Humor hat sie jedenfalls. Als erste Spekulationen aufkamen, Kaja Kallas könnte die nächste „Außenministerin“ der Europäischen Union werden, zitierte ein Politmagazin eine anonyme Quelle: „Wollen wir wirklich jemanden, der gern Russen zum Frühstück isst, in diese Position bringen?“ Die estnische Premierministerin konterte prompt mit einem Foto ihres Frühstückstisches: Blaubeeren, Müsli, keine Russen.
Richtig ist allerdings, dass es kaum andere europäische Regierungschefinnen oder -chefs gibt, die derart klare Kante gegen Wladimir Putin zeigen wie die 47-Jährige - und das liegt nicht nur daran, dass ihr Land direkt an Russland grenzt.
In einer Zeit, in der die Unterstützung für die Ukraine bröckelt, in der mit Viktor Orban ein EU-Regierungschef mal eben zum Handeschütteln nach Moskau reist, in der Donald Trump ante portas steht, setzt Europa mit der Ernennung von Kallas ein Ausrufezeichen. Die Liberale kämpfte in den vergangenen Jahren unermüdlich für Kiew, will die Ukraine in Nato und EU aufnehmen. Dementsprechend groß ist die Wut im Kreml.
Das russische Innenministerium setzte Kallas sogar auf eine Fahndungsliste. Doch das reicht nicht, um die Politikerin einzuschüchtern, die seit 2021 in Tallinn regierte. „Er will, dass wir Angst haben, aber damit würden wir ihm geben, was er will. Deshalb sollten wir keine Angst haben“, sagte sie damals.
Die Geschichte ihrer eigenen Familie steht für viele andere im Baltikum. Mutter, Großmutter und Urgroßmutter wurden zu Sowjetzeiten nach Sibirien verschleppt. Der Angriff Russlands auf die ehemalige Sowjetrepublik Ukraine hat auch in Estland alte Wunden aufgerissen und neue Ängste geweckt. Kallas versucht, ihren Landsleuten die Verunsicherung zu nehmen.
Als neue „Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik“, wie das Amt genau genommen heißt, ist Kallas nun auch ganz offiziell das Gesicht der EU nach außen. Ihren bisherigen Posten als Premierministerin hatte sie bereits vor einigen Tagen zugunsten der neuen Aufgabe in Brüssel aufgegeben.
Dass Tallinn nicht die Endstation ihrer politischen Karriere sein würde, hatte sich schon länger angedeutet. Auch als Nachfolgerin von Jens Stoltenberg an der Spitze der Nato war die frühere Rechtsanwältin, deren Vater und Großvater ebenfalls Spitzenpolitiker in Estland waren, schon im Gespräch gewesen.
Der Zeitpunkt, um als Premierministerin abzutreten, war günstig, denn die Umfragewerte ihrer Regierung sind im Keller. Auch Estland, ein Land der Start-Ups, der Digitalisierung und Jungunternehmer, leidet unter einer wirtschaftlichen Flaute.
Viel Zeit zum Ankommen wird Kallas, zum zweiten Mal verheiratet und Mutter von drei Kindern, in Brüssel nicht haben. Zwar hat die stabile Mehrheit für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gezeigt, dass die demokratischen Kräfte zusammenhalten können, wenn es darauf ankommt. Aber genauso offensichtlich wurde in den vergangenen Tagen durch die Welttournee des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, dass die EU in der Außenpolitik keineswegs mit einer Stimme spricht.
Und sollten die Republikaner tatsächlich das Weiße Haus in Washington zurückerobern, wird es einer Menge Selbstbewusstsein bedürfen, um sich gegen politische Rabauken wie Donald Trump oder dessen desiginierten Vize J.D. Vance zu behaupten.
Dass sie keine Angst vor der Konfrontation hat, konnte Kaja Kallas im Umgang mit Wladimir Putin immerhin schon unter Beweis stellen. „Ich muss wohl irgendwas richtig gemacht haben, wenn die Russen so sauer auf mich sind“, sagte sie selbst Anfang des Jahres dazu.
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