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EU-Austritt: Bayerische Unternehmen wollen Klarheit zum Brexit

EU-Austritt

Bayerische Unternehmen wollen Klarheit zum Brexit

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    Brüssel und London arbeiten seit Monaten an einem Handelspakt. Bisher ohne Ergebnis.
    Brüssel und London arbeiten seit Monaten an einem Handelspakt. Bisher ohne Ergebnis. Foto: dpa

    Reinhold Braun, Geschäftsführer von Sortimo aus Zusmarshausen, hätte vor allem gerne eins: „Endlich Klarheit.“ Nur: Klarheit im Beziehungsstatus ist nicht gerade das, was die EU und das Vereinigte Königreich zu bieten haben. Seit Monaten ziehen sich nun die Verhandlungen über einen Handelspakt hin. Seit Monaten ist unklar, wie es nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase zum Jahreswechsel weitergeht. Mit einem Abkommen oder doch ohne? Und davor gab es ja über Jahre bereits das Gezerre um den Austritt Großbritanniens aus der EU selbst. Braun sagt: „Wir haben uns jetzt schon fünfmal auf einen harten Brexit vorbereitet. Aber jedes Unternehmen braucht eine Perspektive, einen Planungshorizont.“ Den allerdings gebe es seit Jahren nicht mehr. Braun sagt: „Das führt jede Planung ad absurdum. Durch das Brexit-Szenario haben wir schon Millionen verbrannt.“

    Sortimo ist eines von vielen mittelständischen Unternehmen aus der Region, die gespannt auf das schauen, was EU-Unterhändler Michel Barnier und sein britischer Antagonist, David Frost, bisher nicht erledigt haben. Sortimo ist Spezialist für Fahrzeugeinrichtungen, Beklebungen und Arbeitsplatzorganisation. Produziert wird zwar ausschließlich im heimischen Werk im Landkreis Augsburg, aber das Unternehmen ist auch international unterwegs. 1300 Mitarbeiter hat es weltweit. Ein Joint Venture in den USA, 25 Importeure rund um den Globus, neun Tochterunternehmen in Europa. Eines davon – mit 50 Kollegen – steht in Großbritannien, Warrington, in der Nähe von Manchester. Auf der Insel, sagt Braun, habe Sortimo früher 30 Prozent des Umsatzes gemacht. Inzwischen seien es nur noch rund 20 Prozent.

    BIHK-Umfrage: Brexit beschäftigt die Unternehmen

    Sein Unternehmen ist in Bayerisch-Schwaben eines von rund 500 Unternehmen, die laut Industrie- und Handelskammer aktive Wirtschaftsbeziehungen nach Großbritannien und Nordirland haben. Darunter sind vor allem Autozulieferer, Maschinenbauer, aber auch Lebensmittelhändler oder Speditionen. Einige von ihnen exportieren Güter oder beziehen Waren von der Insel oder haben, wie Sortimo, Niederlassungen vor Ort.

    Werden sich Großbritannien und die EU noch einig?
    Werden sich Großbritannien und die EU noch einig? Foto: Stefan Rousseau/PA Wire, dpa

    Was macht nun das die Geduld aller Beteiligten auf eine harte Probe stellende Gerangel zwischen Brüssel und London mit der Perspektive der hiesigen Unternehmen? Laut der einer BIHK-Umfrage geht fast jedes zweite Unternehmen davon aus, dass sich ihre Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich 2021 verschlechtern werden. Wegen der unklaren Lage hätten 46 Prozent der Befragten bereits vergeblich versucht, sich auf die Zeit nach dem vollständigen Brexit vorzubereiten und dafür beachtliche Summen investiert.

    Horrorszenario eines No-Deal: Lastwagen-Schlangen im Dauerstau

    Ohne Handelsabkommen drohen zum Jahreswechsel Zölle und andere Handelshürden zwischen Großbritannien und dem Kontinent. Denn dann läuft die Brexit-Übergangsfrist aus, während der – trotz des britischen EU-Austritts am 31. Januar – zunächst alles beim Alten geblieben war. Die Wirtschaft beiderseits des Ärmelkanals fürchtet bei einem No-Deal-Brexit Verwerfungen. Das Horror-Szenario von kilometerlangen Lastwagen-Schlangen im Dauerstau vor den Häfen in Dover oder Calais ist inzwischen jedem geläufig.

    Nach Reinhold Brauns Erfahrung ist der Handel längst erschwert. Und allein die bereits jetzt bestehende Unsicherheit führe am Eurotunnel unter dem Ärmelkanal zu Wartezeiten von bis zu acht Stunden. Viele britische Unternehmen deckten sich jetzt einerseits nochmals mit Waren ein. Denn es sei schließlich unklar, was passiere, wenn Großbritannien nach der EU auch den Binnenmarkt und die Zollunion verlässt. Viele Speditionen, sagt Braun, führen andererseits aber auch gar nicht mehr rüber, weil sie oft leer zurückfahren müssten. So was lohnt sich nicht.

    Boris Johnson und Ursula von der Leyen wollen verhandeln.
    Boris Johnson und Ursula von der Leyen wollen verhandeln. Foto: Stefan Rousseau/PA Wire, dpa (Archivbild)

    Handelsvolumen mit dem Vereinigten Königreich schrumpft

    Das Handelsvolumen mit dem Königreich schrumpft. Bayernweit ist Großbritannien mit einem Exportvolumen von 12,5 Milliarden Euro der sechstwichtigste Handelspartner. 2019 gingen 6,6 Prozent aller bayerischen Exporte auf die Insel. Seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 schwindet das Handelsvolumen laut IHK kontinuierlich. Damals war Großbritannien noch Bayerns zweitwichtigster Exportmarkt. Von Januar bis September 2020 sanken die bayerischen Ausfuhren auf die Insel im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum noch einmal um 22,8 Prozent – deutlich stärker als das coronabedingte Gesamtminus von 14,8 Prozent. Stefan Offermann, Vorsitzender des Ausschusses International der IHK Schwaben sagt: „Das zeigt, wie groß die Verunsicherung der heimischen Wirtschaft zuletzt bereits war, und lässt erahnen, welche Folgen ein ungeregelter Brexit hätte“.

    Eine im Auftrag der IHK München – vor der Corona-Pandemie – erstellte Studie des ifo-Instituts München hat ferner ergeben, dass ein harter Brexit Bayern langfristig 0,24 Prozentpunkte Wirtschaftswachstum kosten könnte, ein Verlust von 1,4 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung.

    Laut der BIHK-Umfrage sehen rund 80 Prozent der Unternehmen die größten Risiken bei den ausstehenden Regeln zum Warenverkehr, in den Grenzkontrollen und der anstehenden Zollbürokratie. „Ohne Handelsabkommen würden für den Warenverkehr mit Großbritannien Regeln wie mit einem Drittstaat außerhalb der EU gelten“, erklärt IHK-Experte Offermann und warnt zugleich: „Selbst bei einem positiven Abschluss der Verhandlungen werden ab Januar 2021 zollrechtliche Vorschriften für den Warenverkehr gelten, mit denen viele Unternehmen, die bislang nur im EU-Binnenmarkt tätig waren, keinerlei Erfahrung haben“. Allein in Deutschland, das keine Außengrenzen zu Großbritannien hat, wurde der Zoll wegen des Brexit um 900 Stellen aufgestockt.

    Welche Blüten das erwartete Chaos umgekehrt zum Beispiel zeitigt, war kürzlich im Observer nachzulesen. Einem Bericht des Blattes zufolge plant die britische Regierung, den kürzlich in dem Land zugelassenen Corona-Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer mit Militärflugzeugen einzufliegen. Damit soll verhindert werden, dass das ersehnte Mittel den befürchteten Dauerstaus an den Grenzen zum Opfer fällt.

    Es muss eine Entscheidung her, sagt Geschäftsführer Braun. „Lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende.“ (mit dpa)

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