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Frankreich: Bahnstreik zu Weihnachten macht Franzosen wütend

Frankreich

Bahnstreik zu Weihnachten macht Franzosen wütend

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    Vielen Reisenden wird auch das Rennen am Bahnsteig nichts nutzen: Weil die Zugbegleiter über Weihnachten streiken, fallen viele Verbindungen aus.
    Vielen Reisenden wird auch das Rennen am Bahnsteig nichts nutzen: Weil die Zugbegleiter über Weihnachten streiken, fallen viele Verbindungen aus. Foto: Michel Euler, dpa

    Die Hilferufe und Wutausbrüche französischer Nutzer in den sozialen Netzwerken häufen sich. „Kennt ihr jemanden, der in der Nähe des Bahnhofs von Mulhouse wohnt und meine Katze und mich am Freitagabend für ein paar Stunden im Warmen beherbergen würde?“, fragt eine Frau. Ihr gebuchter Anschlusszug falle aus, jetzt müsse sie einen späteren nehmen, aber fürchte sich davor, mit ihrem Tier stundenlang in einer kalten Halle zu warten. Ein älterer Mann aus Südfrankreich klagt, dass er zum dritten Mal in Folge Weihnachten ohne seine Pariser Enkel verbringen werde – die letzten beiden Jahre wegen der Corona-Pandemie, jetzt aufgrund eines Streiks bei der französischen Bahn SNCF. Hunderte schreiben E-Mails über Zugausfälle. „Merci, liebe Bahn, und wie komme ich jetzt am Montag in die Arbeit ins Pariser Krankenhaus Pompidou?“, fragt ein Arzt. 

    Viele sind fassungslos darüber, dass eine große Zahl der französischen Zugbegleiter ausgerechnet vom 23. bis 26. Dezember die Arbeit niederlegt. Dadurch fallen am Weihnachtswochenende zwei von fünf TGV-Schnellzügen aus - und rund 200.000 von üblicherweise etwa 800.000 Passagieren können nicht wie geplant ihre Reise antreten. Ihnen erstattet die SNCF die Tickets komplett und gibt zusätzlich Gutscheine in Höhe des Kaufpreises aus. Für die meisten ein schwacher Trost. 

    Wieder einmal wird bei der Bahn in Frankreich gestreikt.
    Wieder einmal wird bei der Bahn in Frankreich gestreikt. Foto: Michel Euler, dpa

    Bahnstreik: Macron reagiert wütend

    Was war passiert? Die streikenden Zugbegleiter hatten das Angebot der Unternehmensleitung als unzureichend abgelehnt, das ihnen zusätzlich zu einer Erhöhung von 5,7 Prozent 2022 weitere 5,9 Prozent für 2023 garantiert hätte, Prämien eingerechnet. Neu und ungewöhnlich an der Streikbewegung ist, dass sie nicht von den Gewerkschaften ausgeht, sondern von einer informellen Gruppe. Damit der Streik im legalen Rahmen bleibt, kündigten zwei Gewerkschaften diesen nur an, ohne zur Teilnahme aufzurufen. „Alles begann im Frühling mit einer Gruppen-Unterhaltung auf WhatsApp unter Zugbegleitern in Marseille“, sagte Olivier, einer der Initiatoren, in französischen Medien. Daraus sei eine nationale Facebook-Gruppe entstanden, die inzwischen mehr als 3500 Mitglieder zählt und damit rund ein Drittel der SNCF-Zugbegleiter. Da die Gewerkschaften ihre Interessen nicht ausreichend verteidigt hätten, kämpften sie nun für sich selbst, so Olivier. SNCF-Chef Jean-Pierre Farandou sagte, er verstehe diesen „untypischen“ Streik nicht: „So etwas hat es noch nie gegeben.“

    In der Regierung wecken diese Vorgänge böse Erinnerungen an die Protestbewegung der „Gelbwesten“, die im Herbst 2018 ebenfalls unabhängig von traditionellen Arbeitnehmervertretern und allein über soziale Netzwerke entstanden war. Über Monate hinweg erschien sie unkontrollierbar, auch weil die Forderungen sehr vielfältig, ja diffus erschienen. Beim Ministerrat am Mittwoch zeigte sich Präsident Emmanuel Macron seinem Umfeld zufolge wütend. Er habe das „völlige Fehlen von Empathie, Solidarität und Brüderlichkeit“ der Zugbegleiter beklagt. Auch die zuständigen Minister appellierten an das Gewissen der Streikenden. „Angesichts der Feiertage sollten sie Verantwortungsbewusstsein zeigen“, sagte Verkehrsminister Clément Beaune. Die Ausfälle werde das ohnehin verschuldete Staatsunternehmen mehrere hundert Millionen Euro kosten.

    Immerhin: Entwarnung für Silvester in Frankreich

    Gleichwohl sagte der Politikwissenschaftler Yves Crozet in der ZeitungLe Figaro, es gebe immer Menschen, die Verständnis für einen Bahnstreik haben – das sei kulturell: „Würden sie Petitionen dagegen machen, keiner würde unterschreiben“, mutmaßte er. Am Freitag wurde bekannt, dass – anders als ursprünglich angedroht – am Silvester-Neujahr-Wochenende nicht gestreikt wird. Zuvor hatte die SNCF unter anderem zusätzliche Einstellungen und eine höhere Prämienzahlung versprochen. Für die Reisenden an Weihnachten kam das Einlenken der Zugbegleiter allerdings zu spät. 

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