Die Aussichten für die europäische Wirtschaft für das nächste Jahre trüben sich angesichts der Folgen des Ukraine-Kriegs weiter ein. Am Freitag korrigierte die EU-Kommission ihre Vorhersage für das Wirtschaftswachstum 2023 deutlich nach unten auf 0,3 Prozent in der EU und im Euroraum. Im Sommer war sie noch von einem Wachstum von 1,5 Prozent in der EU und 1,4 Prozent in den Euro-Ländern ausgegangen. Dieses Jahr soll das Wachstum zwar stärker als erwartet ausfallen, doch über den Winter soll die europäische Wirtschaft zwischenzeitlich in eine Rezession rutschen, wie die Kommission mitteilte.
In Deutschland wird für das komplette nächste Jahr mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gerechnet. Für dieses Jahr gehen die Analysten von einem Wachstum von 1,6 Prozent aus, nächstes Jahr soll Deutschland jedoch mit einem Minus von 0,6 Prozent in die Rezession rutschen. Das ist pessimistischer als die Prognose der Bundesregierung, dass das BIP um 0,4 Prozent schrumpfen wird. Der Kommission zufolge ist Deutschland zudem nur eins von drei Ländern, in denen es eine längere Rezession geben soll - neben Schweden und Lettland.
Wendepunkt für die EU
EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sprach angesichts der Unsicherheit wegen des Kriegs, der hohen Inflation und der Energiekrise von einem "Wendepunkt für die EU-Wirtschaft". "Die wirtschaftliche Lage hat sich deutlich verschlechtert, und wir steuern auf zwei Quartale des Abschwungs zu", sagte er. Ab Frühling sollte die Wirtschaft sich langsam wieder erholen.
Dieses Jahr besser als erwartet
Die Lage sieht in diesem Jahr hingegen besser aus als erwartet. Die EU-Kommission sagt voraus, dass das Bruttoinlandsprodukt der EU um 3,3 Prozent wachsen wird, statt um die im Sommer vorhergesagten 2,7 Prozent für 2022. Für den Euro-Raum prognostiziert die Behörde 3,2 Prozent Wachstum statt 2,6 Prozent. Das liege am starken Aufschwung in der ersten Hälfte dieses Jahres.
Gleichzeitig sei der Arbeitsmarkt so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr mit besonders niedriger Arbeitslosigkeit und einem Beschäftigungszuwachs von 1,8 Prozent. Auch im kommenden Jahr soll der Arbeitsmarkt widerstandsfähig bleiben.
Inflation erreicht neuen Rekord
Die Inflation wird der Prognose zufolge einen neuen Höchstpunkt im Jahresdurchschnitt erreichen. In diesem Jahr gehen die Analysten von 8,5 Prozent im Euroraum und 9,3 Prozent in der gesamten EU aus. Im Sommer sprachen sie noch von einer Preissteigerung von 7,6 Prozent für die Euro-Länder und 8,3 Prozent für die EU. Auch im kommenden Jahr dürften die Preise weiter steigen, es wird eine Inflation von 6,1 Prozent in der Eurozone sowie 7,0 Prozent in der ganzen EU prognostiziert. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt grundsätzlich eine Inflationsrate von 2 Prozent an.
Energieausgaben vergrößern Haushaltslücken
Die Ausgaben zur Entlastung von Verbrauchern angesichts der hohen Energiepreise reißen größere Löcher in die Haushalte der EU-Staaten. So soll sich das Defizit in der EU von 3,4 Prozent in diesem Jahr auf 3,6 Prozent im nächsten erhöhen. Die EU-Haushaltsregeln schreiben grundsätzlich ein Defizit von höchstens 3 Prozent vor. Gentiloni sagte, dass die Maßnahmen der EU-Länder gegen die hohen Energiepreise 1,2 Prozent des BIPs in diesem Jahr ausmachen würden. Wenn sie im nächsten Jahr so weitergeführt würden, könnten sie fast 2 Prozent der Wirtschaftsleistung in der EU ausmachen.
Gleichzeitig sinkt die durchschnittliche Schuldenquote der EU - auch wegen der hohen Inflation - da die Schulden vor dem Preisanstieg aufgenommen wurden. Im vergangenen Jahr lag sie bei 89,4 Prozent des BIPs und soll 2024 auf 84,1 Prozent sinken. Der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt schreibt Schulden von maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung vor, die Regeln wurden wegen der Corona-Krise jedoch bis 2024 ausgesetzt.
Bessere Aussichten 2024
Für 2024 hellt sich die Prognose auf. Dann soll die Wirtschaft in der EU um 1,6 Prozent wachsen, in den Euro-Ländern um 1,5 Prozent. Die Inflation soll auf 2,6 Prozent im Euroraum und 3,0 Prozent in der ganzen EU sinken. Gentiloni warnte jedoch, dass diese Vorhersagen daran geknüpft seien, dass die EU eine Gasmangellage im nächsten Winter etwa durch Energiesparen vermeiden könne und die Kriegssituation sich nicht verschlechtere.
(dpa)