Olaf Scholz preschte schon mal vor. Noch bevor sich der Bundesfinanzminister mit seinen 26 EU-Amtskollegen virtuell trifft, kündigte er ein Steueroasen-Abwehrgesetz an. Am Dienstag steht im EU-Kreis ein Update jener „Schwarzen Liste“ von Ländern auf der Tagesordnung, die mit einem Körperschaftssteuersatz von null Prozent (oder geringfügig darüber) ausländische Anleger anlocken. Erst vor einer Woche hatte es neue Enthüllungen (OpenLux) über Praktiken von Unternehmen gegeben, die ihre Gewinne nach Luxemburg und vor dort aus direkt weiter in eine der Steueroasen transferieren. Der Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Reform des internationalen Steuersystems (ICRICT), Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, forderte die Europäische Union denn auch auf, mehr gegen Steuerminimierung und Steuerhinterziehung zu tun.
Ob der Appell gleich fruchtet, erscheint aber fraglich. Denn abgesehen davon, dass die EU-Liste nicht einmal die eigenen Steuerparadiese beinhaltet, fehlen auch große Staaten außerhalb der Gemeinschaft. So wird seit über vier Jahren darüber debattiert, ob die Türkei als potenzielle Steueroase an den Pranger gestellt wird. Bisher scheitert ein Beschluss an der Pflicht zur Einstimmigkeit. Scholz erklärte deshalb am Montag, er befürworte Mehrheitsentscheidungen, „um voranzukommen“ – auch in Sachen Türkei, die bisher zwei Ultimaten für den Einstieg in den Finanzdatenaustausch verstreichen ließ.
Brüssel verlangt von der Türkei mehr Transparenz in Sachen Steuern
„Die EU hat recht“, sagte der Grünen-Finanzexperte und EU-Abgeordnete Sven Giegold. Andererseits sei die Türkei kein großer Finanzplatz. Giegold: „Wer legt schon sein Geld in der Türkei an?“ Er vermutet, dass die Union eher den politischen Druck auf das Land am Bosporus erhöhen wolle. Das ist laut Finanzexperten aber nur die halbe Wahrheit. Zum einen geht es der EU um ein Signal gegen Intransparenz, Vetternwirtschaft und Korruption sowie ein Steuersystem, das bestimmte Personen und Konzerne unfair bevorzugt.
Zum anderen haben die Mitgliedstaaten ein großes Interesse daran, dass sich Ankara am internationalen Austausch der Finanzdaten beteiligt. Würden diese offengelegt, kämen auch die Verbindungen der Bürger mit türkischer Abstammung ins Visier, von denen noch viele Konten in die Heimat unterhalten. Dabei könnten auch Kapitaleinkünfte an den Finanzämtern der EU-Staaten vorbeigeschleust worden sein, wird spekuliert.
Steuern: Die Türkei könnte eine Schonfrist bekommen
In Brüssel hat man dagegen offenbar wenig Lust, mitten in der Corona-Krise einen neuen Streit mit Präsident Recep Tayyip Erdogan vom Zaun zu brechen. Nach einer ersten Abstimmung der Mitgliedstaaten sieht es so aus, als ob man Ankara eine weitere Schonfrist gewähren wird. Ein weiteres Problemland sind die Vereinigten Staaten. Die fordern mehr Daten von den im Land tätigen Unternehmen mit Muttergesellschaften in der übrigen Welt, wollen aber gleichzeitig nur wenige Angaben vor allem über eigene Konzerne rausgeben. Die Union scheint auch da abwarten zu wollen, wie sich die neue Administration von Präsident Joe Biden positioniert.
Ein weiteres Instrument könnte in der kommenden Woche eine wichtige Hürde überspringen. Dann werden die für den Wettbewerb zuständigen Minister über die Länder-Reports entscheiden, welche die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Sollten diese gegen viel Widerstand doch irgendwann kommen, müssten Unternehmen für jeden Mitgliedstaat einzeln eine Erklärung über Gewinne und gezahlte Steuern abgeben. Das lehnt die Wirtschaft strikt ab.
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