Herr Dulger, in diesem Jahr wäre Ludwig Erhard, der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, 125 Jahre alt geworden. Sie fordern, der Geist Erhards müsse wieder am Kabinettstisch sitzen. Doch sitzt er dort nicht längst in Gestalt des Grünen Robert Habeck, der viel Zuspruch von Unternehmerinnen und Unternehmern bekommt, wie lange kein Bundeswirtschaftsminister vor ihm?
Rainer Dulger: Herr Habeck macht auf jeden Fall einen guten Job. Was ich mit meiner Forderung meinte, war grundsätzlicher Natur: Wir brauchen wieder in unserer Wirtschaftspolitik die Besinnung auf die Leitsätze von Ludwig Erhard. Und einer dieser Leitsätze lautet für mich: Starke Wirtschaft, starkes Land. Nichts ist derzeit wichtiger als dieser Satz. Denn wir erleben doch gerade, dass sich mehrere Krisen übereinander schieben. Das habe ich in den letzten 30 Jahren meines Unternehmertums so noch nicht erlebt. Deswegen müssen wir uns auf das besinnen, was uns als Land stark macht. Und das ist eine starke Wirtschaft. Dabei brauchen wir mehr Innovationen und eine Entlastung der Wirtschaft. Das verlangt auch Innovationstreiber und Kümmerer, um das zu erreichen.
Ist Habeck nicht genau so ein Kümmerer, also ein grüner Ludwig Erhard, wenn auch ohne Zigarre?
Dulger: Herr Habeck hört sehr aufmerksam zu und stellt Fragen. Wir sind wirklich in einem sehr guten Dialog mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Er hört übrigens nicht nur zu, sondern bleibt auf EU-Ebene auch stehen, wenn man aus deutscher Sicht Vorschlägen noch nicht zustimmen kann. Zudem nimmt er Erkenntnisse aus Gesprächen auch mit Arbeitgebervertretern auf und hält dem politischen Druck stand.
Sie sind unverdächtig, Bundeswirtschaftsminister generell zu loben. Habecks Vorgänger im Amt, dem CDU-Mann Peter Altmaier, attestierten sie einst, das schwächste Mitglied im Kabinett zu sein.
Dulger (lacht): Lob und Kritik kommen bei mir immer von Herzen.
Wie herzlich beurteilen Sie das Krisen-Management von Bundeskanzler OIaf Scholz? Ihm wird vorgeworfen, er agiere zu zögerlich.
Dulger: Deutschland und damit auch der Kanzler befinden sich in einer außerordentlich schwierigen Situation: Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist abscheulich. Mit allen Maßnahmen, die wir jetzt einleiten, wollen wir möglichst starken Einfluss auf das System Putins nehmen, diesen Krieg zu beenden. Diesen starken Druck können wir nur in einer konzertierten Aktion aufbauen, in engem Dialog mit unseren Nato-Partnern und mit der Europäischen Union. Wir müssen versuchen, wieder an den Verhandlungstisch zu kommen.
Doch auch international wird die Politik von Scholz im Ukraine-Krieg als zu zögerlich bezeichnet.
Dulger: Es ist richtig, dass Bundeskanzler Scholz unser Land mit einer ruhigen und gleichzeitig sachlichen Hand durch diese Krise führt. Herr Scholz sprach zu Recht von einer Zeitenwende. Und so war er es, der das 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr verkündet hat. Dieser Schritt geht in die richtige Richtung.
Bezieht Ihr Lob für die Bundesregierung auch Außenministerin Annalena Baerbock ein, die etwa der Arbeitgeberverband Gesamtmetall vor der Bundestagswahl noch äußerst kritisch gesehen hat? Sie waren früher Gesamtmetall-Präsident.
Dulger: Frau Baerbock musste bildlich gesprochen von der Straßenbahn in ein Rennauto steigen. Sie ist als Bundesaußenministerin sehr schnell in eine Situation hineingeraten, die von Anfang an hochgradig herausfordernd war. Und dafür macht Frau Baerbock das kompetent und gut.
Wie geht es Ihnen derzeit als Unternehmer, zumal die Gefahr besteht, dass Putin nach Polen und Bulgarien auch Deutschland das für viele Firmen überlebenswichtige Gas abdreht?
Dulger: Bei einem Gas-Embargo, egal welche Seite es lostritt, steht dieses Land still. Das hätte katastrophale Auswirkungen für Unternehmer, Arbeitnehmer – und nicht zuletzt den Staatshaushalt. Ein Gas-Stopp würde vor allem unsere chemische Industrie und die Grundstoffindustrie hart treffen. Dadurch wäre indirekt die Produktion von einem Großteil unserer Industrie-Produkte betroffen. Deswegen sollten wir so lange wie möglich ein solches Gas-Embargo verhindern. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir im Westen konzertiert vorgehen. Dabei müssen wir uns aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien, nur geht das nicht sofort. Hier stehe ich hinter der Strategie von Bundeskanzler Scholz. Wir brauchen Übergangsfristen, sonst schädigen wir unser Land und unsere Wirtschaft.
Dann hieße es nach Ihrer Logik: Schwache Wirtschaft, schwaches Land.
Dulger: Wenn wir ein starker Partner für die EU, die Nato und die Ukraine sein wollen und unseren Sozialstaat weiter in dem Maße finanzieren wollen, muss unsere Wirtschaft stark bleiben. Nur auf dieser Basis können wir uns Schritt für Schritt aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien. Jetzt ist eine vorausschauende Energie-Politik, ja sogar eine Rohstoff-Außenpolitik gefragt.
Warum hat sich Deutschland so stark von russischem Gas abhängig gemacht?
Dulger: Auch ich habe es nicht für möglich gehalten, dass die russische Armee in der Ukraine einfällt. Wir haben uns in gutem Glauben, dass die Russen unsere Partner sind, zu stark in die wirtschaftliche Abhängigkeit dieses Landes begeben. Leider können wir uns nicht so schnell, wie sich das einige Politiker gerade vorstellen, vom russischen Gas lossagen. Unser Ziel bleibt es, dass Deutschland ohne russisches Gas auskommt. Doch bis dahin ist es noch ein langer und steiniger Weg.
Wirtschaftlich steht Deutschland in diesem Jahr auch vor einem steinigen Weg, ist die Inflation doch zuletzt auf 7,4 Prozent gestiegen. Zudem schwächelt das Wachstum. Wie hoch dürfen da Lohnerhöhungen ausfallen?
Dulger: Wir brauchen moderate Tarifabschlüsse – und dies im Sinne beider Sozialpartner, also der Unternehmer wie der Belegschaften.
Doch DGB-Chef Hoffmann fordert, dass die Inflation in Gänze durch Lohnerhöhungen ausgeglichen werden müsse.
Dulger: Unsere gemeinsame Verantwortung ist es, eine Lohn-Preisspirale zu verhindern. Das geht nur mit einer verantwortungsvollen Tarifpolitik. Die Gewerkschaften können gemeinsam mit uns dazu beitragen, die Inflation zu bändigen. Der Abschluss in der Chemieindustrie und die Entscheidung der Tarifpartner, die Tarifverhandlungen erst wieder im Oktober 2022 aufzunehmen, haben deshalb Vorbildcharakter.
Drohen uns nun Wohlstandsverluste, wie das Habeck und Finanzminister Christian Lindner prophezeien?
Dulger: Die beiden Minister haben das ja bereits ehrlich so gesagt: Wir müssen angesichts der veränderten Lage mit Wohlstandsverlusten rechnen. Zu viele Krisen kommen derzeit zusammen: Neben dem Krieg in der Ukraine wirkt sich immer noch die Corona-Krise aus. In China werden Häfen geschlossen, sodass uns hier Produkte fehlen. Und der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien ist teuer. Daher sind die fetten Jahre erst einmal vorbei, das muss uns allen klar sein.
Das klingt pessimistisch.
Dulger: Nein, ich bin und bleibe Optimist! Von alledem geht die Welt nicht unter. Wir können trotz Einbußen den Wohlstand in unserem Land auf einem möglichst hohen Niveau verteidigen. Mich stimmt es auch optimistisch, dass die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer, die ich kenne, noch volle Auftragsbücher haben. An Aufträgen sollte es die nächsten eineinhalb Jahre nicht mangeln. Jetzt müssen wir alles daransetzen, die Auftragsbücher auch abarbeiten zu können. Insbesondere die Frage von Rohstoffen und Vorprodukten ist hier entscheidend.
Doch Menschen mit geringem Einkommen werden trotz staatlicher Hilfen am meisten unter der großen Krise leiden. Aldi erhöht jetzt den firmeninternen Mindestlohn von 12,50 auf 14 Euro pro Stunde. Ist das ein Vorbild für ganz Deutschland, wo der Mindestlohn zunächst von 9,82 auf 10,45 Euro pro Stunde steigt?
Dulger: Uns geht es nicht um die Höhe des Mindestlohns. Uns geht es um den Weg dorthin. Und dieser Weg ist ein eklatanter Eingriff in unsere Tarifautonomie und ein Vertrauensbruch der Bundesregierung gegenüber uns Sozialpartnern. Die weitere Entwicklung des Mindestlohns muss unverändert in den Händen der Mindestlohnkommission liegen, in der gleichermaßen Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sitzen. Mit dem Beschluss der Bundesregierung wird der Mindestlohn zum Spielball der Politik. Das darf nicht sein.
Und wie schmeckt Ihnen der Aldi-Mindestlohn?
Dulger: Wenn Unternehmen etwas für ihre Beschäftigten tun, finde ich das immer gut. Wie viel sie tun, muss in ihrer Hand liegen. Das Beispiel Aldi zeigt, dass Deutschland ein Land mit einer funktionierenden Sozialen Marktwirtschaft ist.
Doch Deutschland droht eine Rezession. Was sagt der Optimist dazu?
Dulger: Selbst als Optimist rechne ich nicht damit, dass wir um die Rezession herumkommen. Hier reichen schon nach der volkswirtschaftlichen Definition zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem Wachstum. Da bedarf es keiner vertieften wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisse, um zu verstehen, dass eine Rezession eintreten wird. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich die Situation verbessert. Unser Ehrgeiz muss es sein, die Rezession möglichst schnell wieder hinter uns zu lassen. Dabei rechne ich auch mit einer hohen Inflation bis Ende des Jahres. In dieser schwierigen Situation warne ich davor, Unternehmen stärker finanziell zu belasten. Sonst brechen diejenigen zusammen, die wir dringend brauchen oder verlassen frustriert das Land. Nur mit einer starken Wirtschaft kommen wir aus dieser Krise heraus.
Doch nach wie vor suchen Unternehmen auch in der Krise oft verzweifelt nach Fachkräften. Können zu uns geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer den deutschen Facharbeitermangel lindern?
Dulger: Ich glaube nicht, dass dies die Lösung für unseren Fachkräftemangel ist. Wir haben aktuell rund 1,7 Millionen offene Stellen in Deutschland. Bis jetzt sind etwa rund 380.000 ukrainische Flüchtlinge in unserem Land registriert. Davon sind mehr als 75 Prozent Frauen mit Kindern, für die wir gute Rahmenbedingungen für eine Beschäftigungsaufnahme brauchen, damit sie sich bei uns integrieren können. Die Möglichkeit, unbürokratisch eine Arbeit in Deutschland aufnehmen zu können, die den guten Qualifikationen der Geflüchteten entspricht, ist hier zentral. Hier ist die Politik gefragt.
Doch viele junge Frauen könnten doch bei uns arbeiten?
Dulger: Zunächst einmal müssen wir es schaffen, Kita- und Schulplätze für ihre Kinder zu schaffen. Dann können die Frauen Deutsch lernen, um einen Job zu finden, der ihrer Qualifikation entspricht. Wir Arbeitgeber bekennen uns zu unserer Verantwortung, diese Menschen auszubilden und ihnen einen Arbeitsplatz anzubieten. Doch der Weg dorthin führt vor allem über die Kommunen, die mehr Kita-Plätze schaffen müssen.