Deutschland feiert in diesen Wochen Erntedank. Das Getreide ist eingebracht, von Obst und Trauben schon ein Gutteil. Auf den Märkten leuchten frische Äpfel und Birnen in den Körben. Doch von dem, was die Bauern geerntet haben, wird viel verschwendet. In Deutschland landen jedes Jahr laut Statistischem Bundesamt 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Abfall. Das macht im Durchschnitt 75 Kilogramm pro Verbraucher. Darunter sind Knochen, Schalen, Kaffeesatz und Verdorbenes, aber auch vieles, was noch hätte verzehrt werden können. Waren im Wert von 200 Euro wirft jeder und jede in die Tonne, so die Schätzung.
Der Grüne-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir war angetreten, um die Verschwendung deutlich zu verringern. Bis 2030 sollte sie halbiert werden – 37,5 Kilogramm statt 75. Doch nach der Hälfte der Legislaturperiode hat Özdemir noch nicht viel erreicht. „Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren“, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP.
Umwelt- und Klimaschützer ziehen vor das Ministerium
Das Wörtchen „verbindlich“ ist es, das dem Grünen-Minister die Bilanz verhagelt. Aus diesem Grund bekam er am Mittwoch Besuch von Umwelt- und Klimaschützern vor seinem Ministerium in Berlin-Mitte. Eigentlich gehören Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der WWF zu den Vorfeldorganisationen der Grünen. Doch mit Özdemir sind sie unzufrieden. „Lebensmittelverschwendung ist teuer, umwelt- und klimaschädlich. Trotzdem hat die Bundesregierung keine verbindlichen Maßnahmen beschlossen“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Er rief Özdemir dazu auf, dafür zu sorgen, dass „diese unnötige Verschwendung von Ressourcen ein Ende hat“.
Im Sommer hatte Özdemir mit den großen Supermarktketten ein Bündnis geschlossen, in dem sie sich freiwillig verpflichten, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung zu halbieren. Sanktionen müssen die Unternehmen allerdings nicht fürchten, wenn das Ziel verfehlt wird.
Müller-Kraenner und Mitstreiter hatten vor der Pforte Stände mit Körben und Kisten voll Obst und Gemüse aufgebaut, das im Müll landen sollte. Sie hätten es beim Großmarkt gerettet, erzählten sie. Derzeit soll eine Aktionswoche „Deutschland rettet Lebensmittel“ darauf aufmerksam machen, welche enorme Menge Lebensmittel weggeschmissen wird. Das Ministerium macht auf seiner Internetseite sogar Werbung dafür. Ursprünglich sollte der Minister selbst in einen geretteten Apfel beißen, aber der Hausherr weilte auf Auslandsreise im Kosovo. Eine Abteilungsleiterin nahm die Forderungen entgegen.
Rechtsunsicherheit weiterhin bei Rettung von Nahrungsmitteln
Gemeinsam mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatte Özdemir einen Versuch unternommen, das sogenannte Containern zu entkriminalisieren. Wer aus den Mülltonnen von Supermärkten noch gute Lebensmittel mitnimmt, macht sich womöglich der Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruches strafbar. Doch die für die Änderung der Richtlinien für Strafverfahren zuständigen Bundesländer zogen nicht mit. Containern ist immer noch strafbar.
Das Bündnis beklagt außerdem, dass es immer noch eine große Rechtsunsicherheit für den Handel gebe, wenn die Unternehmen Lebensmittel spendeten. Dabei geht es um Fragen der Haftung, wenn sich zum Beispiel jemand an einem Joghurt den Magen verdirbt, dessen Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. „Das Spenden von Lebensmitteln muss auch dringend vereinfacht und rechtssicher gemacht werden“, forderte die Chefin der Tafel Deutschland, Sirkka Jendis. Weil sich Lebensmittel deutlich verteuert haben, kommen zu den Tafeln so viele Menschen wie noch nie, um sich Essen und Trinken zu besorgen.