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Fernseherhersteller: 100 Jahre Loewe: Das verrückte Auf und Ab eines urdeutschen Unternehmens

Abenteuer Fernsehen: So war das in früheren Zeiten.
Fernseherhersteller

100 Jahre Loewe: Das verrückte Auf und Ab eines urdeutschen Unternehmens

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    Als vor 100 Jahren das Radio in Deutschland auf Sendung geht, wollen zwei Brüder aus gutem Hause dabei sein: Siegmund und David Loewe. Der eine Physiker und Erfinder, der andere Mathematiker und Kaufmann.Ihre Firma gibt es da ein dreiviertel Jahr. Ihr Name: Radiofrequenz GmbH. Sitz: eine kleine Werkstatt im Süden Berlins. Gebaut werden Elektronenröhren und Lautsprecher. 

    Die Brüder Loewe haben sich in Amerika die zuvor aufgeblühte Radio-Industrie angeschaut und wollen deren Erfolg in Deutschland wiederholen. Radio ist das Neue, der letzte Schrei, eine ungekannte Möglichkeit, so wie es heute die künstliche Intelligenz ist. „Dann wird es möglich sein, Hunderttausende, die gemütlich zu Hause sitzen und den Knopf Gesang gedrückt haben, gleichzeitig zuhören zu lassen. Das ganze Vergnügen braucht nicht mehr als ein Cent pro Tag zu kosten“, schreibt Siegmund Löwe in diesen Jahren in einem Brief.

    Der heutige Firmensitz von Loewe ist das fränkische Kronach

    Er holt einen jungen Tüftler in die Firma, der ohne Abitur das Gymnasium verlassen hatte. Im Laufe seines Lebens sollte Manfred von Ardenne einer der erfolgreichsten Erfinder Deutschlands werden, der 600 Patente anmeldet. 30 Jahre nach seinen Anfängen in der kleinen Garagenfirma wird er – nach steiler Karriere unter den Nazis – Staatswissenschaftler der DDR, der das größte private Forschungsinstitut des Ostblocks führt. Neben Karl Eduard von Schnitzler („Schwarzer Kanal“) ist Ardenne der Einzige, der im Arbeiter- und Bauernstaat prominent sein „von“ im Namen trägt. 

    Seine Karriere bei der Radiofrequenz beginnt mit einem Durchbruch. Gemeinsam mit Siegmund Loewe entwickelt er das erste Radio der Firma, den Ortsempfänger OE 333. Das Neue daran sind die drei verschalteten Röhren. Die Berliner haben in ihrem Gerät einen der ersten integrierten Schaltkreise entwickelt, die heute millionenfach winziger auf allen Computerchips zu finden sind. Der OE 333 kostet 40 Reichsmark und ist damit auch für die Arbeiter erschwinglich. Das Radio wird zum Massenmedium, das Musik, Nachrichten, Erbauung und Unterhaltung in die Wohnungen trägt.

    Thomas Putz ist Elektrotechniker und steht in der Reihe der Loewe-Chefs, die die Firma führen.
    Thomas Putz ist Elektrotechniker und steht in der Reihe der Loewe-Chefs, die die Firma führen. Foto: Loewe

    100 Jahre später und 350 Kilometer weiter südlich sitzt Thomas Putz im Loewe-Showroom am heutigen Firmensitz im fränkischen Kronach. Der erste Schnee hat die buckligen Hügel weiß gezuckert. Putz ist Elektrotechniker und steht in der Reihe der Loewe-Chefs, die die Firma führen. Um Putz herum sind edle Flachbildfernseher in Tiefschwarz aufgebaut, die meilenweit entfernt sind von den 40-Reichsmark-Geräten aus den Pionierjahren. Dass Loewe das große Jubiläum erlebt, hat mit Putz, seinem Partner Christian Alber und einem russischen Investor zu tun. Denn nach 96 Jahren war eigentlich Schluss. Loewe hatte 2019 die zweite Insolvenz binnen zehn Jahren hingelegt. 

    Von der Belegschaft sind damals nur noch Putz, Alber und der Insolvenzverwalter übrig. Die Leute sind weg, die Hallen leer, Sendeschluss. In Kronach erwarten alle, dass die Lichter ausgehen – und nur der stolze Name weiterlebt, weil er als Marke auf Fernseher und Radios gepappt wird, die irgendwo in der Welt zusammengeschraubt werden. So wie es Grundig ergangen ist, Telefunken oder AEG. Die einstigen Weltmarktführer sind von der asiatischen Konkurrenz erdrückt worden. „Schlechter hätte der Zeitpunkt für einen Neustart nicht sein können. Wir standen kurz vor Abwicklungsende“, sagt Putz. 

    Kurz vor dem endgültigen Aus meldet sich bei Loewe ein russischer Geschäftsmann

    Doch kurz vor Ultimo meldet sich ein russischer Geschäftsmann mit Schweizer Pass per WhatsApp-Nachricht in Kronach, zwei Tage später sitzen Putz und Alber im Auto und fahren nach Bratislava. Dort hat Aslan Khabliev eine Fernseherfabrik. „Es war schnell klar, dass er mehr wollte als die Markenrechte“, erzählt Putz. Khabliev und sein Vater haben ihr Geld mit CD- und DVD-Werken gemacht, besaßen die genannte Fernseherfabrik in der Slowakei und eine weitere in Polen. Seit Mitte der 90er Jahre sind sie in der Schweiz ansässig. Für den japanischen Elektronikkonzern Sharp besaßen die Unternehmer die exklusiven Vertriebsrechte in Europa. 

    Khabliev macht Ernst und investiert zunächst 30 Millionen Euro. Schon im März 2020 läuft die Produktion mit 35 Mitarbeitern wieder an. Teilweise haben diese inzwischen bei anderen Firmen unterschrieben, kehren aber wieder zu Loewe zurück. „Ich bin lange genug mit großem Erfolg in diesem Geschäft und kenne es von allen Seiten her“, sagt der Retter wenige Monate nach seinem Einstieg in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung

    Heute arbeiten für ihn wieder 200 Leute, mittlerweile hat er nach Firmenangaben 50 Millionen Euro in Loewe investiert. Khabliev ist Eigentümer und Chef, einmal im Monat reist er aus der Schweiz nach Franken. Um das Tagesgeschäft kümmert sich Alber, Putz um die Technik. 

    Dass Loewe dem Untergang so nahe war, hat mit einer Entwicklung zu tun, die das Unternehmen Mitte der 90er Jahre verschläft. Der Flachbildschirm ist das, was für die Handys das Display zum Wischen ist oder der Elektroantrieb für Autos. Loewe war zu spät, nicht viel, aber doch entscheidend. Röhren sind bis dahin das Geschäft, das das Unternehmen seit den Tagen von Manfred von Ardenne beherrscht. 1931 hatte Loewe den ersten Fernseher der Welt vorgestellt, einen langen Holzkasten mit winzigem Bildschirm. Die New York Times berichtet damals auf dem Titel über die Sensation aus Germany. Das Fernsehen macht Loewe groß, allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg. 

    In den Jahren der Nazi-Diktatur produziert Loewe den Volksempfänger

    Als 1933 Adolf Hitler die Macht ergreift, ist das auch für das Unternehmen ein tiefer Einschnitt. Die Loewes sind eine christlich-jüdische Familie, der Vater Jude, die Mutter evangelisch. Sofort geraten sie als „Mischlinge ersten Grades“, so die Nazi-Diktion, in den Fokus des Regimes. David Loewe flieht 1933 nach Amerika, sein Bruder Siegmund kann sich noch einige Jahre halten, doch der Druck wird immer größer. Die deutsche Wirtschaft soll „judenfrei“ sein, Betriebe werden „arisiert“. 1938 verlässt Siegmund Loewe Deutschland und folgt seinem Bruder nach Amerika, wo beide eine Freundschaft mit Albert Einstein pflegen. Ein Foto in Schwarz-Weiß zeigt sie zusammen in Florida. Auch der bahnbrechende Denker hatte keinen Platz mehr im Nazi-Staat. 

    In den Jahren der Diktatur produziert auch Loewe den Volksempfänger, über den Goebbels den Hass gegen Juden – und damit gegen die Firmengründer – in die Wohnzimmer und Küchen schreit. Während des Krieges baut das Unternehmen Funktechnik für die Luftwaffe. Der Feuersturm der alliierten Bombardements trifft das Werk schwer. Kurz vor der Schlacht um Berlin wird die Fabrik im März 1945 in den Ort Küps vor den Toren Kronachs evakuiert. Maschinen, Ingenieure und Techniker samt Familien werden in Züge gesetzt und nach Süden gefahren. In einer alten Porzellanfabrik soll die kriegswichtige Produktion weiterlaufen. Doch dazu kommt es nicht mehr, die Wehrmacht kapituliert am 8. Mai. 

    Wow, ein tragbarer Fernseher: Heute lächelt man darüber, einst war das eine Revolution.
    Wow, ein tragbarer Fernseher: Heute lächelt man darüber, einst war das eine Revolution. Foto: Loewe

    Deutschland liegt in Schutt und Asche, es dauert jedoch nur Monate, und bei Loewe wird wieder gearbeitet. Die Firma hält sich in Küps mit der Reparatur von Elektrogeräten und Landwirtschaftstechnik über Wasser, im Berliner Werk werden Luftpumpen hergestellt und Küchenkellen. Im Jahr nach der Niederlage baut das Unternehmen wieder die ersten Radios, in der fränkischen Fabrik liegt der Ausstoß bei zwei Geräten am Tag. 1948 erfolgt der Umzug von Küps nach Kronach in neu errichtete Hallen. Siegmund Loewe wird entschädigt und erhält ein Jahr später sein Unternehmen zurück. Er und seine Frau leben fortan bis zu seinem Tod Anfang der 60er Jahre je ein halbes Jahr in den USA und ein halbes Jahr in Berlin. 

    Das Wirtschaftswunder hebt Loewe auf eine nicht gekannte Stufe. Produziert wird in den Fabriken in Westberlin, Kronach und Düsseldorf. Der Gewinn verneunfacht sich in jenen Jahren. Am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1952 startet in Westdeutschland ein tägliches Fernsehprogramm. Mit dem Modell Iris liefert Loewe das Modell zu diesem nie gekannten ökonomischen Aufschwung, als die Deutschen schaffen, essen, konsumieren und vergessen wollen. Von den bald 5000 Mitarbeitern arbeiten knapp 3000 in Kronach, 1500 in Berlin und 500 in

    2024 will Loewe etwas wagen, was in Deutschland als eigentlich unmöglich gilt

    Über die Jahrzehnte reihen sich im Laufe der Aufs und Abs in der Wirtschaft gute Jahre an schlechtere. Loewe kann sich behaupten und bleibt innovativ. Das Unternehmen entwickelt das erste Tonbandkassettengerät, natürlich Farbfernseher, den ersten tragbaren Fernseher und 1997 sogar das erste TV-Gerät mit Internetzugang. 1998 folgt der erste Flachbildfernseher für über 20.000 Mark. Zu teuer und zu spät. Von da an beginnt der langsame Abstieg, der 2019 beinahe das Aus bedeutet.

    „Khabliev war der unerwartete Retter. Damit hat wirklich keiner mehr gerechnet“, sagt Kronachs Bürgermeisterin Angela Hofmann (CSU). Sie selbst war 25 Jahre bei Loewe, arbeitete als Entwicklungsingenieurin. Wenn sie zu den hochbetagten Senioren zum runden Geburtstag geht und gratuliert, dann stehen sie noch in den Wohnzimmern, die Geräte der Firma, die den wirtschaftlichen Aufstieg der kleinen Stadt nach dem Kriege maßgeblich ausgelöst haben. „Es gibt eine unheimliche Verbundenheit mit der Firma. Man fing dort an und blieb bis zur Rente“, erzählt Hofmann in ihrem Büro. 

    Auch die jetzigen Chefs Putz und Alber sind schon mehr als 20 Jahre dabei. 2024 wollen sie wagen, was in Deutschland als eigentlich unmöglich gilt. Die Displays für die Flachbildschirme sollen in Deutschland gebaut und nicht mehr aus Asien bezogen werden, die Produktion auf zwei neuen Linien laufen. „Made in Germany“, Qualität und Luxus sollen als Argumente den Preis schlagen. Ob die Wette aufgeht, muss sich zeigen. In diesem Jahr haben die Kronacher die gedrückte Kauflaune zu spüren bekommen, wenn auch nicht so stark wie die Konkurrenz. „Wir sind frohen Mutes“, sagt der Pförtner, der die Schranke am Werkstor hoch- und runterlässt. Auch er ist beinahe ein Vierteljahrhundert dabei.

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