Nicht weniger als 17 Mal hat Emmanuel Macron in seiner diesjährigen Neujahrsansprache das Wort „Arbeit“ oder die Verb-Form davon, „arbeiten“, verwendet. Frankreich, so der Präsident, werde nur stärker, wenn alle sich noch mehr anstrengen. Das rechtfertigt für ihn die geplante schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters. „2023 wird das Jahr der Rentenreform“, kündigte Macron in der Rede an. Den Versuch eines weitreichenden Umbaus des Systems zog er Anfang 2020 zurück – nicht aufgrund der massiven Proteste, sondern infolge der Corona-Pandemie, die just begann, als das Projekt fast umgesetzt war. Nun geht es um Macrons Image als Reform-Präsident, der für eine verantwortungs- und budgetbewusste Politik stehen will.
Ende des Jahres hat er die Regeln der Arbeitslosenversicherung verschärft. Am Dienstag stellt seine Premierministerin Élisabeth Borne die Grundzüge der Rentenreform vor, die seit Monaten für Diskussionen und viele Ängste sorgt, obwohl die Regierung das System nicht mehr umstrukturieren will, wie vor drei Jahren noch geplant. Nun steht vor allem die Anhebung des Renteneintrittsalters im Fokus.
Das Renteneintrittsalter in Frankreich soll von 62 auf 64 Jahre steigen
Doch die Französinnen und Franzosen wollen nicht mehr und nicht länger arbeiten – ein Trend, den Studien bestätigen und den die Coronavirus-Pandemie noch verstärkt hat. Mehr als die Hälfte von ihnen empfinden einer Studie des Meinungsforschungsinstituts IFOP zufolge ihren Job als einengend, und 45 Prozent nennen ihr Einkommen als Hauptmotivation, um zu arbeiten. Im Jahr 1993 sagte das nur ein Drittel der Befragten. Eine Zweidrittelmehrheit spricht sich gegen die Rentenreform aus, obwohl es sich um eines der zentralen Wahlkampfversprechen Macrons handelte. Dieser argumentiert, dass den Alterssicherungssystemen ein Milliardendefizit drohe. Doch mehrere, meist links stehende Wirtschaftswissenschaftler wie der Star-Ökonom Thomas Piketty beschwichtigen, das Loch sei nicht bedrohlich groß, und so hat sich die Meinung verbreitet, eine Änderung sei nicht notwendig. „Ich werde es nicht zulassen, dass man den Franzosen glauben macht, dass wir ohne Reform unser System nicht in Gefahr bringen“, sagte hingegen Regierungschefin Borne.
So wird sie am frühen Dienstagabend eine schrittweise Anhebung der Altersgrenze von derzeit 62 auf 64 Jahre bis 2032 vorschlagen. Die bereits laufende allmähliche Erhöhung der Einzahldauer auf 43 Jahre für eine abschlagsfreie Pension soll zugleich beschleunigt werden. Vorgesehen sind Sonderregeln für besonders beschwerliche Arbeit sowie eine Mindestrente von 1200 Euro pro Monat. Das ist eine Forderung der konservativen Republikaner, welche zwar seit Jahren genau eine solche Rentenreform vorschlagen, nun aber Bedingungen an ihre Zustimmung knüpfen.
Zustimmung der Republikaner zur Rentenreform in Frankreich ist wahrscheinlich
Der neue Parteichef Éric Ciotti signalisierte zuletzt Kooperationsbereitschaft, sodass die Reform mit den Stimmen der Republikaner in der Nationalversammlung beschlossen werden könnte. Da Macrons Partei Renaissance dort über keine absolute Mehrheit verfügt, braucht sie weitere Verbündete; als letzte Waffe bliebe sonst nur ein Sonderparagraf, um das Gesetz am Parlament vorbei zu beschließen. Die linken Parteien sowie der rechtsextreme Rassemblement National haben schon ihren Widerstand angekündigt.
Das gilt auch für die Gewerkschaften, die sich nun zum ersten Mal seit zwölf Jahren, als unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy das Rentenalter von 60 auf 62 Jahre stieg, im Protest vereinigen und noch im Januar erste Demonstrationen organisieren wollen. Das Jahr 2023 könnte in Frankreich statt mit mehr Arbeit mit Blockaden und Protesten beginnen.