Eigentlich müssten europäische Hersteller von Windkraftanlagen Rekordgewinne einspielen. Schließlich ist ein zügiger Ausbau der Windenergie ein zentraler Schlüssel für die Energiewende und damit für eine größere Unabhängigkeit von klimaschädlichem Gas wie Öl. Doch dem Ausbau der Windkraft geht in Deutschland die Puste aus. Denn um die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, müssten nach Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums eigentlich pro Jahr 1500 bis 2000 Anlagen errichtet werden. Das Wort „eigentlich“ zieht sich wie ein roter Faden durch das Zukunftsthema. So sind in den vergangenen drei Jahren nach Daten des Bundesverbandes Windenergie jeweils nicht mehr als 500 Windräder in Deutschland aufgestellt worden.
Um das Tempo des Ausbaus zu erhöhen, fordert Siemens-Energy-Chef Christian Bruch die Verantwortlichen zu einer „Verkürzung der Genehmigungsverfahren“ auf. Dabei besteht die Gefahr, dass Europa gegenüber den USA zurückfällt. Denn US-Präsident Joe Biden hat „eigentlich“ aus seinem Sprachschatz gestrichen, wenn es erneuerbare Energien betrifft. So pumpt er rund 260 Milliarden Dollar in die Förderung von Wind-, Solar- und Wasserkraft.
Windkraft in Deutschland: Hersteller stecken in einer tiefen Krise
Während der Ausbau der Windenergie in Deutschland stockt, stecken die Hersteller der Anlagen in einer tiefen Krise. Bei Siemens Gamesa häuft sich für 2022 ein Nettoverlust von gigantischen rund 940 Millionen Euro an, während es im Vorjahr auch schon happige 627 Millionen Euro waren. Die Krise des Unternehmens mit Sitz in Spanien hat das Mutter-Unternehmen Siemens Energy bisher nicht in den Griff bekommen. Deshalb will der deutsche Energie-Riese den börsennotierten Windkraftanbieter komplett übernehmen, um allein das Sagen zu haben. Nachdem schon mehrere Manager vergeblich versucht hatten, Siemens Gamesa zu sanieren, bemüht sich nun Jochen Eickholt, das Unternehmen auf Vordermann zu bringen. Der Manager hat in der Siemens-Welt einen ausgezeichneten Ruf. So machte er die einst lahmende Mobility-, also Bahnsparte, als Chef wieder flott. In Industriekreisen werden die Chancen, dass Eickholt bei dem Windkraftanlagenbauer ähnlich erfolgreich arbeitet, als gut eingeschätzt. Der Deutsche greift hart durch und hat den Abbau von weltweit rund 2900 Arbeitsplätzen angekündigt.
Dabei haben sich bei dem Siemens-Sorgenkind, das aus dem Zusammenschluss der eigenen Windkraftsparte mit der des spanischen Herstellers Gamesa entstand, über Jahre Probleme aufgetürmt. Wie so oft bei Fusionen wurde unterschätzt, wie aufwendig es ist, Belegschaften unterschiedlicher Kulturen zusammenzuführen. Gerade was Windkraftanlagen, die an Land gebaut werden („Onshore“), betrifft, habe die Integration der Mannschaften nicht entsprechend funktioniert, heißt es in Kreisen des Unternehmens. Das wiederum soll dann auch zu Problemen bei einer neuen Turbine beigetragen haben. Neben solch hausgemachten Fehlern kämpft der Weltmarktführer für Anlagen auf hoher See („Offshore“) mit reichlich Gegenwind von der Marktseite her.
Auch dänischer Hersteller von Windkraftanlagen steckt in roten Zahlen fest
Damit ist Siemens Gamesa nicht allein. Auch der insgesamt global größte Hersteller Vestas aus Dänemark leidet unter Verlusten. Die Zukunftsbranche wird in der Gegenwart durchgerüttelt. Das geht vor allem darauf zurück, dass lange die enorm gestiegenen Preise für Materialien oft nicht an die Kundschaft weitergegeben werden konnten. Denn Firmen des Wirtschaftszweigs haben es versäumt, Klauseln in den Verträgen festzuschreiben, nach denen Auftraggeber automatisch mehr zahlen müssen, wenn Vorprodukte deutlich im Preis gestiegen sind. Als ob die Lage für die Windkraftanlagen-Bauer nicht prekär genug wäre, wurde sie durch einen ruinösen Preiswettbewerb verschärft. Zuletzt soll es den Firmen aber gelungen sein, deutlich mehr für ihre Produkte zu erlösen.
Das nützt Siemens Energy für das Geschäftsjahr 2021/2022, das am 30. September endete, nichts mehr. Es fällt ein Verlust nach Steuern von 647 Millionen Euro an, während das Minus 2021 noch 560 Millionen Euro ausmachte. Das Geschäftsjahr hat es für Siemens Energy in sich – und das liegt nicht nur an der Windkraft: Allein der Rückzug aus dem Russland-Geschäft schlägt bei dem schmerzhaften Verlust mit 200 Millionen Euro zu Buche. Doch Bruch kann immerhin auf die klassische Energie-Sparte, die „Gas and Power“ heißt, setzen. Der Bereich ist deutlich profitabler geworden und erfreut sich zunehmender Aufträge.
Derweil wartet die berühmt gewordene Turbine von Siemens Energy nach wie vor am Standort Mülheim auf ihren Transport nach Russland. Der Unternehmens-Chef meint nur: „Bisher hat sie dort noch keiner abgeholt.“