auch die Strompreise in die Höhe treibt?
    GEMMEL : Durchschnittlich machen Netzkosten derzeit ein Viertel des Strompreises aus. Bei LEW Verteilnetz gab es bei den Netzentgelten zwei Jahre in Folge einen Anstieg. Dieser Trend ist für das kommende Jahr durch einen neuen bundesweiten Ausgleichsmechanismus vorübergehend gestoppt. Hier gibt es eine Entlastung. Mittel- bis langfristig erwarten wir jedoch, dass die Kosten insgesamt ansteigen. Deshalb muss auf die politische Agenda, wie man die Energiewende für die Bevölkerung und die Wirtschaft tragbar und bezahlbar macht.
    BARR: Wenn wir weitermachen wie bisher und die Netze einem ungesteuerten PV-Ausbau hinterherbauen, würden die Netzentgelte stark ansteigen. Hier müssen wir gegensteuern und den Ausbau der erneuerbaren Energien und deren Integration ins Netz deutlich kostengünstiger gestalten. Es gilt den regulatorischen Rahmen anzupassen – eine Aufgabe für eine neue Bundesregierung. Wir wollen schließlich die Energiewende zum Erfolg führen und die Akzeptanz für dieses Generationenvorhaben stärken.

    Was schlagen Sie hier vor? Wie wird das Energiesystem effizienter?
    GEMMEL : Wir sehen drei wichtige Ansatzpunkte. Die erneuerbaren Energien sind erwachsen geworden. Sie decken große Teile des Strombedarfs. Strom lässt sich heute mit Windkraft und Photovoltaik günstiger herstellen als früher. Immer öfter sehen wir ein Überangebot an Sonnen- oder Windstrom und damit negative Börsenstrompreise. Dann gibt es Geld, wenn man Strom abnimmt! Diese Marktsignale kommen aber gar nicht beim Stromerzeuger an, es gibt trotzdem die gesetzlich garantierte Einspeisevergütung. Das verursacht enorme Kosten. Bei negativen Börsenstrompreisen wäre es deshalb sinnvoll, dass große Betreiber keine Vergütung mehr bekommen. Die Einspeisung aus erneuerbaren Energien muss stärker marktwirtschaftlichen Regeln folgen.

    Rentiert sich denn dann für Privatleute noch die Investition in eine PV-Anlage?
    GEMMEL : Privatkunden haben typischerweise kleiner ausgelegte Anlagen und sollten deshalb von so einer Regelung nicht betroffen sein. Ohnehin geht es bei Privathaushalten heute auch nicht mehr primär darum, den Strom in das Netz einzuspeisen, sondern damit das Haus zu versorgen oder das E-Auto zu laden. Sie sparen damit Geld und können sich teilweise selbst versorgen.

    Was sind die weiteren Ansatzpunkte, um die Kosten der Energiewende zu senken?
    BARR : Bei den Regeln für den Netzausbau muss das Thema Kosteneffizienz höher priorisiert werden. Bisher sehen die Vorgaben vor, das Netz so auszubauen, dass die letzte erneuerbar erzeugte Kilowattstunde noch aufgenommen und abtransportiert werden kann. Perspektivisch bringt dies immer höhere Kosten mit sich. Das Problem sind Leistungsspitzen bei der Photovoltaik. Sie treten nur zu bestimmten Zeiten auf, mittags, mit Höchstwerten im Sommer. Wenige Stunden im Jahr machen einen massiven Netzausbau nötig. Als Vergleich: Im Straßenverkehr würde dies einer Vorschrift entsprechen, dass es auf Autobahnen niemals Stau gibt, selbst zur Hauptreisezeit an Ostern oder Pfingsten. Unsere Autobahnen müssten 16-spurig sein! Die Frage ist: Können wir uns das volkswirtschaftlich und gesellschaftlich leisten?

    Welche Kosten lassen sich im Netzausbau einsparen?
    BARR : Wenn wir über das Jahr gesehen nur auf 3 Prozent Einspeisung verzichten würden – in Zeiten mit Erzeugungsspitzen ist ohnehin genug Strom vorhanden –, könnte man das Stromnetz mit rund 30 Prozent weniger Leistung auslegen und damit Netzausbaukosten sparen. Ein erheblicher Effekt. Und noch ein dritter Punkt könnte die Energiewende kosteneffizienter machen.

    Und dies wäre?
    GEMMEL : Den Einspeise-Mix der Erneuerbaren ausgeglichener gestalten. In unserer Region bedeutet das, neben Photovoltaik die Windkraft stärker auszubauen. Dann steht auch nachts und im Winter zusätzliche Energie bereit, wenn die Photovoltaik kaum Strom erzeugt. Das hilft, die Netze besser auszulasten. Auch eine Ost-West-Ausrichtung neuer Photovoltaikanlagen trägt dazu bei. Bedingt durch den Lauf der Sonne würde mehr Strom morgens und abends erzeugt. Auch Stromspeicher – übrigens auch die Batterien der Elektroautos – könnten Beiträge leisten: Diese nutzen zwar immer mehr Bürger, es gibt aber kaum Anreize, sie netzdienlich einzusetzen. Bei sonnigem Wetter ist der Stromspeicher im Keller durch die Photovoltaikanlage häufig bereits um 10 Uhr vollgeladen. Mittags, wenn Sonnenstrom in großer Menge ins Netz drückt, kann der Speicher dann schon nicht mehr abpuffern.

    In Deutschland herrscht Wahlkampf, einige Energiegesetze scheinen wieder auf der Kippe zu stehen, das Heizungsgesetz zum Beispiel. Wie sehen Sie die Entwicklung?
    GEMMEL : Die Zukunft ist elektrisch, davon sind wir überzeugt. Das Stromnetz kann leisten, wofür es heute Ölpipelines, Tankstellen und Gasnetze braucht. Wärmepumpen und E-Autos haben einen viel höheren Energiewirkungsgrad als fossile Technik. Die Elektrifizierung wird sich nicht aufhalten lassen. Wenn wir konsequent und schnell auch die Energie für Wärme und Mobilität über das Stromnetz beziehen, steigt die Effizienz im Gesamtsystem und trägt zum Erfolg der Energiewende bei.

    Passt zu diesem Pfad eine Rückkehr zur Atomkraft, wie es der Union, der FDP oder der AfD vorschwebt?
    BARR: Aufgabe der Politik ist, durch geeignete Rahmenbedingungen Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaneutralität in Einklang zu bringen. Innerhalb dieses Rahmens arbeiten wir und treiben die Energiewende in unserer Region voran - Kernkraft ist dabei für uns kein Thema.

    Eine letzte Frage: Welche Strompreise erwarten Sie für Ihre Kunden im kommenden Jahr?  
    GEMMEL : Unsere Produkte kalkulieren wir jeweils spezifisch auf Basis der Preisbestandteile. Vor diesem Hintergrund wird zum Jahreswechsel der Preis einiger Tarife sinken. Wir verfolgen auch im kommenden Jahr unsere auf Langfristigkeit und Verlässlichkeit ausgelegte Strategie bei unseren Stromprodukten weiter.

    Zur Person

    Christian Barr, 53, und Dietrich Gemmel, 62, bilden gemeinsam den Vorstand der Lechwerke AG. Barr stammt aus Elsfleth in Niedersachsen, Gemmel aus Düsseldorf.

    Lechwerke AG

    - LEW ist als regionales Energieunternehmen im Südwesten Bayerns tätig und beschäftigt mehr als 2.000 Mitarbeitende. LEW versorgt Privat-, Gewerbe- und Geschäftskunden sowie Kommunen mit Strom und bietet verschiedene Energielösungen. Mit 36 betriebsgeführten Wasserkraftwerken zählt LEW zu den führenden Erzeugern von Wasserkraft in Bayern. LEW betreibt in der Region ein Glasfasernetz mit über 7.000 Kilometern Länge in der Region und bietet Produkte und Dienstleistungen im Bereich Telekommunikation.

    - Das Tochterunternehmen LEW Verteilnetz (LVN) betreibt das Stromverteilnetz in Bayerisch-Schwaben und Teilen Oberbayerns. LVN hat eine der höchsten Dichten an Anlagen für erneuerbare Energien: Rechnerisch ist alle 250 Meter eine solche Anlage angeschlossen. Das LVN-Netz muss wegen des starken Ausbaus erneuerbarer Energien deutlich erweitert werden. Das hat dort in den letzten zwei Jahren zu höheren Netzentgelten geführt. Ab 2025 gilt ein neuer Mechanismus: In Netzgebieten mit vielen Anlagen an erneuerbaren Energien, wie bei LVN, sinken zum Jahreswechsel die Netznutzungsentgelte aufgrund eines neuen Kostenausgleichs. Dieser Ausgleich wird durch eine deutschlandweite Umlage finanziert, die alle Stromverbraucher zahlen.

    - Die Netzentgelte sind ein Bestandteil des Strompreises für Privathaushalte. Sie machen im Schnitt etwa 25 Prozent aus, Steuern und Abgaben etwa 30 Prozent, Beschaffung und Vertrieb im Schnitt rund 45 Prozent. Neben der Entwicklung bei den Preisbestandteilen sind auch der Zeitpunkt der letzten Preisanpassung sowie vertragliche Regelungen, etwa Preisgarantien, entscheidend bei Preisänderungen. Bei großen Abnehmern wie Industriebetrieben werden die Preisbestandteile in der Regel getrennt abgerechnet. Änderungen bei den Preisbestandteilen machen sich jeweils direkt bemerkbar.

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    1 Kommentar
    Klara Rasper

    Wenn Sie sagen, dass in Schwaben - abgesehen von Phasen der Dunkelflaute - bereits rund 90 Prozent der Elektrizität aus erneuerbaren Energien stammen, -------------------- Der Autor passt anscheinend nicht auf, was gesagt wird. Es war von 90% die Rede, ohne wenn und aber. Das kann dann wohl nur ueber das Jahr gemeint sein. Mit allen Dunkelflauten. Und das finde ich gut und erstaunlich. Allen EE-Kritikern und AKW-Fans inkl. Ministerpraesident sei das mal eingetrichtert.

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