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Interview: Top-Ökonom: Wir können den Wirtschaftskrieg gegen Putin gewinnen

Interview

Top-Ökonom: Wir können den Wirtschaftskrieg gegen Putin gewinnen

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    Der Ökonom Gabriel Felbermayr macht sich Sorgen, dass die Energiekrise zu einer sozialen Spaltung führen könnte.
    Der Ökonom Gabriel Felbermayr macht sich Sorgen, dass die Energiekrise zu einer sozialen Spaltung führen könnte. Foto: Carsten Rehder, dpa

    Herr Felbermayr, der Westen hat Russland mit Sanktionen belegt. Moskau liefert im Gegenzug immer weniger Gas. Ist das ein knallharter Wirtschaftskrieg?

    Gabriel Felbermayr: Das ist ganz klar ein Wirtschaftskrieg. Moskau räumt das im Gegensatz zur EU auch offen ein. Da die Europäische Union wie die USA übereinkamen, in der Ukraine keinen Krieg zu führen, sind die Sanktionen der Ersatz dafür. Auf die westlichen Sanktionen folgten russische Sanktionen. Der Gas-Hahn ist die Waffe Putins. Damit führt er seinen Wirtschaftskrieg.

    Und das macht Putin ziemlich trickreich, in dem er die Gasmenge verknappt und Angst schürt, es könne gar kein Gas mehr fließen.

    Felbermayr: Angst ist Gift für die Konjunktur. Putin nutzt Probleme, die auf dem europäischen Energiemarkt bestehen, aus. Ihm ist klar, dass der Gaspreis auf einem sehr engen Markt gebildet wird. Zwar beschaffen sich die meisten Unternehmen Gas über langfristige Verträge, aber oft wird der Preis in diesen Verträgen auf dem Börsenmarkt determiniert. Und dieser Markt ist sehr eng. Kurzfristige Verknappung oder Lockerung führt zu enormen Preisschwankungen. Das hat Putin verstanden. Man muss den Kreml-Leuten zugutehalten: Die Zusammenhänge haben sie kapiert und nutzen das extrem zu ihrem Vorteil aus.

    Putin und seine Fachleute treiben also in ihrem Wirtschaftskrieg die Gaspreise zulasten von Ländern wie Deutschland bewusst nach oben.

    Felbermayr: Sie treiben nicht nur die Preise nach oben, sondern bewirken durch ihr Handeln auch enorme Ausschläge des Gaspreises. Diese Schwankungen sind jenseits der hohen Gaspreise eine zusätzliche Belastung. Auf stabil hohe Preise kann man sich einstellen. Doch die enormen Schwankungen nähren immer wieder die Hoffnung, die Preise könnten doch sinken, wenn die Gasmenge erhöht wird. Dann folgt jedoch die Enttäuschung. Wir wissen nicht, woran wir mit Putin sind. Genau das ist der Kern seiner wirtschaftskriegerischen Strategie.

    Putin spielt also mit uns.

    Felbermayr: Und das nicht nur mit Gas, sondern auch mit Getreide, Mais oder Sonnenblumenöl aus der Ukraine. Jetzt konnte ein Schiff mit Weizen die Ukraine verlassen. Aber es ist ungewiss, wie es weitergeht. Putin hofft, dass er mit dem Druckmittel Weizen, also mit der Angst vor Hungersnöten und Flüchtlingsbewegungen, erreichen kann, dass Länder im Nahen Osten die EU und die USA unter Druck setzen, die Sanktionen gegen Russland zu lockern. Putin spielt auch hier mit den Mechanismen der Märkte, um die Sanktions-Phalanx gegen sich zu untergraben.

    Es entsteht der Eindruck, dass Putin über wirtschaftliche Kenntnisse verfügt oder zumindest gut beraten ist.

    Felbermayr: Ich weiß zumindest, dass Putins Zentralbank-Chefin Elwira Nabiullina hervorragend ist. Diese Expertin hat immer wieder unbeliebte Entscheidungen getroffen, sodass spekuliert wurde, Putin würde sie rausschmeißen. Diese Frau ist keine Jasagerin. Für Putin sind ihr Sachverstand und ihre Loyalität ein großes Glück. So ist es Nabiullina mit einer unkonventionellen Politik gelungen, den Rubel-Kurs zu verteidigen und hochzuhalten. Die russischen Exporteure müssen ihre Dollar- und Euroeinnahmen in Rubel eintauschen. Das treibt den Rubel-Kurs in die Höhe. Das ist innenpolitisch ein wichtiges Symbol. Man sollte den Erfolg aber nicht überschätzen, weil sich der Rubel nicht mehr auf einem freien Markt bildet.

    Wer liegt denn in dem Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und Russland vorne?

    Felbermayr: Aktuell sprechen die Wirtschaftsdaten eine eindeutige Sprache: So schrumpft Russland dieses Jahr wohl um zehn Prozent, während die Eurozone weiter wächst. Das zweite Quartal dieses Jahres war ein Kriegs-Quartal. Das Wachstum ist im Vergleich zum Vorjahr im Euroraum um 4,0 und im Vergleich zum ersten Quartal dieses Jahres um 0,7 Prozent gestiegen. In Deutschland läuft es zwar nicht so gut, rund herum aber umso besser. Und die Inflationsrate ist in Russland in etwa doppelt so hoch wie in der Euro-Zone – und das trotz der sehr hohen Zinsen in Russland. Ein Blick auf Wirtschaftswachstum und Inflation genügt, um klar festzustellen: Russland leidet unter dem Wirtschaftskrieg deutlich mehr als die Eurozone.

    Das könnte sich drehen.

    Felbermayr: Russland könnte im Winter besser dastehen, wenn Europa zu wenig Gas hat und Gebäude nicht mehr so stark beheizt werden können und Industriebetriebe stillgelegt werden müssen. Dann steckt die Eurozone in einer Rezession. Wenn der Winter vorbei ist, sieht es für den Westen wahrscheinlich besser aus. Dann könnte er in dem Wirtschaftskrieg wieder an Russland vorbeiziehen.

    Russlands Präsident Wladimir Putin will der Welt zeigen, dass die Sanktionen seinem Land nicht schaden. Doch die Sanktionen schaden Russland.
    Russlands Präsident Wladimir Putin will der Welt zeigen, dass die Sanktionen seinem Land nicht schaden. Doch die Sanktionen schaden Russland. Foto: Sergei Savostyanov, dpa

    Ist eine Rezession im Winter unausweichlich, wenn Putin Europa das Gas abstellt?

    Felbermayr: Eine Rezession dürfte in Deutschland und Nachbarländern mit einem ähnlich starken Industriekern unausweichlich sein. Anderen Ländern der Eurozone, die nicht so stark vom Gas abhängig sind, könnte eine Rezession erspart bleiben.

    Wie hoch steigt die Inflation in der Eurozone, wenn Putin den Gas-Hahn zudreht? Schon ist von nahezu einer Verdopplung auf 18 Prozent die Rede.

    Felbermayr: Ich schließe nicht aus, dass die Inflation dann auf 18 Prozent steigt. Doch ich gehe davon aus, dass die politisch Verantwortlichen alles daran setzen, so hohe Inflationsraten zu verhindern. Die Politik wird also regulierend eingreifen, um zu verhindern, dass die Menschen die volle Wucht des Preisanstiegs spüren. Die Politik wird hier sowohl beim Strom- als auch Gaspreis handeln.

    Brauchen wir nicht schleunigst ein konzertiertes und solidarisches europäisches Vorgehen? Sollen Länder, die Gas an Deutschland und Österreich abgeben, dafür mit einem europäischen Gas-Soli entschädigt werden?

    Felbermayr: Ein solcher europäischer Gaskraftakt wäre genau der richtige Weg. Doch wir hätten diesen gemeinsamen Weg längst einschlagen müssen. Wenn wir uns jetzt doch noch zu einem Gas-Soli durchringen, käme die Lösung drei Monate zu spät. Schließlich beginnt die Heizsaison in zwei Monaten. Wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass der europäische Binnenmarkt als Folge einer Gas-Knappheit auseinanderfällt. Das Misstrauen unter EU-Ländern ist groß. So sorgt man sich in Bayern, dass der große österreichische Gasspeicher in Haidach nicht für die Versorgung des Freistaats zur Verfügung steht, weil Österreich dieses Gas beschlagnahmt. Das darf nicht passieren. Umgekehrt darf auch nicht das Gas, welches die österreichische Mineralöl-Firma OMV in Norwegen produziert, auf dem Weg durch Deutschland beschlagnahmt werden.

    Es ist also Solidarität gefragt.

    Felbermayr: Ja, nicht nur bei der Verteilung, sondern auch bei der Beschaffung muss Europa geschlossen auftreten und eine Art Nachfrage-Kartell bilden. So könnte Europa Gas günstiger einkaufen. Das würde sich auch positiv auf den Strompreis auswirken, der eng mit dem Gaspreis verbunden ist. Selbst wenn sich Europa zur Solidarität bei der Gasbeschaffung durchringt, wird das teuer für Deutschland und Österreich, weil die Länder für die Solidarität bezahlen müssen.

    Sie haben für Österreich ein Modell für einen Strompreis-Deckel ausgearbeitet, das auf breite Zustimmung stößt und Gesetz werden könnte.

    Felbermayr: Dahinter steht eine einfache Idee, die in der Luft lag: Danach werden die Stromrechnungen gedeckelt.

    In Österreich ist vom Felbermayr-Deckel die Rede.

    Felbermayr (lacht): Danach würde jeder Haushalt ein bestimmtes Kontingent an Strom zu deutlich vergünstigten Preisen, vielleicht sogar umsonst bekommen. Demnach wäre zum Beispiel die Hälfte eines Durchschnittsverbrauchs kostenlos und würde vom Staat massiv subventioniert. Für den Rest des Verbrauchs muss ein Haushalt aber den Marktpreis bezahlen. Dadurch ist ein hoher Anreiz gegeben, möglichst viel Strom einzusparen. Insgesamt würde die Stromrechnung begrenzt. Unser Vorschlag ist auch sozial gerecht, weil Menschen mit weniger Einkommen einen höheren Anteil bezuschusst bekämen, weil sie in der Regel weniger Strom verbrauchen als reichere Menschen, die in großen Häusern wohnen und viel mehr Strom verbrauchen.

    Bezahlt der Staat den Freistrom allein?

    Felbermayr: Zunächst bezahlt ihn der Staat, dann aber teilweise auch die Energiewirtschaft.

    Wie soll das denn gehen?

    Felbermayr: Indem der Staat per Gesetz anordnet, dass die Energieversorger ein bestimmtes Kontingent an Freistrom zur Verfügung stellen müssen. Dann verhandelt der Staat mit den Energieversorgern, wie sie dafür entschädigt werden.

    Das wird sehr teuer für den Staat.

    Felbermayr: Aber nur, wenn der Staat den Energieversorgern die entgangenen Gewinne erstatten müsste. Diese Gewinne würden etwa bei Wasserkraft sehr hoch ausfallen, weil sich diese Energie günstig produzieren und teuer verkaufen lässt. Doch besser wäre das Modell aus Sicht des Staates und der Steuerzahler, wenn der Staat den Energieversorgern die Kosten, aber nicht den ganzen Gewinn erstattet. So würden auch Energieversorger ihren Anteil für den Strompreis-Deckel leisten.

    Ist der Felbermayr-Deckel auch etwas für Deutschland?

    Felbermayr: Unser Modell ist keine Raketen-Wissenschaft. Auch andere Ökonomen argumentieren in diese Richtung. Es wäre schön, wenn auch die deutsche Regierung darauf eingehen würde. Denn hier werden marktwirtschaftliche Prinzipien mit sozialpolitischer Absicherung zusammengebracht. Das ist der Königsweg.

    Brauchen wir neben einem Strompreis-Deckel auch einen Gaspreis-Deckel?

    Felbermayr: Einen solchen Gaspreis-Deckel kann man ähnlich wie einen Strompreis-Deckel einführen. Ein gewisses Grund-Kontingent wäre frei, für den Rest spüren die Bürgerinnen und Bürger die ganze Wucht der Preisexplosion und heizen weniger. Doch der Strompreis-Deckel hat Vorrang. Denn Strom verbraucht jeder. Das Ganze muss für einen Finanzminister bezahlbar bleiben. Und viele heizen auch nicht mit Gas, sondern etwa mit Pellets. Doch auch Pellets sind teurer geworden. Dann könnten auch Pellets-Heizer einen staatlichen Zuschuss fordern. Das übersteigt dann schnell die finanziellen Möglichkeiten.

    Wie hart wird denn der Winter?

    Felbermayr: Wir steuern auf sehr ungute Zeiten zu. Wenn die Wirtschaftsleistung mal drei, vier, sogar fünf Prozent ins Minus rauscht, zwingt das Deutschland nicht in die Knie. Etwas anderes macht mir viel mehr Sorgen.

    Was beunruhigt Sie so?

    Felbermayr: Mir machen mögliche sozialpolitische Verwerfungen in diesem Winter besonders große Sorgen. Wir haben schon während der Pandemie erlebt, wie so eine Krise die gesellschaftliche Stimmung vergiften kann, etwa als es um eine Impfpflicht ging.

    Droht jetzt Ähnliches?

    Felbermayr: Wenn wir nicht aufpassen, droht uns im Winter bei explodierenden Energiepreisen etwas Ähnliches. Der soziale Frieden könnte gefährdet sein. Deshalb ist jetzt keine Zeit für ideologische Grabenkämpfe etwa um die Atomkraft oder die Schuldenbremse. Wir müssen ohne Tabus diskutieren und dann auch schnell handeln: Die Grünen in Deutschland sollten zustimmen, dass die verbliebenen Atomkraftwerke etwas länger laufen und die FDP sollte auf das Wiedereinsetzen der Schuldenbremse im Jahr 2023 verzichten, damit Putin sich nicht ins Fäustchen lacht.

    Kann das alles noch gelingen?

    Felbermayr: Wir sind spät dran und haben keine Zeit, monatelang Kompromisse zu schließen. Hart wird der Winter auf alle Fälle.

    Naht Hoffnung, wenn wir den Winter überstanden haben? Wird der nächste Winter besser? Schwimmen wir uns in diesem Wirtschaftskrieg frei?

    Felbermayr: Das ist sehr fraglich. Es braucht mehr Zeit, um russisches Gas zu ersetzen. Wenn kein russisches Gas mehr fließt, starten wir mit komplett leeren Speichern ins Frühjahr 2023. Was jetzt in den Gasspeichern ruht, ist größtenteils russisches Gas. Wenn kein russisches Gas kommt, müssen wir es etwa mit algerischem Gas oder viel teurerem Flüssiggas ersetzen. Das führt dazu, dass die Gasspeicher im Herbst nächsten Jahres nicht so voll sind, wie es nötig wäre. Auch der Winter 2023/2024 steht hart im Risiko.

    Können wir uns zumindest langfristig wieder berappeln?

    Felbermayr: Das schaffen wir. Natürlich kostet uns der Abschied von billigem russischen Gas langfristig Wohlstand, in Deutschland wohl etwa 0,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Das ist ökonomisch hinnehmbar. Kurzfristig sind die Verwerfungen viel größer, sie werden aber über die Zeit kleiner werden. Wir lernen mit Knappheiten besser umzugehen.

    Das klingt nach einem steinigen Weg.

    Felbermayr: Die Lage bleibt über mehrere Jahre anstrengend. Es dauert, bis Deutschland ausreichend Flüssiggas-Terminals hat, andere Länder Russland als Gaslieferanten ersetzen und neue Gasvorkommen erschlossen sind. Auf lange Sicht bleibe ich Optimist: Der Ausstieg aus dem russischen Gas wird uns gelingen. Und es gibt eine Extra-Dividende.

    Eine ökologische Dividende?

    Felbermayr: Ja, weil uns der Ausstieg aus fossiler Energie wie Öl und Gas zunehmend glücken wird, auch wenn wir wegen Putin zunächst noch einmal stärker auf fossile Energie wie Kohle zurückgreifen müssen. Mittel- bis langfristig beschleunigt Putin die Wende hin zu klimafreundlicher Energie.

    Auf wie viele harte Jahre müssen wir uns einstellen?

    Felbermayr: Wir werden 2023 noch eine hohe Inflation um die 6,0 Prozent verzeichnen, also dreimal so viel, wie sich die Europäische Zentralbank das wünscht. Auch 2024 wird es uns kaum gelingen, wieder Werte um die 2,0 Prozent zu erreichen. Immerhin geht die Inflation zurück. Es bleibt schwierig, aber mit abnehmender Intensität.

    Auf Dauer kann Putin diesen Wirtschaftskrieg doch nicht gewinnen.

    Felbermayr:Auf lange Sicht können wir den Wirtschaftskrieg gegen Putin gewinnen. Wir müssen das aber auch politisch durchhalten. Europa darf sich von ihm nicht spalten lassen. Das wird in Europa nicht so leicht, weil es unterschiedliche Interessen gibt. Hier hat Russland leider einen Vorteil.

    Gabriel Felbermayr, 46, ist seit 1. Oktober 2021 Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien und Universitäts-Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Der Ökonom stammt aus Steyr in Österreich. Von 2010 bis 2019 leitete er in München das Ifo-Zentrum für internationale Wirtschaft. In München war er auch als Professor für internationale Wirtschaft tätig. Von 2019 bis September 2021 war Felbermayr Präsident des Institutes für Weltwirtschaft in Kiel.

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