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Euro: EZB-Präsidentin Christine Lagarde hält den Euro zusammen

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EZB-Präsidentin Christine Lagarde hält den Euro zusammen

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    Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, hält eine Rede im EU-Parlament.
    Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, hält eine Rede im EU-Parlament. Foto: Jean-Francois Badias/AP, dpa

    Es sagt einiges über einen Menschen aus, welche Sportart er betreibt oder einmal beherrschte. Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, ist einer der mächtigsten Menschen der Welt. Zumindest die Finanzwelt blickt auf sie, wenn am 6. Juni der Rat der Europäischen Zentralbank zusammenkommt und entscheidet, ob die Zinsen im Euro-Raum nach langer Zeit erstmals wieder herabgesetzt werden. Lagarde, groß gewachsen und schlank, ist ein sportlicher Typ. In ihrer Jugend betätigte sie sich erfolgreich als Synchronschwimmerin und gehörte der französischen Nationalmannschaft an. Wer der Sportart nachgeht, versucht, sich im Nass zur Musik mit Mitstreiterinnen möglichst gleichmäßig zu bewegen und den Kopf über Wasser zu halten. Er lernt zwar viel fürs Leben, werde aber gerne belächelt, wie es in einer Abhandlung der „Freie Schwimmer Bochum 1919 e. V.“ heißt. Die Verantwortlichen des Wassersportvereins bedauern, Synchronschwimmen werde auf bis über beide Ohren grinsende und geschminkte Diven mit Nasenklammern im Gesicht reduziert. Dabei sei neben Kraft, Schnelligkeit und Konzentrationsfähigkeit auch ein gutes Musikgehör, Kreativität und Ausdrucksvermögen wichtig. Begabte Synchronschwimmerinnen zeigten Anpassungsfähigkeit und Teamgeist, Eigenschaften, die der diszipliniert wirkenden Lagarde nicht abzusprechen sind, auch wenn die Vegetarierin und Alkohol-Entsagerin die körperliche Ertüchtigungsform längst gewechselt hat und Yoga praktiziert. 

    EZB-Präsidentin Christine Lagarde kann ihr Lächeln wie mit einer Lampe ein- und ausknipsen.
    EZB-Präsidentin Christine Lagarde kann ihr Lächeln wie mit einer Lampe ein- und ausknipsen. Foto: Luka Dakskobler, SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa

    Betritt die Notenbank-Chefin die Szenerie, zieht sie die Blicke auf sich. Oft überragt die 68-Jährige die Begleiter. Ihr volles graues Haar und das charmante Lächeln wurden neben dem für eine Französin erstaunlich nahezu akzentfreien Englisch zum Markenzeichen. Lagarde kann ihr Lächeln wie eine Lampe an- und ausknipsen. Die Pariserin trägt die Mode ihrer Heimatstadt mit einer Selbstverständlichkeit, die ins Auge sticht. Der Stern hat die Französin als „Preußin in Chanel“ charakterisiert. Die Mutter von zwei Söhnen wählt wie „ihre liebe Freundin Angela Merkel“ immer wieder Blazer in anderen Farben und sucht dazu stilsicher Halstücher aus. Lagarde geht nicht einfach durch einen Raum, sie durchschreitet ihn, anders als Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich schleichend seinen Weg zu bahnen scheint und plötzlich da ist. 

    EZB könnte Zinswende noch vor der US-Notenbank Fed vollziehen

    Die EZB-Präsidentin pflegt wie einst als Synchronschwimmerin Teamgeist und wirkt bemüht, unter den Mitgliedern des Rates der Europäischen Zentralbank einen Gleichklang zu erzeugen. Das ist nicht einfach, muss Lagarde doch Präsidenten der nationalen Zentralbanken, die in dem Gremium vertreten sind, auf eine Linie einschwören. Das scheint ihr wiederum gelungen zu sein. Es ist möglich, dass die EZB eben am 6. Juni die Zinsen leicht senkt, nachdem sie seit Juli 2022 zehnmal erhöht wurden. Noch liegt der Einlage-Zinssatz, den Banken für geparkte Gelder bei der EZB erhalten, bei 4,0 Prozent. Sollte der EZB-Rat Geld wieder etwas billiger machen, würde er vorpreschen und die Zinswende vor der US-Notenbank Fed vollziehen. 

    Um die schwer zu durchschauende Welt der Notenbanken zu begreifen, sind Grundkenntnisse in der Vogelkunde förderlich, schließlich werden Notenbanker in zwei gefiederte Kategorien eingeteilt: Zunächst gibt es die Falken, welche die Inflation mit allen Mitteln bekämpfen. Die Null- und Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank unter ihrem früheren Präsidenten, dem Italiener Mario Draghi, lief dem Beuteschema der Falken zuwider. Schließlich lehnen es die Stabilität-Wahrer ab, dass südeuropäische Schulden-Staaten ihre Leidenschaft des Geldausgebens ausleben können, weil die europäische Notenbank mit milliardenschweren Garantie-Zusagen die Hand über ihr Treiben hält. Doch die Falken wurden müde im Euroland. Ober-Falke Jens Weidmann, einst Präsident der Bundesbank, drehte ab, obwohl er für die Nachfolge Draghis gehandelt wurde. Im Bewusstsein, dass Falken auf der geldpolitischen Roten Liste gefährdeter Arten im Euroland stehen, trat er als Bundesbank-Chef zurück und beraubte sich damit aller Chancen, auf den EZB-Thron zu steigen. 

    Letzte Meile zur Bekämpfung der Inflation ist die härteste

    Weidmann wollte nicht Boss einer Tauben-Mehrheit werden. Der Friedensvogel ist das Wappentier der Zentralbanker, die für lockere Geldpolitik ihre Kreise ziehen. Tauben halten so lange wie möglich an niedrigen Zinsen fest. Stramme Falken würden die Zinsen am 6. Juni noch nicht senken. Denn die Inflation in der Eurozone ist zwar von 10,6 Prozent im Oktober 2022 auf 2,4 Prozent zurückgegangen, aber im Mai wieder auf 2,6 Prozent gestiegen. Die letzte Meile zur Bekämpfung der Teuerung ist die härteste. Darauf verweist Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer, der unter den führenden heimischen Ökonomen eher unter die Kategorie der Falken fällt. Denn für die EZB ist der Inflationsbekämpfungs-Job erst erledigt, wenn die Teuerung mittelfristig bei 2,0 verharrt. Daran hegt Krämer vorerst Zweifel. Der Notenbank-Beobachter geht davon aus, „dass die EZB die Zinsen bis Frühjahr 2025 insgesamt viermal um 0,25 Prozentpunkte auf einen Einlagensatz von 3,0 Prozent senkt“. Dann könnte es im europäischen Geld-Taubenschlag ein böses Erwachen geben. Krämer glaubt, dass Anfang kommenden Jahres der Leitzins auf absehbare Zeit nicht wesentlich unter 3,0 Prozent fallen dürfte. Davon geht der Ökonom aus, weil er damit rechnet, dass die Inflation Ende des Jahres „eher wieder bei 3,0 Prozent steht“. Demnach würde die Teuerung erneut zulegen, vor allem weil die Löhne in wichtigen Euro-Ländern wie Deutschland steigen und so die Preise antreiben. 

    Und wo ist Lagarde finanz-vogelkundlich einzuordnen? Für Krämer trete die frühere französische Wirtschafts- und Finanzministerin als Zentralbank-Chefin „eher als Moderatorin auf, ohne klar für das Lager der Tauben oder moderaten Falken Partei zu ergreifen“. Die Notenbankerin verhält sich insofern wie eine kluge Politikerin und nimmt wie schon in ihrer früheren Funktion als Chefin des Internationalen Währungsfonds eine ausgleichende Haltung ein. So umschreibt das auch Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW-Institut. Der Volkswirtschaftsprofessor ist überzeugt: „Frau Lagarde ist weder ein Falke noch eine exponierte Taube.“ Die Strategie der Französin schält sich immer mehr heraus: Sie ergründet, wie die Mehrheitsmeinung im EZB-Rat als höchstem Beschlussorgan der Notenbank ist. Hat die Zentralbank-Präsidentin ein Gefühl für die Stimmungslage, vertritt sie die Mehrheitsmeinung loyal nach außen. So funktioniert moderne und empathisch-teamorientierte Machtpolitik. 

    Lagarde schirmt konfliktreiche Themen gerne ab

    Lagarde schirmt indes konfliktreiche Themen gerne ab. Dabei schleppt sie ein dickes Problem mit sich herum, nämlich die ausufernde Staatsverschuldung Italiens, die, gemessen an der Wirtschaftsleistung, bei fast 140 Prozent liegt, während es in Deutschland zuletzt gut 60 Prozent waren. Nach den Maastricht-Kriterien darf der öffentliche Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Für Heinemann ist „Italien das Problem der EZB“. Droht unter der auf Ausgleich bedachten Lagarde eine neue, von Rom ausgehende Euro-Krise? Der ZEW-Ökonom winkt ab: „Euro-Länder wie Italien müssen sich nicht fürchten, von den Finanzmärkten ins Visier genommen zu werden, hat die Europäische Zentralbank doch viel zu hohe Garantien für die Schuldenländer ausgesprochen.“ 

    Derlei Finanzthemen bleiben einer breiteren Öffentlichkeit meist verborgen. Ein Politiker versucht dennoch, Menschen für die Risiken der europäischen Geldpolitik zu sensibilisieren. Der schwäbische Europa-Abgeordnete Markus Ferber bemängelt: „Dass Frau Lagarde zu spät an der Zinsschraube nach oben gedreht hat, hat uns in Europa viel Geld gekostet.“ Der Hintergrund ist klar: Die US-Notenbank hatte in Zeiten anziehender Inflation die Zinsen früher als die Europäische Zentralbank angehoben und damit Anlagen in den USA attraktiver gemacht. So sei, erinnert sich der CSU-Politiker, viel Geld von Europa nach Amerika abgeflossen. 

    Der Druck auf die EZB-Präsidentin bleibt hoch. Damit kann sie umgehen, schien doch ihre Karriere in den Jahren zwischen 2013 und 2016 immer wieder vor dem Aus zu stehen. Lagarde geriet in den Strudel der Affäre um den ehemaligen Adidas-Großaktionär Bernard Tapie. In dem verschlungenen Skandal hatte sich Lagarde als Wirtschaftsministerin einst nach Einschätzung von Beobachtern zu leichtfertig auf einen Deal mit dem dubiosen Manager eingelassen. Die Justiz bescheinigte ihr, mit Steuergeldern nicht sachgemäß verfahren zu haben. Andere Politiker wären zurückgetreten. Lagarde, damals schon Chefin des Internationalen Währungsfonds, blieb im Amt. Ihre Beliebtheit schützte sie. 

    Was macht Christine Lagarde in der Zukunft?

    Der Tapie-Skandal ist vergessen, nur ein Absatz in der erfolgreichen Karriere Lagardes. Die Französin ist auf Bodenständigkeit bedacht, hat in Frankfurt eine Wohnung und mischt sich dort unters Volk. In der Hochphase der Inflation beteuerte sie, selbst einzukaufen und dadurch zu wissen, wie stark die angezogenen Preise Menschen belasten. Zu Ironie ist die oberste europäische Währungshüterin auch fähig. Bekanntlich war der Absturz der US-Bank Lehman Brothers einer der wesentlichen Auslöser der weltweiten Finanzmarktkrise. Darauf angesprochen, meinte die Französin nur: „Hätte es sich um die Lehman Sisters gehandelt, wäre die Welt eine andere.“ Nach der Lagarde-Logik wären mehr Frauen an Machtpositionen ein Garant für weniger Krisen. Was die Europäische Zentralbank betrifft, darf sie die Gültigkeit des Prinzips noch bis Ende Oktober 2027 beweisen, schließlich wurde sie für acht Jahre gewählt. Dann ist nach den EZB-Statuten Schluss. Schon jetzt wird in Frankfurt und in Brüssel getuschelt, wer ihr nachfolgen soll. An sich ist Deutschland an der Reihe. Das Land hat noch nie den Spitzenposten der Europäischen Zentralbank innegehabt. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel, der geschmeidiger und damit Tauben-verträglicher als sein Vorgänger Weidmann wirkt, könnte 2027 zugreifen. 

    Zwei mächtige Frauen: EZB-Präsidentin Christine Lagarde (rechts) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel.
    Zwei mächtige Frauen: EZB-Präsidentin Christine Lagarde (rechts) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP

    Derart einfach laufen die Dinge in Europa nicht. Denn die Deutsche Ursula von der Leyen will bekanntlich nach den Europawahlen EU-Kommissionspräsidentin bleiben. Schafft sie das und erkämpft sich weitere fünf Jahre im Amt, habe Nagel ein Problem, wird in EU-Kreisen kolportiert. Denn es gilt als unwahrscheinlich, dass Deutschland sowohl den Kommissions- als auch den Notenbank-Chefsessel für sich reklamieren kann. Lagarde kennt diese Gesetze. Will sie aber überhaupt bleiben, was sie ist? Immer wieder wird spekuliert, sie könnte auf ein Spitzenamt in Brüssel wechseln oder eine führende Funktion in der französischen Regierung übernehmen. Als Lagarde gefragt wurde, weshalb sie das Angebot, französische Außenministerin zu werden, abschlägig beschieden habe, meinte sie: „Sie könnten mir das Amt der Königin von Preußen anbieten, und ich würde Nein sagen.“ Schließlich habe sie eine Mission als EZB-Chefin, nämlich die Inflation zu bekämpfen. Und wenn der Job erledigt ist? Für die Französin scheint stets alles möglich zu sein. Die Karriere der Juristin zeigt: Immer wieder gehen neue Türen auf. Lagarde schwimmt meist oben. 

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