Einen Vorgeschmack auf das, was bei diesem EU-Gipfel auf Olaf Scholz zukommen würde, gab es bei der Ankunft des Kanzlers im Brüsseler Ratsgebäude. Eine Wand aus Dutzenden Journalisten mit ihren Mikrofonen und Kameras tat sich vor ihm auf – mit einer drängenden Frage, die erst auf Deutsch und dann noch einmal auf Englisch gestellt wurde: Wie steht es um die Solidarität Deutschlands mit dem Rest Europas?
Es sei „ganz klar“, sagte Scholz: Deutschland habe „sehr solidarisch“ gehandelt, etwa in Bezug auf den Corona-Wiederaufbaufonds, den er selbst entwickelt habe. Nun steht Scholz anderen Politikern im Phrasenbingo in nichts nach und wenn sich für den Kanzler etwas als „ganz klar“ darstellt, muss es für die anderen nicht zwingend „ganz klar“ sein. Das war auch am ersten Tag des Gipfeltreffens der 27 Staats- und Regierungschefs der Fall, zumindest für viele Mitgliedstaaten, die den Deutschen Egoismus und nationale Alleingänge – Stichwort 200-Milliarden-Euro-Entlastungspaket – vorwerfen im Kampf gegen die Energiekrise.
Zwischen den Partnern Deutschland und Frankreich droht heftiger Streit
Öl ins Feuer goss Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. „Ich denke, es ist weder für Deutschland noch für Europa gut, wenn es sich isoliert“, sagte er am Donnerstag bei seiner Ankunft in Brüssel gleich zwei Mal, um dann nachzuschieben, dass er mit Scholz an einer Lösung arbeiten werden. „Wir müssen absolut unsere Einigkeit wahren“, sagte Macron.
Beobachter reagierten jedoch irritiert. Die deutsch-französische Beziehung gilt als Motor der europäischen Zusammenarbeit. Nun scheint dieser ins Stocken geraten zu sein über die Frage, welche Richtung die EU einschlagen soll, um gegen die hohen Preise anzugehen. Das Thema stand ganz oben auf der Agenda. Es drohte ein heftiger Streit.
Denn eigentlich waren sich die Partner zunächst lediglich in einer Sache einig: Die Kosten müssen so schnell wie möglich runter. Uneins präsentiert man sich in der Grundsatzfrage, wie die Gemeinschaft damit umgehen will, wenn es im Frühjahr weitere Preisexplosionen gibt. Würde man alle Summen bezahlen – oder braucht es einen Deckel auf Gaspreise? Der Großteil der EU-Länder, darunter Frankreich, Italien und Spanien, pocht auf eine Obergrenze. Dass man sich in diesem Club zwar auch nicht festlegen kann, wie der Deckel aussehen soll, sei einmal dahingestellt.
Die EU-Kommission schlägt ein 40-Milliarden-Euro Paket zur Entlastung vor
Einverstanden immerhin sind sie in ihrem Ärger auf Deutschland. Das nämlich lehnt einen wie auch immer gearteten Preisdeckel ab. Ein solches Instrument „birgt immer das Risiko, dass die Produzenten ihr Gas dann anderswo verkaufen – und wir Europäer am Ende nicht mehr Gas bekommen, sondern weniger“, sagte Scholz. Die Befürchtung, die auch von Dänemark und den Niederlanden geteilt wird, ist groß, dass die Lieferstaaten ihre Flüssiggastanker auf hoher See zurückpfeifen und statt nach Europa in Regionen schicken könnten, wo mehr bezahlt wird, etwa nach Asien.
Die EU-Kommission trat in diesem Zwist beinahe als eine Art Schlichterin auf. So schlug die Brüsseler Behörde ein 40-Milliarden-Euro-Paket vor, um Bürger und Unternehmen in der EU zu entlasten, ein „halber Wumms“, wenn man so will. Und statt des umstrittenen Gaspreisdeckels sollen die Mitgliedstaaten nach dem Vorschlag der Kommission künftig einen Teil ihres Gases gemeinsam einkaufen. Diese Idee unterstützt auch Berlin, seit die eigenen Speicher gefüllt sind.