Emmanuel Macron versuchte zu beschwichtigen, doch da waren die Sorgen um einen Blackout und die Furcht vor Stromabschaltungen längst in der Welt und auf den Titelseiten der Zeitungen. „Keine Panik, das bringt nichts“, sagte der französische Präsident in einem TV-Interview. „Stoppt die Angstszenarien“, wiederholte er: „Wir sind ein großes Land, wir haben ein großes Energiemodell, wir werden diesen Winter durchstehen.“
Die von ihm angesprochene Panik vor Elektrizitätsengpässen in Frankreich war allerdings von Macrons eigener Regierung mit angefacht worden. Bildungsminister Pap Ndaye erklärte es für möglich, dass der Vormittagsunterricht in Schulen in manchen Gebieten ausfalle. Drohe ein Abschalten, dürften Züge oder S-Bahnen nicht losfahren, um nicht auf offener Strecke stehenzubleiben, sagte Transportminister Clément Beaune. Und um zu beweisen, dass man auf den Extremfall vorbereitet sei, machte Premierministerin Élisabeth Borne einen Runderlass an die Präfekten der Départements öffentlich, die Notfallpläne erstellen müssen.
60 Prozent der Menschen in Frankreich könnten ohne Strom dastehen
Demnach könnte mancherorts mit vorheriger Warnung die Elektrizität bis zu zwei Stunden lang abgestellt werden. An diesem Freitag führen der Übertragungsnetzbetreiber Réseau de Transport d'Électricité (RTE) und der Verteilungsnetzbetreiber Enedis eine landesweite Simulation durch. Es geht unter anderem darum, sicherzustellen, dass im Ernstfall Notrufnummern erreichbar bleiben und es Lösungen gibt für Menschen, die Beatmungsgeräte zu Hause haben. Die Bevölkerung muss informiert werden, falls Ampeln und Straßenlaternen, Mobilfunk- und Festnetze ausfallen.
Ein großer Teil der Industrie-Unternehmen und bis zu 60 Prozent der Menschen in Frankreich könnten sich zeitweise ohne Strom wiederfinden. Krankenhäuser, Labore, Pflegeheime oder sicherheitsrelevante Einrichtungen wie Polizeistationen und Feuerwehren bleiben hingegen am Netz. Ländliche Regionen dürften stärker von Abschaltungen betroffen sein als Metropolen, wo mehr kritische Infrastruktur versorgt werden muss. Zuletzt wurde eine spezielle App, die die Auslastung des nationalen Stromnetzes anzeigt und vor kritischen Situationen warnt, tausendfach heruntergeladen.
Für Macron und die Regierung ist das Thema auch deshalb heikel, weil die Energie-Knappheit des Landes nur bedingt aus dem Krieg in der Ukraine und dem Ausfall bisheriger russischer Gas-Lieferungen resultiert. Vielmehr laufen weiterhin 20 der 56 französischen Reaktoren nicht – im Sommer fielen mehr als 30 aus. Teilweise finden dort planmäßige Wartungsarbeiten statt, um Laufzeitverlängerungen zu ermöglichen und den Sicherheitsstandards zu genügen. Doch in zwölf Reaktoren müssen immer noch Probleme mit Korrosion behoben werden. Dem Betreiber der französischen Atomkraftwerke, EDF, gelingt es voraussichtlich nicht, sein Versprechen einzuhalten, bis Februar wieder alle Reaktoren hochzufahren. Längst muss das Land vermehrt Strom importieren. Infolge von Energiesparplänen für öffentliche Einrichtungen und Unternehmen und entsprechende Appelle an die Bürgerinnen und Bürger konnte der Verbrauch zuletzt um 8,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr reduziert werden. In Frankreich funktioniert ein großer Teil der Heizungen elektrisch.
Frankreich investiert in neue Atomkraftwerke
Während diese Situation Zweifel an der französischen Energie-Strategie aufkommen lässt, will Macron Milliarden in den Bau neuer Reaktoren stecken und die große Bedeutung der vergleichsweise umweltschonenden Kernkraft auch in den nächsten Jahrzehnten erhalten. Diese Strategie ist auch in der Opposition kaum umstritten: Die Kernenergie gehört unverbrüchlich zum französischen Selbstverständnis.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sieht unterdessen die Stromversorgung in Deutschland in diesem Winter als gesichert an. Es seien keine Blackout-Szenarien wegen einer Unterversorgung der Kapazitäten zu befürchten, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag in Johannesburg nach einem Besuch des südafrikanischen staatlichen Energieversorgers Eskom. Es seien alle Kapazitäten am Netz.
Deutschland sei sogar in der Lage, Frankreich mit Strom auszuhelfen. "Die Verfügbarkeit von Energie für die elektrische Stromerzeugung ist für diesen Winter gesichert", sagte Habeck. Cyberangriffe seien in Szenarien aber nicht einbegriffen. "Das müssen wir mit all dem, was wir aufbringen können, versuchen zu verhindern."