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EU-Beschluss zum Verbrennungsmotor: Was bringt das Verbot 2035?

Aus für den Verbrenner

Was bringt ein Verbot des Verbrennungsmotors?

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    Abgase
Im Kampf für mehr Klimaschutz will das EU-Parlament den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 verbieten.
    Abgase Im Kampf für mehr Klimaschutz will das EU-Parlament den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 verbieten. Foto: Marijan Murat, dpa

    Wenn es um das Thema Verbrennungsmotor geht, werden die ganz schweren verbalen Waffen ausgepackt. Mit dem geplanten EU-weiten Verkaufsverbot ab dem Jahr 2035 bereite das Europäische Parlament „wohl die Deindustrialisierung des Kontinents vor“, ärgert sich der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Die Automobil-Lobbyistin Hildegard Müller spricht von einer Entscheidung „gegen die Bürger, gegen den Markt, gegen Innovation und gegen moderne Technologien“.

    Bundesverkehrsminister Volker Wissing will seine Zustimmung verweigern. Und doch ist der Wandel kaum mehr aufzuhalten. Zwar müssen tatsächlich die einzelnen Nationalstaaten dem Beschluss noch zustimmen – aber dieser Schritt braucht nicht einstimmig zu erfolgen. Dass es Deutschland gelingt, das Vorhaben zu stoppen, ist daher unwahrscheinlich, einzig einige Ausnahmen könnten noch in den Beschluss reinverhandelt werden. Unterm Strich werden sie den Abschiedsschmerz aber höchstens verlängern. Damit ist einer der massivsten politischen Eingriffe auch in die deutsche Wirtschaft so gut wie sicher – eine industrielle und mobilitätstechnische Zeitenwende.

    Umfrage zeigt, dass Mehrheit gegen ein Verbot ist

    Die Bevölkerung blickt mit zumindest gemischten Gefühlen auf das Thema. Viele Menschen in Deutschland lehnen Umfragen zufolge ein Verbot von Verbrennerautos ab. Wie der Fernsehsender Welt unter Berufung auf eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Civey berichtete, halten 57 Prozent ein Verbrennerverbot für falsch. 35 Prozent der Befragten sähen es hingegen als die richtige Entscheidung an. Die restlichen 8 Prozent seien unentschieden. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov kam bei einer Umfrage mit einer ähnlichen Frage zum Ergebnis, dass 51 Prozent der Deutschen den Beschluss des EU-Parlaments ablehnen. 37 Prozent befürworten hingegen die Entscheidung. 12 Prozent machten keine Angabe.

    Elektromobilität gilt als zukunftsweisend.
    Elektromobilität gilt als zukunftsweisend. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Viele Experten hingegen sehen in dem politischen Bekenntnis einen Schritt in die richtige Richtung. „Der größte Vorteil der Entscheidung ist, dass so die Autoindustrie und auch die Kunden Planungssicherheit erhalten“, beurteilt Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin die Entscheidung. „Die Elektromobilität ist gesetzt.“ Damit sei klar, dass Verbrenner Auslaufmodelle seien. „Gut ist auch, dass jetzt die Ideologie der Technologieoffenheit zerbröselt ist", sagt Canzler. „Es kann und wird jetzt alles schneller gehen.“ Denn das EU-Parlament hat der Nutzung synthetischer Kraftstoffe quasi eine Absage erteilt. Die Antriebswende werde so an Fahrt gewinnen – für Canzler die Voraussetzung für eine klimaverträgliche Mobilität. Tatsächlich sind es auch die Automobilhersteller, die erstaunlich gelassen reagieren. Es sei ein „ambitioniertes, aber erreichbares Ziel“ formuliert worden, hieß es bei VW. „Die Wende zur Elektromobilität ist unumkehrbar. Sie ist die ökologisch, technologisch und wirtschaftlich die einzig sinnvolle Möglichkeit, um Verbrennungsmotoren schnellstmöglich zu ersetzen.“

    So stark belastet der Verkehrssektor die Umwelt

    Der Verkehrssektor ist laut Bundesregierung nach der Energiewirtschaft und der Industrie mit rund 20 Prozent CO2 -Ausstoß der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen. Für etwa 61 Prozent davon seien Benzin- und Diesel-Pkw, für 36 Prozent Lkw verantwortlich. Seit 1995 ist der CO2-Ausstoß des Personenverkehrs nicht gesunken, obwohl die Fahrzeuge energieeffizienter sind. Rund 48 Millionen Verbrenner-Pkw sind allein in Deutschland unterwegs. Dabei verursacht ein Elektrofahrzeug der Kompaktklasse über den gesamten Lebensweg bis zu 30 Prozent weniger Treibhausgase als ein vergleichbares Benzin- oder Dieselfahrzeug.

    „Elektrofahrzeuge sind die aus heutiger Perspektive effizientesten Antriebe, die entsprechend schonend mit dem verfügbaren Energieangebot umgehen“, urteilen Thomas Grube und Detlev Stolten, beide Mobilitätsexperten am Forschungszentrum Jülich. Denn E-Autos würden weniger (erneuerbare) Energien benötigen als Fahrzeuge, die etwa mit synthetischen Kraftstoffen angetrieben werden. „Bezogen auf einen Mittelklasse-Pkw wird bei Nutzung synthetischer flüssiger Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren im Vergleich zum Batterie-Pkw rund sieben Mal mehr erneuerbare Energie je Kilometer benötigt“, rechnen Stolten und Grube vor.

    Allerdings sei die Umstellung des Fahrzeugbestandes ein langwieriger Prozess. Denn die EU will zwar Neuwagen mit Verbrennungsmotor verbieten, alle Autos, die bis 2035 im Verkehr sind, dürfen aber weitergefahren werden. Auch der Handel mit Gebrauchtfahrzeugen ist nicht betroffen. Man geht davon aus, dass heute Autos eine Lebensdauer von im Schnitt 14 Jahren haben. Die Folge: „Trotz Verbrennerverbot müssten 2045 noch immer zwei Millionen Pkw mit kohlenstoffhaltigen Kraftstoffen versorgt werden“, so Stolten und Grube.

    Auch deshalb mahnen Experten, dass der Plan der EU nur ein Mosaik in einem viel größeren Bauwerk für den Umweltschutz sein kann. „Eine klimaverträgliche Mobilität ist mehr als die Antriebswende“, sagt Weert Canzler. Deutschland brauche eine viel größere Effizienz im Verkehr. „Das geht nur mit weniger Autos“, sagt er. Dafür müssten aus seiner Sicht Privilegien des Autos abgebaut werden. Das Hauptprivileg sieht er im kostengünstigen Parken im öffentlichen Raum. „Der Hebel ist daher: Parken muss spürbar kosten. Nicht nur das: Die Verkehrsflächen des Autos müssen teilweise entsiegelt und gerade in Städten zugunsten seiner Alternativen umverteilt werden“, sagt er. „Wer sichere Fahrradwege sät, erntet Fahrradverkehr.“

    An die Notwendigkeit weiterer Regeln glaubt auch Claus Doll, Leiter des Kompetenzzentrums für Energietechnologien und Energiesysteme am Fraunhofer-Institut in Karlsruhe. Treibhausgase hätten eine lange Verweilzeit in der Atmosphäre, deshalb sei die Treibhausgasneutralität bis 2045, die die EU anstrebt, nicht realistisch, wenn weiter alte Verbrenner auf den Straßen unterwegs seien. Doll nennt einige weitere Steuerungsinstrumente, auf die die Politik setzen könnte: Steuern und Abgaben auf Verbrennerautos sowie auf Kraftstoffe, CO2-Gebühren, die Verbesserung des ÖPNV, der Umbau von Städten, Informationskampagnen. Allein ein Verkaufsverbot, so der Experte, reiche jedenfalls nicht.

    Viele Länder wollen schneller sein

    Ohnehin ist das Vorhaben des Europäischen Parlamentes nur auf den ersten Blick ambitioniert. In manchen Ländern gibt es bereits seit einiger Zeit ein Ausstiegsdatum, das deutlich vor dem Jahr 2035 liegt: Norwegen zum Beispiel will ab 2025 keine Verkäufe von Fahrzeugen mit klassischen Benziner- oder Dieselantrieben mehr zulassen. Großbritannien, Schweden, Dänemark, die Niederlande und Belgien peilten dafür zuletzt das Jahr 2030 an. Sogar das riesige Schwellenland Indien will mittelfristig aus der herkömmlichen Kraftstofftechnik aussteigen. Sogar Mercedes-Benz forderte im vergangenen November auf der Weltklimakonferenz in Glasgow einen Verkaufsstopp für Verbrenner in den führenden Märkten ab 2035.

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