Die FDP steht wegen ihrer Haltung zur Lebensmittelwerbung für Kinder und Jugendliche in der Kritik. In einem offenen Brief haben 60 Organisationen an die FDP-Spitze um Parteichef Christian Lindner appelliert, Werbeschranken für Nahrungsmittel mit einem hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehalt zu unterstützen. Das Expertenbündnis mahnt darin, dass umfassende Werbeschranken "ein wichtiges Instrument zur Förderung einer gesunden Ernährung bei Kindern" seien. Deshalb "blicke man mit großer Sorge auf die ablehnenden Äußerungen von Parteivertreterinnen und -vertretern der FDP zu den Plänen für Kinderschutz".
Hintergrund des offenen Briefes ist eine Auseinandersetzung zwischen dem Grünen Cem Özdemir und der FDP-Führung. Der grüne Ernährungsminister will Werbungen für ungesunde Lebensmittel, die sich direkt an Kinder richten, drastisch einschränken. Diese Pläne hatten sich in vagen Ausführungen bereits im Ampel-Koalitionsvertrag niedergeschlagen. Doch die FDP-Führung blockiert das Gesetz und verweist auf die Entscheidungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger.
Özdemir wollte Werbung für ungesunde Lebensmittel massiv einschränken
Um zu einem Kompromiss zu gelangen, entschärfte Özdemir seinen ursprünglichen Gesetzesentwurf. Sah das alte Konzept noch vor, Werbung für unausgewogene Lebensmittel im TV und Hörfunk tagsüber zwischen 6 und 23 Uhr grundsätzlich zu verbieten, beschränkt sich der jüngste Vorschlag von Özdemir auf ein Verbot, das ausschließlich wochentags und in den Abendstunden gelten soll. Zudem soll eine 100-Meter-Bannmeile für Plakatwerbung nur um Kindertagesstätten und Schulen gelten, nicht aber um Spielplätze. Doch auch diesen Vorschlag will der Koalitionspartner FDP nicht unterstützen.
Bei zahlreichen Ernährungsorganisationen sowie Elternverbänden und medizinischen Fachgesellschaften stößt die FDP-Haltung auf harsche Kritik. "Die Blockadehaltung der FDP beim Kinderschutz wirft kein gutes Licht auf die Partei und steht im Widerspruch zum liberalen Leitbild der Chancengerechtigkeit", sagt Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK). "Möglichst allen Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen und ernährungsbedingte Krankheiten zu verhindern, muss im ureigenen Interesse einer Wirtschaftspartei liegen. Werbeschranken für Ungesundes könnten einen Beitrag dafür leisten, wenn die FDP nicht länger auf der Bremse steht", fordert Bitzer.
In Deutschland haben 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen Übergewicht
In dem Brief werfen die Initiatoren der FDP vor, dass sie sich gegen den "einhelligen Konsens in der Wissenschaft und unter Fachorganisationen" stelle. Die Abschwächung der Einschränkungen würde dazu führen, dass das geplante Gesetzesvorhaben sein Ziel verfehle. "Gerade in der abendlichen Primetime überschüttet die Lebensmittelindustrie Kinder mit Junkfood-Werbung – genau hier müssen die Werbeschranken greifen, sonst ist nichts gewonnen", sagt Luise Molling vom Verbraucherportal foodwatch.
In Deutschland leiden laut repräsentativen Messungen mehr als 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen an Übergewicht. "Kinder essen mehr als doppelt so viel Süßigkeiten wie empfohlen, aber nur halb so viel Obst und Gemüse", heißt es in dem offenen Brief. Dieser Entwicklung müsse entgegengewirkt werden. Laut einer Studie der Universität Hamburg sehen Kinder zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel. 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, vermarktet ungesunde Lebensmittel wie Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Allein die Süßwarenindustrie in Deutschland hat 2022 knapp eine Milliarde Euro für Werbung ausgegeben.