Alexander Mair, 15, blauer Pulli, lässige Kapuze, klappt den Gesichtsschutz herunter, greift zum Schweißgerät und zieht eine Schweißnaht – am Simulator wohlgemerkt. Die Arbeit lässt sich an einem Bildschirm beobachten, das Gerät gibt gleich eine Rückmeldung, ob die Naht präzise ist und die Schweißgeschwindigkeit passt. Zusammen mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern der 9. Klasse vom Justus-von-Liebig-Gymnasium Neusäß ist er heute zu Besuch im Berufsbildungs- und Technologiezentrum der Handwerkskammer in Augsburg. Es geht darum, Berufe kennenzulernen, mit denen Gymnasiasten bisher selten in Kontakt kamen. Teilweise ist es ein Experiment: Der Tag des Handwerks findet zum ersten Mal statt.
Lange haben Handwerksvertreter darum gekämpft, ihre Berufe an den Schulen vorstellen zu können. Im vergangenen Jahr gab die Staatsregierung dem Drängen nach und beschloss, dass ab dem Schuljahr 2022/2023 in Bayern ein verpflichtender "Tag des Handwerks" für die allgemeinbildenden Schulen stattfinden soll. Dabei handelt es sich um kein festes Datum, sondern um einen Tag im Mai und Juni, an dem die Schüler in einen Betrieb oder in ein Berufsbildungszentrum gehen.
Feilen, nieten, Blech schneiden: Die Schülerinnen und Schüler dürfen es ausprobieren
Rund eine dreiviertel Stunde haben die Schülerinnen und Schüler des Justus-von-Liebig-Gymnasiums jetzt hier in Augsburg Zeit, um alles über die Ausbildung zur Metallbauerin oder zum Metallbauer zu erfahren. In dem Beruf stellt man Konstruktionen aus Metall her – vom Fußballtor über künstlerische Verzierungen bis hin zu Kühlsystemen für Transporter. Unter der Anleitung von Schweißwerkmeister Alexander Griebsch kann die Gruppe typische Tätigkeiten ausprobieren. Die Schülerinnen und Schüler feilen an Metallblöcken, schneiden Blech, setzen Nieten. Klack, klack. Dafür ist einige Kraft nötig. Dreieinhalb Jahre dauert die Ausbildung zum Metallbauer. Und im Gegensatz zu einem Studium gibt es währenddessen Geld: von 770 Euro im ersten Lehrjahr bis zu 1015 Euro im letzten. Später lernt die Gruppe auch den Maler-Beruf kennen.
Rund 15.000 Schülerinnen und Schüler werden in Schwaben dieses Jahr am Tag des Handwerks teilnehmen. Rund 400 Betriebe nehmen sich dafür Zeit. "Es ist für uns eine große Chance, wenn Jugendliche von der Mittelschule bis zum Gymnasium mit dem Handwerk in Kontakt kommen", sagt Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben.
Rund 1500 bis 2000 offene Lehrstellen in Schwaben
Gerade an den Gymnasien hat das Handwerk als Berufsfeld aus seiner Sicht eine zu geringe Rolle gespielt. "Das Handwerk ist auch für Gymnasiastinnen und Gymnasiasten eine Option, dafür muss man es aber erleben können", sagt Wagner. Er ist überzeugt, dass es Karrierechancen gibt. "Wir suchen künftige Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter, Führungskräfte und Unternehmer", sagt er. Zwar mache eine steigende Zahl Abiturienten eine Ausbildung im Handwerk, das Potenzial sei aber noch groß. "Die große Zahl an Studienabbrechern deutet darauf hin, dass nicht jeder an der Universität richtig ist", erklärt Wagner. Realschülern und Mittelschülern liegt eine Ausbildung im Anschluss bereits heute näher.
Das Handwerk spürt den starken Fachkräftemangel. In Deutschland fehlen rund 250.000 Handwerker, warnt der Deutsche Handwerkskammertag. "In Schwaben gibt es sicher 1500 bis 2000 offene Lehrstellen, die wir sofort besetzen könnten", sagt Wagner. Gleichzeitig ist durch die Energiewende der Bedarf an Handwerksleistungen hoch. Neue Photovoltaik-Anlagen, Ladestationen und Heizungen müssen schließlich installiert werden. Seit Jahren warnen Handwerksvertreter deshalb vor einer zunehmenden Akademisierung. Die Studienanfängerquote habe sich von rund 30 Prozent im Jahr 2000 auf 40 Prozent im Jahr 2010 und schließlich auf rund 50 Prozent im Jahr 2020 erhöht.
Schüler: "Interessante Einblicke, die man hier erhält"
An den Gymnasien herrscht durchaus Offenheit, die Möglichkeiten im Handwerk aufzuzeigen. "Es ist wichtig, dass sich Schülerinnen und Schüler die Frage stellen, was nach dem Abitur kommt", sagt Michael Weh, Koordinator für berufliche Orientierung am Justus-von-Liebig-Gymnasium. In der neunten Jahrgangsstufe sei im Lehrplan ein Modul zur beruflichen Orientierung vorgesehen. Der Tag des Handwerks passt hier gut hinein. Die Schülerinnen und Schüler müssen zudem ein Praktikum machen, das allerdings auch in anderen Berufen stattfinden kann, zum Beispiel in einer Arztpraxis oder einem Rechtsanwaltsbüro.
Und wie kommt der Tag bei den Schülern an? Hannes Bartel, 15, kennt das Handwerk von seinem Großvater. "Der Besuch in der Metallbau-Werkstatt war interessant, weil man viel selbst ausprobieren konnte", sagt er. Nach der Schule strebt er aber einen Beruf an, für den das Abitur die Basis ist.
Alexander Mair, der zuvor die Schweißnaht gezogen hat, ist noch unentschieden, was er nach der Schule arbeiten will. Der Tag des Handwerks gefällt ihm trotzdem: "Es sind interessante Einblicke, die man hier bekommt."