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Ethikrat zum Klimawandel: Lasten müssen gerecht verteilt werden, Reiche müssen mehr Beitrag leisten

Interview

Ethikrat zum Klimawandel: "Abwarten ist keine Option mehr"

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    Spanien leidet unter massiver Trockenheit. "Je länger wir im Klimaschutz warten, desto mehr verstärken wir die Ungerechtigkeiten", warnen Mitglieder des deutschen Ethikrats.
    Spanien leidet unter massiver Trockenheit. "Je länger wir im Klimaschutz warten, desto mehr verstärken wir die Ungerechtigkeiten", warnen Mitglieder des deutschen Ethikrats. Foto: Lorena Sopena

    Frau Professor Schlögl-Flierl, Herr Kruip, die CSU will das Verbrennerverbot in der EU bis 2035 wieder kippen, die Bundesregierung hat sich von Sektorzielen verabschiedet, und Fridays for Future bewegt nicht mehr wie früher. Machen Sie sich Sorgen, dass der Klimaschutz ins Hintertreffen gerät? 

    Stephan Kruip: Jetzt ist die Zeit für Klimaschutz. Der März 2024 war der wärmste März seit Beginn der Klimaaufzeichnungen, gleiches gilt für den Februar und für das ganze Jahr 2023. Je länger wir warten, desto mehr verstärken wir die Ungerechtigkeiten. Zwischen 70 und 80 Prozent der Jugendlichen haben Angst, welche Zukunft ihnen der Klimawandel bringt.

    Eine Sorge der Bevölkerung ist sicher, dass der Klimaschutz die Bürger stark belastet. Das hat die Debatte um das Heizungsgesetz gezeigt ...

    Kruip: Der Klimawandel bringt zunächst selbst riesige Kosten mit sich. Es zeigt sich, dass gerade sozial Schwächere von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. In Entwicklungsländern leiden sie unter Überschwemmungen und Dürren, auch bei uns zeigen sich Folgen, wenn zum Beispiel Ärmere keine Klimaanlage haben, die sie im Sommer anstellen können, oder sozial schwächeren Familien das Geld für einen Freibadeintritt fehlt. Dazu kommen Schäden, weil Arten verloren gehen und anderes mehr. Um das Klima zu schützen, sind Maßnahmen nötig, die wiederum auch Belastungen für die Bürger darstellen.

    Gerade das Heizungsgesetz zeigt, dass Klimaschutz Belastungen mit sich bringt. Wie muss eine faire Verteilung der Belastungen aussehen?

    Kerstin Schlögl-Flierl: Es gibt einen Maßstab, der für Klimagerechtigkeit ausschlaggebend ist, hier sind wir uns im Ethikrat einig. Demnach müssen alle Menschen die Chance haben, ein gutes und gelingendes Leben führen zu können. Dazu kann man Schwellenwerte definieren, die für keinen Menschen unterschritten werden dürfen, insbesondere bei Wasser, Ernährung, Sicherheit, Mobilität und Gesundheit. Es gibt einen Fachbegriff dafür, mehr Fremdwörter will ich dann auch nicht mehr verwenden, versprochen: Im Ethikrat sprechen wir von einem suffizientaristischem Konzept der

    Wie sieht die Anwendung dieses Grundsatzes in der Praxis aus?

    Schlögl-Flierl: Die Bedürfnisse von Menschen, welche die Schwellenwerte für ein gutes und gelingendes Leben nicht erreichen, müssen vorrangig berücksichtigt werden. Je weiter man unter dem notwendigen Mindestmaß an Wasser, Ernährung, Sicherheit, Mobilität und Gesundheit ist, desto bevorzugter muss man beachtet werden. Wer dagegen weit über dem Maß des Notwendigen liegt, muss bei Bedarf auch Einschränkungen für den Klimaschutz ertragen. Die Lasten müssen innergesellschaftlich, international und intergenerational gerecht verteilt werden.

    Kruip: Blickt man ganz konkret auf die Heizungen, beugt die Förderung von Wärmepumpen auch dem vor, dass sich Bürger die in Zukunft hohen Gaspreise nicht mehr leisten können. Auf vielen Maßnahmen wurde zu Unrecht herumgehackt. Es wird leider derzeit auch viel schlechtgeredet.

    FDP-Verkehrsminister Volker Wissing hatte als Drohkulisse Fahrverbote für den Klimaschutz ins Spiel gebracht, auch wenn es jetzt nicht so weit kommt. Ist das eine Lösung?

    Schlögl-Flierl: Generelle Fahrverbote sind sicher die schlechteste Lösung. Sie treffen den Besitzer, die Besitzerin eines teuren SUV, der einen Wochenendausflug macht, genauso wie jemanden, der das Auto braucht, um vom Land zur Arbeit in die Stadt zu fahren.

    Kruip: Die Debatte um Fahrverbote hat abgelenkt von politisch notwendigen Maßnahmen. Es war eine Ablenkungsstrategie. Man hätte stattdessen diskutieren können, dass ein Auto heute nicht mehr als fünf Liter auf 100 Kilometer verbrauchen darf. Man hätte ein Tempolimit einführen oder den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs beschleunigen können.

    "Klimafreundliches Verhalten muss auch attraktiv sein", sagt Kerstin Schlögl-Flierl, die die Gruppe zur Klimagerechtigkeit des Deutschen Ethikrats. leitete.
    "Klimafreundliches Verhalten muss auch attraktiv sein", sagt Kerstin Schlögl-Flierl, die die Gruppe zur Klimagerechtigkeit des Deutschen Ethikrats. leitete. Foto: Deutscher Ethikrat/Reiner Zensen

    Klimaschutz ist am Ende also meine Verantwortung?

    Schlögl-Flierl: Jeder hat eine moralische Verantwortung, seinen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Der Beitrag muss aber auch zumutbar sein. Ein moralisches Heldentum, in dem sich wenige aufopfern und verzichten, während andere nichts tun, kann nicht verlangt werden. Der ökologische Fußabdruck, der zeigt, wie viel CO₂ ich verursache, lädt zum Beispiel die Verantwortung ganz beim Individuum ab. Es handelt sich um eine Erfindung der Mineralölindustrie, die die Verantwortung des Konsumenten überhöht und zu moralischem Stress führt. Ja, jeder hat eine Verantwortung für den Klimaschutz, es liegt aber auch am Staat, die richtigen Rahmenbedingungen für den Klimaschutz zu setzen. Wir brauchen einen Rahmen für Klimaschutz, der zu einem klimafreundlichen Verhalten einlädt, ohne unzumutbare Belastungen für Menschen und Unternehmen zu schaffen.

    Wie kann der Rahmen aussehen?

    Kruip: Wir sollten anstreben, CO₂-Emissionen dort einzusparen, wo es am wenigsten kostet. Wir befürworten deshalb den Mechanismus, dass die Verursacher für CO₂-Emissionen Zertifikate erwerben müssen und die Menge dieser Verschmutzungsrechte im Laufe der Zeit gesenkt wird. Bekommt CO₂ einen Preis, gibt es den Anreiz, Emissionen zu vermeiden. Wer durch Flüge oder lange Urlaubsfahrten dann viel CO₂-Emissionen verursacht, wird höher belastet. Wer klimafreundlich lebt, hat geringere Belastungen.

    Denken Sie, dass sich die Menschen davon überzeugen lassen?

    Schlögl-Flierl: Klimafreundliches Verhalten muss auch attraktiv sein. Weniger Fleischkonsum ist gut für das Klima, eine vegetarische Ernährung ist gleichzeitig gesund. In Deutschland muss man nicht fliegen, man kann auch mit dem Zug unterwegs sein.

    Kruip: Wir müssen neugierig sein und offen für Veränderungen. Ich verzichte auf Fleisch und fühle mich gut, ich habe eine Solaranlage auf dem Dach und spare damit Stromkosten. Und es macht Spaß, elektrisch zu fahren.

    Stephan Kruip ist Physiker und Mitglied des Ethikrats.
    Stephan Kruip ist Physiker und Mitglied des Ethikrats. Foto: Stephan Kruip

    Trotzdem stellt eine zusätzliche CO₂-Abgabe eine Belastung dar, die Familien mit einem geringeren Einkommen stark belastet ...

    Kruip: Dem kann die Auszahlung eines Klimageldes begegnen. Angenommen, die Regierung schüttet die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung als pauschalen Euro-Betrag an jeden gleich aus – Stichwort Klimageld–, federt dies die Mehrkosten ab. Und Familien mit geringen Emissionen haben unter dem Strich sogar Einnahmen.

    Der Anteil Deutschlands an den globalen CO₂-Emissionen beträgt rund zwei Prozent. Ist es denn gerecht, wenn wir in Deutschland mit viel Aufwand Klimaschutz betreiben, während andere Länder wie China noch Kohlekraftwerke bauen?

    Kruip: Der jährliche CO₂-Ausstoß pro Kopf ist in China nicht größer als in Deutschland. Zudem sieht die Rechnung auch anders aus, wenn man sie historisch betrachtet. Deutschland hat als kleines Land seit Beginn der Industrialisierung circa 94 Milliarden Tonnen CO₂ emittiert und ist damit der viertgrößte Emittent von Treibhausgasen. Europa ist über die Geschichte hinweg für 22 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. Dies zeigt, dass wir eine Verantwortung haben. Nur wenn alle Länder mitmachen, wird es einen Erfolg geben. Deutschland hat die technischen Möglichkeiten und die finanziellen Ressourcen, um voranzugehen. Inzwischen sind wir auch nicht mehr Vorreiter. Andere Länder sind teilweise weiter. Portugal hat sich im März rein regenerativ mit Strom versorgt, Marokko baut riesige Solarparks.

    Klimagase werden heute ausgestoßen, die Folgen sieht man wahrscheinlich aber erst in Jahrzehnten, wenn die Meeresspiegel steigen oder es noch heißer wird. Wie kann man diese Lasten gerecht verteilen?

    Schlögl-Flierl: Die drastischen Folgen des Klimawandels spüren unsere Kinder oder jene, die noch gar nicht geboren sind. Deshalb müssen wir heute alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, damit künftige Generationen ein gutes, gelingendes Leben führen können.

    Inzwischen aber ist unsicher, ob das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen ist ...

    Kruip: Angesichts der drohenden Folgen durch den Klimawandel ist es keine Option, abzuwarten und nicht zu handeln. Das wäre aus Sicht des Ethikrates unverantwortlich. Mit jeder Tonne, die mehr ausgestoßen wird, wird es heißer und das Risiko von Extremwetterereignissen steigt. Schätzung zufolge beträgt der zukünftige Schaden je ausgestoßener Tonne CO₂ zwischen 500 und 3000 Euro. Damit kann jeder sich ausrechnen, zu welchen Schäden die rund acht Tonnen CO₂ führen, die jeder Bundesbürger im Schnitt im Jahr verursacht. Auch wenn das 1,5-Grad Ziel schon gerissen wurde, müssen die Emissionen reduziert werden

    Manche hoffen darauf, dass mit neuen Technologien wie der CO₂-Abscheidung aus der Atmosphäre oder der Kernfusionen Lösungen gefunden werden, die alle Probleme lösen werden. Wie stehen Sie dazu?

    Schlögl-Flierl: Ohne Technologie wird es nicht gehen, wir sehen die Technologiegläubigkeit allerdings kritisch. Die Kosten für die CO₂-Abscheidung sind zum Beispiel immens. Hier muss man vorsichtig abwägen.

    Zur Person: Kerstin Schlögl-Flierl, 47, ist Inhaberin des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Universität Augsburg und leitete die Gruppe zur Klimagerechtigkeit, die kürzlich ihre Ergebnisse vorgestellt hat. Stephan Kruip, 59, ist Physiker, Patentprüfer am Europäischen Patentamt und seit 2016 Mitglied des Ethikrates.

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