Herr Höttges, die Telekom-Aktie kratzt nach gut zwei Jahrzehnten chronischer Bescheidenheit an der 20 Euro-Marke. Was ist passiert?
Timotheus Höttges: Unser Geschäft läuft gut. So rechnen wir für 2022 mit einem höheren bereinigten Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen. Gingen wir hier ursprünglich von einem Wert von 36,6 Milliarden Euro aus, peilen wir nun rund 37 Milliarden Euro an. Auch unser Umsatz ist zuletzt deutlich gewachsen. Der Börsenwert der Telekom liegt derzeit bei gut 95 Milliarden Euro.
Damit spielt die Telekom in der deutschen Aktien-Bundesliga ganz vorne mit.
Höttges: Mein Anspruch ist: Die Telekom soll das wertvollste Unternehmen Deutschlands werden. Wir sind hier dem Spitzenreiter SAP als Nummer zwei schon auf den Fersen. Der Abstand zu SAP ist nicht mehr so groß. Der Fairness halber räume ich ein: Linde hat einen deutlich höheren Börsenwert als wir und SAP, das Unternehmen hat seit der Fusion seinen Sitz aber in Irland. Wir können also das wertvollste Dax-Unternehmen mit Sitz in Deutschland werden. Und das ist kein Selbstzweck. Wir wollen weiter hoch investieren. Und Europa braucht einen digitalen Spieler, der halbwegs auf Augenhöhe ist mit den globalen Anbietern.
Dabei war die Telekom tief abgestürzt, als der Aktienkurs im Jahr 2000 von rund 100 Euro regelrecht und das dauerhaft eingebrochen ist.
Höttges: Doch wir haben gerade seit 2014 kräftig aufgeholt. Damals war die Telekom mit 30 Milliarden Euro weniger wert als jeweils Konkurrenten wie Vodafone, Telefonica und Orange. Heute sind wir fast genau so viel wert wie diese drei Unternehmen zusammen.
Bei vielen enttäuschten Kleinaktionärinnen und -aktionären hat sich die frohe Botschaft der neuen, starken Telekom noch kaum verbreitet. Hier überdeckt das einstige Börsendesaster alles wie eine Lehmschicht.
Höttges: Ich arbeite nun 22 Jahre für die Telekom. Das Unternehmen wird längst völlig anders als früher wahrgenommen: Früher hörte man am Nachbartisch oft Leute, die sich über die Telekom aufregen. Heute werde ich oft auf unseren guten Service angesprochen. Und darauf, wie erfolgreich wir uns von einer Behörde zu einem modernen Unternehmen entwickelt haben. Wir sind noch nicht am Ziel, gelten aber als Beispiel für eine gelungene Privatisierung. Zum positiveren Telekom-Bild hat sicher beigetragen, dass die Telekom während der Pandemie das digitale Rückgrat der Nation war: Millionen Menschen konnten dank unserer Dienste im Homeoffice arbeiten und Filme via Internet streamen.
Die Bahn sollte eigentlich auch ein Rückgrat Deutschlands sein, wackelt aber im Dauer-Chaos gewaltig. Wie wäre es, wenn Sie Bahn-Chef würden?
Höttges (schweigt eine Weile): Ich arbeite bei der Telekom in einem Unternehmen, das mir eine große Gestaltungsfreiheit bietet. Ich schätze das extrem dynamische Umfeld, also den durch die Digitalisierung und Software getriebenen raschen Wandel der Branche. Und ich mag die Kultur der Telekom: Unsere Beschäftigten treiben die Digitalisierung voran und verbinden Menschen, auch weil sie eine enorme gesellschaftliche Verantwortung spüren.
Das klingt, als ob Sie Ihren Traum-Job gefunden hätten. Es wird also nichts mit der Bahn.
Höttges: Ja.
Sie stammen ja aus einer Unternehmer-Familie.
Höttges: Bei uns zu Hause war der Betrieb immer das wichtigste Thema. So habe ich mich bei der Telekom nie als Angestellter gefühlt, sondern wie ein Unternehmer. Und das lebe ich auch: So habe ich bei einem Kurs von 8,70 Euro angefangen, Telekom-Aktien zu kaufen. Ich bin ein kleiner Großaktionär im Unternehmen, also zum Teil auch Eigentümer, wie übrigens viele unserer Mitarbeiter.
Hat es Sie nie gereizt, zu einem anderen Konzern zu wechseln?
Höttges: Es gab immer wieder Angebote. Aber mich treibt etwas anderes an: Ich will für ein Unternehmen wie die Telekom arbeiten. Denn hier kann ich etwas bewegen, auf das ich stolz sein kann, wenn ich mal in den Ruhestand gehe.
Da ist noch eine Weile hin. Sie sind 59 Jahre alt und Ihr Vertrag wurde bis Ende 2026 verlängert.
Höttges: Mir macht es weiter Spaß, etwas Sinnvolles für unsere weltweit rund 216.500 Beschäftigten und unsere Kundinnen und Kunden zu bewirken. Entscheidend ist aber auch: Die Telekom hat es immer gut mit mir gemeint. Die Telekom ist meine Lebensaufgabe. Mittlerweile akzeptieren mich selbst die langjährigen Telekomler. Lange war ich ein "Zugereister". Das Unternehmen ist ja von einer Burgen-Mentalität geprägt.
Wer verteidigt sich hier in der Telekom-Burg gegen wen?
Höttges: Das mit der Burg rührt aus den Zeiten her, als alle auf die Telekom eingeschlagen und den Konzern kritisiert haben – und das zu Recht. Die Telekom war schlecht, richtig schlecht. So haben sich die Beschäftigten in die Burg zurückgezogen.
Das ist menschlich verständlich.
Höttges: Unter den Beschäftigten wuchs aber ein Gefühl der Zugehörigkeit. Sie identifizieren sich in hohem Maße mit dem Unternehmen und der Marke. Durch die Erfolge und die Anerkennung, die wir zuletzt auch während der Pandemie bekommen haben, hat sich nun Selbstbewusstsein zum Wir-Gefühl gesellt. Und wenn es zu Katastrophen wie zuletzt im Ahrtal kommt, muss ich gar keine Anstöße geben: Beschäftigte machen von sich aus alles, um Leitungen wieder aufzubauen und den Menschen zu helfen. Sie arbeiten am Wochenende durch. Dieser Geist stammt noch aus der Zeit, als die Telekom eine Behörde war und eine staatliche Hoheitsaufgabe ausgeführt hat.
Sie bleiben also bei der Telekom. Und schon als Abiturient haben Sie den Wunsch geäußert, einmal Vorstand in einem Unternehmen zu werden.
Höttges: Ich wollte der Chef sein. Ich wolle etwa tun, was relevant für die Gesellschaft ist. Und ich wollte – um es in der Sprache des Schachspiels zu sagen – große Züge machen. Was mich auch bewegt hat: Ich sah in Solingen, wie die erste Welle der Globalisierung in den 80er-Jahren meine Heimatstadt durcheinandergewirbelt hat. Von einst etwa 250 großen Betrieben blieben vielleicht noch 50 übrig. Durch die damals von Japan ausgehende Automatisierung verschwanden bei uns Manufaktur-Betriebe, die nicht entsprechend automatisiert waren. Eine Pleite folgte auf die nächste.
Was haben Sie daraus für sich abgeleitet?
Höttges: Ich habe mir geschworen: So etwas darf dir als Unternehmer nie passieren. Angestellte und Arbeitgeber, die ein Leben lang geschuftet haben, dürfen nicht plötzlich alles verlieren. Deswegen habe ich früh begonnen, mich mit Betriebswirtschaft zu beschäftigen, was ich dann auch studiert habe.
Und Sie hatten damals das Ziel, hunderttausend D-Mark im Jahr zu verdienen. Daraus sind einige Euro-Millionen geworden.
Höttges (lacht): Natürlich war ich damals auch naiv.
Aber durchaus fleißig.
Höttges: Ich habe als Schüler mit 16 Jahren an einem Marktstand Butter, Käse und Milch verkauft. Denn obwohl mir meine Eltern Geld hätten geben können, haben sie mir keines gegeben. So bin ich dreimal die Woche um 5.30 Uhr aufgestanden, habe den Marktstand aufgebaut, bis 8 Uhr habe ich verkauft und bin danach in die Schule gegangen. Samstags habe ich auch auf dem Markt verkauft und an Nachmittagen habe ich Käse geschnitten und den Wagen für den nächsten Tag beladen. Bis zu meinem Studium war ich so tätig.
War das eine gute Schule für den späteren Telekom-Chef?
Höttges: Eine sehr gute Schule. Ich habe als Verkäufer eine gewisse Bauernschläue gelernt. Und mir wurde klar, wie wichtig Fleiß und Disziplin sind. Diese Bereitschaft sich reinzuhängen brauchen wir gerade jetzt wieder, wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen. Werte wie Fleiß und Disziplin werden als "preußische Tugenden" ja manchmal abgewertet, was falsch ist. Auch der Rheinländer sagt ja: Von nix kütt nix. Übrigens verkaufe ich noch heute gerne, zum Beispiel in unseren T-Shops. Oder ich mache Service im Service-Center. Die größte Herausforderung dort ist, die ganzen IT-Systeme zu verstehen.
Was Sie als Produkt-Tester in der Telekom-Video-Reihe "Tim testet" regelmäßig tun. Ist das reines Marketing oder folgen Sie einer Mission?
Höttges: Das mache ich nicht nur, um zu zeigen, dass die Telekom ein lockerer Laden ist. Ich will deutlich machen, was es für Innovationen auf dem Gebiet der Smartphones gibt und dass die Telekom solche Innovationen oft als Erste und exklusiv hat. Aber für mich ist die Wirkung nach innen hin zu unseren Beschäftigten das Wichtigste an diesen Videos. So sehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass ich mich mit den Produkten im Detail auseinandersetze. Und jeder Telekomler sollte das tun. Nicht nur die Leute im Shop, sondern alle.
Sie tragen als Tim der Tester einen grauen Blouson mit einem magenta-roten T drauf, als ob sie ein Telekom-Techniker wären.
Höttges: Es ist an der Zeit, die Vorstandsetagen und damit die Hierarchien in den Konzernen zu entmystifizieren. Oftmals entstehen Macht und Ansehen allein durch die Kleidung. Das haben wir bei der Telekom komplett abgeschafft. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal einen Anzug angehabt habe. Ein Vorstandsvorsitzender muss sich seine Rolle verdienen. Der muss auch in die Baugrube und an die Service-Hotline. Das ist die echte Telekom. Das ist wie der Verkauf von Butter, Milch und Käse. Und wir brauchen Führungskräfte, die sich Respekt verdienen, weil sie etwas besonders gut können. Dann sind Beschäftigte bereit, Ihnen zu folgen und sich weiterzuqualifizieren. Mitarbeiter müssen sehen, dass ich nicht nur manage.
Manche Beschäftigte wissen auch, dass Sie einmal Zivildienst geleistet haben. Wie geht es Ihnen als Pazifist in kriegerischen Zeiten?
Höttges: Ich habe im Zivildienst in einer Schule für körperlich und geistig behinderte Kinder gearbeitet. Nach wie vor halte ich das Menschenbild des Pazifismus für richtig, also dass wir friedlich miteinander umgehen und dass die primitive Kraft des Stärkeren nicht die Richtschnur ist. Wir müssen anderen Meinungen mit Toleranz begegnen. Das Ideal habe ich mein Leben lang versucht zu befolgen. Aber kategorische Imperative scheitern leider oft in der realen Politik, weil andere sie nicht teilen.
Putin mit Pazifismus zu begegnen ist wohl keine Option.
Höttges: Daher sehe ich für Deutschland keine andere Wahl, als dass wir unser Land besser bewaffnen und die Freiheitskämpfer in der Ukraine auch militärisch unterstützen. Was hilft es einem Pazifisten, wenn ihn ein anderer erschlägt? Natürlich ist diese Erkenntnis ernüchternd.
Ernüchternd und frostig wirken auch die Aussichten für diesen Winter. Was rät ein Manager wie Sie den Bürgerinnen und Bürgern, dem das Magazin Wirtschaftswocheeinst attestierte, er könne sehr gut Kosten kappen?
Höttges: Wir dürfen uns selbst mental nicht einfrieren und erstarren. Ebenso wenig sollten wir die Probleme ignorieren, die Augen verschließen und nur den schönsten Sommer des Jahrhunderts genießen. In einer Zeit, in der ein schwarzer Schwan nach dem anderen auf uns zu rauscht, also ein unvorhersehbares Problem nach dem anderen, müssen wir lernen, mit den Herausforderungen klarzukommen. Die Zukunft wird eher schwieriger als einfacher. Aber Optimismus heißt, nicht den Glauben an die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu verlieren. Und die gibt es immer. Man muss also seine individuellen Stellschrauben finden und daran drehen.
Doch vielen Menschen wird das alles psychisch und finanziell zu viel.
Höttges: Psychologisch können wir uns selbst helfen. Wir können lernen, mit solchen Problemen umzugehen. Ich habe oft ganze Arbeitstage ein Problem nach dem anderen auf dem Tisch, ob es um Lieferprobleme, die Folgen der hohen Inflation oder die Stromkosten für unsere Netze geht. Und dabei hilft es durchaus, sich nicht kirre machen zu lassen.
Wie verscheuchen Sie schwarze Schwäne?
Höttges: Indem ich abschichte, also ein Problem nach dem anderen löse. Ich sage dazu immer: Wir müssen den Elefanten in Scheiben schneiden. Und wir dürfen vor lauter schwarzen Schwänen die Innovationskraft nicht aus dem Auge verlieren. Hier sehe ich Defizite in Deutschland. Durch den großen Wohlstand hat sich eine gewisse Arroganz bei uns eingeschlichen. Doch das Label "Made in Germany" bröckelt überall. So schneiden wir etwa bei der Digitalisierung des öffentlichen Dienstes schlechter als Griechenland ab. Und in anderen Ländern gibt es nicht so ein Chaos an den Flughäfen wie bei uns. Und Großprojekte funktionieren bei uns leider oft nicht mehr.
Das ist eine harte Diagnose.
Höttges: Wir sind selbstgerecht geworden. Doch in Krisen selbstgerecht zu werden, ist fatal. Wir müssen den Finger wieder in die Wunde legen und dem Anspruch gerecht werden, führend in dem zu sein, was wir tun. Dann ist Erfolg nicht zu verhindern. Innovation und Investition sind die Schlüssel.
Doch noch einmal zurück zu den schwarzen Schwänen.
Höttges: Zumindest einen schwarzen Schwan kann ich aus Verbrauchersicht abräumen: Die Telekom-Preise werden nicht explodieren. Wir sind kein Inflationstreiber. Unsere Preise bleiben vielmehr stabil. Wir wollen Qualität mit guten Preisen verbinden. Im Mobilfunk funktioniert das aktuell mit unseren neuen Tarifen. Und dann gibt es bei uns noch das Projekt "Schwarzer Schäferhund".
Vom Schwan zum Schäferhund, das müssen sie erklären.
Höttges: Wir geben uns nicht mit Lücken im Mobilfunknetz zufrieden. Ein Problem ist ja die Versorgung der Schienen. Wir lehnen – um in der Hunde-Welt zu bleiben – das mit vielen weißen Punkten versehene Prinzip "Dalmatiner" ab. Wir wollen die komplette Schienenversorgung und versuchen, alle Funklöcher zu schließen, bis der Hund ganz schwarz ist. Bis 2026 schließen wir alle Funklöcher. Insgesamt wollen wir jedes Jahr 2000 neue Mobilfunkantennen in Deutschland bauen.
Das schafft die Telekom aber bisher nicht.
Höttges: Wir schaffen leider nur 1500, weil wir durch schleppende Genehmigungsverfahren in den Kommunen aufgehalten werden. Wir sind in Deutschland Weltmeister, was extrem komplizierte Genehmigungsverfahren betrifft. Aber wir schaffen den schwarzen Schäferhund.
Doch gerade in den Bahn-Tunneln reißen die Verbindungen ab.
Höttges: Wir schaffen den schwarzen Schäferhund auch in den Tunneln. Doch oft grenzen Grundstücke von Landwirten an Bahnlinien. Wenn diese uns Anlagen nicht bauen lassen, haben wir ein Problem. Digitale Vernetzung, also auch flächendeckender Mobilfunk, ist für mich ein Menschenrecht. Wenn wir bei Konfliktfällen trotz aller Versuche keinen Konsens finden, muss die Politik andere gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen. Unser Wohlstand hängt an unseren Netzen.
Und sie versuchen mit Werbespots und Kampagnen für mehr Anstand im Umgang miteinander im Internet zu werden. Das klingt noch aussichtsloser als der Versuch, die Bahn lückenlos mit stabilem Mobilfunk zu versorgen.
Höttges: Doch wir dürfen hier nicht nachlassen und denjenigen, die am lautesten schreien, die Macht über das Internet überlassen, wo sie Hass und Fake News verbreiten können. Wir müssen lernen, dass es keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen gibt. Deswegen bin ich nicht auf dem Internet-Nachrichtendienst Twitter unterwegs, wo alles verkürzt wird, sondern nehme mir Zeit und schreibe auch mal längere Gedankengänge auf – etwa bei LinkedIn, auch wenn sich die Plattform gerade ebenfalls stärker in Richtung Banalität entwickelt. Aber zur Wahrheit zählt halt: Das Netz sind wir alle. Wir formen es. Wir können der Unterschied sein. Und ich hoffe, wir sind alle mehr als die Summe unserer Likes.
Am meisten Aufmerksamkeit bekommen Sie aber, wenn Sie als 1,93 Meter großer Mann etwa in Telekom-Weihnachts-Videos mit Ihren beiden Dackeln Otto und Anton auftreten.
Höttges: Die beiden halten mich auf Trab. Der kleine Dackel Anton ist lieb, aber der große Dackel Otto verschwindet täglich von unserem Grundstück in Bonn.
Ist es Otto langweilig?
Höttges (lacht): Nein, er ist verliebt und marschiert durch die Gegend. Unlängst bin ich nach einem Geschäftsessen um 23.30 Uhr Otto suchend mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Ich habe ihn schließlich gefunden und ihm zugerufen: Gehst du jetzt nach Hause! Er hat gewusst, dass er Unsinn gemacht hat. Und war dann sogar schneller daheim als ich.
Dackel haben ihren eigenen Kopf.
Höttges: In unserem bunten Bild in der Telekom-Zentrale, das unsere strategischen Ziele zeigt, wurde auch ich verewigt. Ich komme in dem Bild mit meinen beiden Dackeln vor. Anton zieht in die eine, Otto in die andere Richtung. Und manchmal denke ich: Ja, das ist wie bei der Telekom.
Bringen Sie ihre Hunde auch mal mit ins Büro?
Höttges: Ja manchmal, aber es ist gar nicht so einfach in Deutschland, sich für eine Hunde-Politik in Firmen einzusetzen, also die Vierbeiner auch mal mitnehmen zu dürfen. In den USA ist das einfacher. Ich war dort mal bei Amazon. Auf dem Tisch lagen Kekse. Dachte ich! Ich wollte einen schon essen. Doch dann hieß es: Der ist nicht für sie, das ist für die Hunde. Wir müssen in Deutschland die Kultur in den Konzernen verändern. Für mich ist die Telekom-Zentrale in Bonn ein Dorf.
Ein Dorf?
Höttges: Ja, ein Dorf. Und ich bin der Bürgermeister in der Zentrale und in anderen Gebäuden gibt es andere Bürgermeister.
Dann sind Sie oft ein Bürgermeister mit nicht allzu vielen Gemeindemitgliedern, arbeiten doch nach wie vor viele Beschäftigte im Homeoffice.
Höttges: Durch das Homeoffice ist ein hohes Maß an Vitalität in unserer Konzernzentrale verloren gegangen. Wir Menschen sind nicht auf Computer-Monitore ausgerichtet. Wir können nur schwer Mimik und Gestik der Menschen bei digitalen Gesprächen erkennen. Homeoffice ist zwar nicht mehr wegzudenken, aber virtuell bleibt das persönliche Gespräch und die Kreativität oft auf der Strecke. Ich appelliere deshalb an die Beschäftigten: Kommt zurück in die Büros. Wir brauchen den persönlichen Austausch. Und viele Menschen unterschätzen auch, was sie für ihre Kollegen zwischenmenschlich bedeuten. Wie wichtig auch persönliche Netzwerke sind. Und wie sehr gerade neue und junge Beschäftigte darauf angewiesen sind, mit Menschen statt an Monitoren zu arbeiten. Natürlich können Beschäftigte weiter im Homeoffice bleiben, wenn sie in Ruhe an etwas arbeiten. Aber Homeoffice ist ein Stück weit auch ein Privileg: Gut 20.000 unserer Beschäftigten sind täglich draußen bei den Menschen. Die haben keine Chance auf Homeoffice.
Doch trotz massenhaftem Homeoffice ist es Telekom- und SAP-Fachleuten gelungen, während der Pandemie kreativ die Corona-Warn-App aus der Taufe zu heben.
Höttges: Wenn wir das nicht geschafft hätten, wäre das ein gewaltiger Imageschaden für die Telekom gewesen. Aber die App funktioniert. 57 Millionen Menschen haben eine Warnung erhalten. Elf Millionen Menschen waren danach positiv getestet.
Was passiert mit der App, wenn Corona vorbei ist?
Höttges: Das ist unklar. Aber sie wegzuwerfen, wäre schade. Wir könnten zum Beispiel eine digitale Alternative zum gelben Impfpass schaffen und alle Impfzertifikate auf einer solchen App hinterlegen. Der Datenschutz ist gewährleistet. Die Informationen sehen nur die Ärzte und die jeweiligen Patienten. Und über die App könnten Medizinerinnen und Mediziner uns Rezepte für Medikamente digital zur Verfügung stellen, die wir dann in der Apotheke oder im Internet einlösen. Wir müssen aus der Corona-Warn-App eine Gesundheits-App machen.
Klappt das?
Höttges: Das wäre ein Beispiel. Aber wir müssen an so vielen Stellen digitaler und damit effizienter werden. Angesichts des Kriegs in der Ukraine, der Energie-Probleme und der hohen Inflation wirken wir in Deutschland paralysiert. Das ist gefährlich. So bleibt Innovation auf der Strecke. Innovation ist aber der einzige Weg zur Souveränität.
Timotheus Höttges, 59, ist seit 2014 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom. Zuvor war er im Konzern-Vorstand für Finanzen und Controlling zuständig. Der Manager hatte in dem Unternehmen schon viele Funktionen inne, unter anderem war er Vorsitzender der Geschäftsführung von T-Mobile Deutschland. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft arbeitet Höttges drei Jahre in einer Unternehmensberatung. Ende 1992 wechselte er zum Viag-Konzern in München. Als Projektleiter war der gebürtige Solinger dort maßgeblich an der Fusion von Viag und Veba zum Energieversorger Eon AG beteiligt.