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Eva Vesterling warnt: Bürokratie lähmt deutsche Wirtschaft

Interview

Chefin der Familienunternehmer: „Der Wahnsinn dauert schon zu lange“

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    Eva Vesterling, Chefin der bayerischen Familienunternehmen: „Wenn Herr Habeck der Wirtschaft helfen will, muss er Strukturreformen auf den Weg bringen.“ 
    Eva Vesterling, Chefin der bayerischen Familienunternehmen: „Wenn Herr Habeck der Wirtschaft helfen will, muss er Strukturreformen auf den Weg bringen.“  Foto: Anne Großmann Fotografie; Die Familienunternehmer

    Frau Vesterling, Sie sind seit Juni die neue Vorsitzende des Verbandes der Familienunternehmer in Bayern. In dem Amt folgen Sie auf Prinz Luitpold. Wie haben Sie die erste Zeit erlebt?

    Eva Vesterling: So schlimm wie jetzt habe ich die Lage bei den Unternehmern noch nicht erlebt. Und ich bin schon seit 20 Jahren in wirtschaftspolitischen Ehrenämtern. Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich an mich gewendet und zum Ausdruck gebracht, dass sie an der Belastungsgrenze arbeiten. Wir haben drei Jahre Pandemie hinter uns und zwei Jahre Rezession. Das hinterlässt bei uns Unternehmen Spuren.

    Schwere wirtschaftliche Zeiten gibt es immer wieder. Was macht die derzeitige Lage so schlimm?

    Vesterling: Die Konjunktur ist eingebrochen, wir rechnen mit 20.000 Unternehmensinsolvenzen in diesem Jahr. Viele Kollegen haben in den Krisen alles eingesetzt, jetzt sind die Reserven abgeschmolzen. Familienunternehmer bringen auch ihre Identität ein - alles, was man hat, was man kann, was man ist.

    Die Situation scheint die Unternehmer inzwischen auch sehr persönlich zu treffen...

    Vesterling: Es fehlt das Verständnis in der Gesellschaft für das Unternehmertum. Das spiegelt sich in Diskussionen wider, aber auch in den politischen Maßnahmen. Man wird obendrein gegängelt. Jede neue bürokratische Regel, jede Berichtspflicht, jede Dokumentationspflicht ist ein Misstrauensvotum gegen Unternehmen. Wie denkt die Politik, dass wir aus der Wirtschaftskrise herauskommen, wenn man die Unternehmer damit beschäftigt, Formulare auszufüllen? Wir möchten gerne zuversichtlich sein, sonst braucht man kein Unternehmen zu führen, aber der Wahnsinn dauert schon zu lange an. In Europa kommen andere Länder besser aus der Krise heraus, Deutschland hinkt hinterher.

    Gerade Bayern war immer stolz auf seinen Mittelstand und die breite Unternehmenslandschaft. Kippt dies?

    Vesterling: Es ist nicht das erste Interesse eines Familienunternehmens, Geschäfte ins Ausland zu verlagern. Viele Unternehmen sind aber exportorientiert und müssen sich am internationalen Wettbewerb messen. Eine Investition muss sich am Ende rechnen. Die Politik bringt hier im Freistaat ein gewisses Verständnis für die Unternehmen mit. Die Regularien kommen aus der Bundespolitik oder aus Europa.

    Das Ifo-Institut hat kürzlich gewarnt, dass es den Unternehmen schwerer fällt, sich zu finanzieren. Was bedeutet diese Entwicklung?

    Vesterling: Unser Unternehmen vermittelt IT-Fach- und Führungskräfte. Wir wissen aus unserer Beratungstätigkeit rund um die Personaleinstellung, dass immer mehr Unternehmen Schwierigkeiten haben, sich auf dem Markt zu behaupten und Investitionen zurückstellen.

    Soll die Ampel durchhalten bis zur Bundestagswahl oder wäre ein Ende mit Schrecken davor sogar besser?

    Vesterling: Wenn die Ampel-Parteien zusammen durchhalten wollen, müssen wir darauf drängen, dass sie ihre Wachstumsgesetze auf die Straße bringen. Wenn die Bundesregierung das bis Jahresende nicht schafft, hat die deutsche Wirtschaft von dieser Koalition nichts mehr zu erwarten. Jeden Tag werden Investitionsentscheidungen gegen unseren Standort getroffen.

    Bringt das Wachstumschancengesetz etwas?

    Vesterling: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber kein großer Wurf. Ähnlich sieht das mit dem Bürokratieentlastungsgesetz aus. Es soll rund eine Milliarde Euro an Entlastungen bringen. Gleichzeitig bringt die EU ein neues Lieferkettengesetz auf den Weg, das einen deutlich größeren Erfüllungsaufwand hat. Unter dem Strich bleibt eine Mehrbelastung, das ist bitter. Es frustrierend, dass sich am Ende des Tages das Blatt nicht wendet.

    Fassen Sie es konkreter, was sind die größten Zeitfresser in punkto Bürokratie?

    Vesterling: Unser Unternehmen hat 50 Mitarbeiter, eine typische Größe im Mittelstand. Mit was beschäftigen wir uns? Wir haben das Arbeitszeitgesetz, das Transparenzregister, die neue Nachhaltigkeitsberichterstattung, das Lieferkettengesetz, die Datenschutzgrundverordnung, die E-Rechnung, die kommendes Jahr kommt, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, den EU AI-Act, eine neue Meldepflicht für Steuersparmodelle. Allein das Urteil zur Arbeitszeiterfassung, hat uns mit der Beschaffung des Programms, Schulungen, Nachfragen und allerlei Sonderfällen über Wochen beschäftigt. Wir müssen bei jedem neuen Gesetz prüfen: Betrifft uns das? In welcher Form? Wer kümmert sich darum? Das alles bindet Kapazität, bringt aber kein Geld, damit verdienen wir keinen Euro. Wir haben da draußen eine Wirtschaftskrise und die Regierung leistet es sich, mit solchen Themen die Unternehmen zu beschäftigen - und wundert sich, dass wir kein Wirtschaftswachstum generieren.

    Treffen das Lieferkettengesetz und die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht in erster Linie größere Unternehmen?

    Vesterling: Es ist ein Märchen, dass das Lieferkettengesetz und die Nachhaltigkeitsberichterstattung nur die großen Unternehmen betreffen. Wir werden von unseren großen Kunden und Partnern aufgefordert, zu berichten, wie unsere Lieferkette aufgestellt ist und unsere Nachhaltigkeit aussieht. Wir haben 2500 Kunden, alle kommen mit einem anderen Fragebogen. Bürokratie kostet Zeit.

    Hat die Regierung auch etwas richtig gemacht?

    Vesterling (lacht): Mit der Frage tue ich mich etwas schwer. Wenn man fair ist, muss man das Bürokratieentlastungsgesetz und das Wachstumschancengesetz nennen. Ich finde es auch richtig, dass mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz das Thema des Fachkräftemangels angegangen worden ist. Es zündet leider nicht.

    Weshalb zündet das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht?

    Vesterling: Das Gesetz kam Stück für Stück, es ist sehr kompliziert. Die langwierigen Verwaltungsverfahren sind oft der Flaschenhals. Mit der Wirtschaftskrise haben wir inzwischen auch andere Rahmenbedingungen: In der Pharma-Branche beispielsweise ist der Fachkräftemangel weiter da, durch die Krise und den Stellenabbau in der Industrie sehen wir inzwischen aber mehr Arbeitslosigkeit. Es ist im Moment schwerer geworden, eine neue Stelle zu finden.

    Spielt auch die politische Lage mit dem Aufschwung der AfD eine Rolle?

    Vesterling: Dies spielt eine Rolle. Hochqualifizierte Akademiker aus dem Ausland haben bisher schon über hohe Hürden springen müssen, um nach Deutschland zu kommen, von der schweren deutschen Sprache über die Visavergabe bis zu hohen Steuern. Jetzt kommt noch die Frage hinzu, wohin das Land vor dem Hintergrund unserer Geschichte politisch steuert. Internationale Medien schauen mit dem Brennglas auf Wahlen in Ostdeutschland. Das führt dazu, dass Highpotentials uns sagen, wir wollen nicht nach Deutschland. Es gibt auch Experten im Westen, die nicht nach Ostdeutschland gehen.

    Um der Wirtschaft einen Booster zu geben, schwebt Wirtschaftsminister Robert Habeck ein milliardenschwerer Investitionsfonds vor. Unternehmer sollten zehn Prozent der Investitionen von der Steuer abgezogen werden. Das müsste Ihnen gefallen, oder?

    Vesterling: Im Gegenteil. Mit seinem Investitionsfonds will Robert Habeck erneut die Schuldenbremse austricksen nach dem Motto: Erst pumpen wir gigantische neue Schulden in den Wirtschaftskreislauf, danach sollen die Unternehmen den Spaß bezahlen. Wenn Herr Habeck der Wirtschaft wirklich helfen will, dann sollte er als allererstes Strukturreformen auf den Weg bringen.

    Was fordern Sie von einer neuen Bundesregierung?

    Vesterling: Das Bürgergeld muss reformiert werden, um Anreize zu senken, die Menschen von der Arbeit abhalten. Wir brauchen auch eine bessere Kinderbetreuung. Viele Mütter in Bayern würden gerne mehr arbeiten, das geht aber nicht ohne Kinderbetreuung. Wir brauchen eine marktwirtschaftliche Energiepolitik, die Sozialversicherung muss zukunftsfest gemacht werden. Und in der Unternehmensbesteuerung müssen wir auf ein international wettbewerbsfähiges Level unter 25 Prozent kommen.

    Die SPD würde gerne die Steuern für Spitzenverdiener anheben. Wäre das ein fairer Deal im Gegenzug für die vielen Wünsche?

    Vesterling: Ich staune, dass manche Konzepte vor jeder Wahl wie ein Kasperl immer wieder aus der Mottenkiste kommen. Es ist das falsche Signal, die Besteuerung anzuheben. In den derzeitigen Krisen haben die Familienunternehmer viel privates Kapital aktiviert, um gut durch die schwierige Zeit zu gelangen. Wir müssen den Vermögensaufbau in der Breite fördern statt an die Substanz zu gehen.

    Irgendwo muss der Staat sein Geld natürlich holen....

    Vesterling: Wie wäre es mit sparen, statt jeden Sonderwunsch mit einem Geldgeschenk zuzukleistern. Wir müssen unser Geld klug einsetzen statt die Ausgaben überall auszuweiten. Deshalb sind wir Familienunternehmer überzeugte Verteidiger der Schuldenbremse.

    Nach den Erfahrungen der Ampel setzen Sie bei der kommenden Bundestagswahl wahrscheinlich auf CDU/CSU?

    Vesterling: Die Bundestagswahl 2025 ist eine Schicksalswahl. Wir haben die Erwartung, dass die Union einen Kurs für Deutschland absteckt, wie wir aus diesem Tal der Tränen herauskommen. Dazu sind auch alle anderen Parteien aufgerufen.

    Zur Person

    Eva Vesterling, 46, ist Vorstand und Gesellschafterin der Personalberatung Vesterling in München. Seit Ende Juni 2024 führt sie den bayerischen Landesbereich der Familienunternehmer.

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