Wenn Befinden und Zahl der deutschen Startups die Innovationsfähigkeit des Landes spiegeln, dann gibt es gerade Anlass zur Sorge. Denn die steigenden Zinsen treffen die kleinen, oft aus studentischen Initiativen entstandenen und hoch innovativen Unternehmen dort, wo es ihnen am meisten weh tut: bei der Finanzierung. Achim Berg, Präsident des Digital-Verbandes Bitkom, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Es wird deutlich schwieriger für Neugründungen, aber auch bestehende Startups, das notwendige Kapital einzusammeln – und zwar aus verschiedenen Gründen."
Startups sind wachstumsgetrieben. Sie brauchen vereinfacht gesagt oft einen Vorschuss, damit aus einer Idee ein Produkt wird, das sich gut verkauft. Man nennt das Wagniskapital. Es kommt von (Familien-)Unternehmen, aus Stiftungen oder aus Fonds. Das Problem ist laut Berg: Erstens steigen durch die Zinsentwicklung die Renditen anderer Anlageformen wie etwa Staatsanleihen, die damit für Anleger bei deutlich geringerem Risiko gegenüber einer Investition in Wagniskapital-Fonds wieder interessanter werden. Zweitens wollen Geldgeber von Startups, so Berg weiter, zunehmend "schnelle und nachhaltige Profitabilität", um Renditen oberhalb der Inflationsrate zu erzielen. Die Folge: "Der Druck auf Startups wächst, rasch Gewinne zu erzielen, und das sorgt kurzfristig für einen Sparzwang." Drittens würden durch die steigenden Zinsen auch einfache Kredite – jenseits des Wagniskapitals – für die jungen Unternehmen deutlich teurer.
Jedes dritte Startup denkt darüber nach, Deutschland zu verlassen
Die Bundesregierung hat im Sommer 2022 eine umfassende Startup-Strategie aufgesetzt. Zentral sind darin mit viel Geld ausgestattete Instrumente zur Finanzierung - unter anderem ein mit zehn Milliarden Euro versehener Zukunftsfonds. Zudem will die Ampel Mitarbeiterkapitalbeteiligungen attraktiver machen. Alles gute Maßnahmen, sagt Berg. Dennoch mahnt er: "Es besteht definitiv Handlungsbedarf, um das in den vergangenen Jahren mühevoll aufgebaute Startup-Ökosystem in Deutschland zu sichern". Es müsse auch unter schwieriger gewordenen Rahmenbedingungen unbedingt gelingen, verstärkt Kapital zu mobilisieren. Denn: Eine Bitkom-Befragung hat vergangenes Jahr ergeben, dass jedes dritte Startup darüber nachdenkt, aus Deutschland wegzugehen. Weil es so schwierig ist, an Wagniskapital zu kommen.
Christian Miele, Vorstandsvorsitzender des Startup-Verbands, beklagt zudem, dass Deutschland einen "deutlichen Rückstand" gegenüber internationalen Top-Standorten wie den USA oder Großbritannien hat. Jüngsten Erhebungen der Branche zufolge sank 2022 die Zahl der Gründungen gegenüber dem Vorjahr in Deutschland um 18 Prozent – von 3.196 (2021) auf 2.618. Startups sind aber nicht nur für das Wirtschaftswachstum von morgen wichtig. Im internationalen Wettbewerb um kluge Köpfe und Fachkräfte hilft eine dynamische Gründerszene sehr.
DIW-Ökonom Marcel Fratzscher wünscht sich anderes Unternehmertum
Hier gibt es ein weiteres Problem, wie Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), im Gespräch mit unserer Redaktion beklagt. Der Ökonom bescheinigt dem Standort eine "katastrophale Unternehmer- und Unternehmerinnenkultur". Fratzscher sagt: "Sich selbstständig zu machen, ein Risiko einzugehen, zu scheitern, wird in Deutschland nach wie vor sehr negativ gesehen und auch so behandelt."